Dr. Katzenbergers Badereise. Jean Paul

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Dr. Katzenbergers Badereise - Jean Paul

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Blass wie eine von der Nacht geschlossene Lilie ruhte ihr stilles Gesicht im altväterischen Stuhle umgesunken angelehnt. Theoda küsste eine Locke — dann leise die Stirn — dann, als sie zu schnarchen anfing, gar den Mund.

      Aber plötzlich hob die Verstellte die Arme auf und umschlang die Freundin: „Bist du denn wieder zurück, Liebe“, sagte wie traumtrunken Bona, „und bloss wohl, weil du deinen Dichter nicht da gefunden?”

      „Oh, spotte viel stärker über die Sünderin, tue mir recht innig weh, denn ich verdiene es wohl von gestern her!“ antwortete sie und nannte ihr alles, was ihr feuriges Herz drückte. Bona legte die Wange an ihre und konnte, vom vorfrühen Aufstehen ohnehin sehr aufgelöset, nichts sagen, bis Theoda heftig sagte: „Schilt oder vergib!“ so dass jener die heissen Tränen aus sen Augen schossen und nun beide sich in einer Entzückung verstanden.. „Oh, jetzo möchte ich“, sagte Theoda, „mein Blut, wie dieses Morgenrot, vertropfen lassen für dich. Ach, ich bin eigentlich so sanft; warum bin ich denn so wild, Bona?“ — „Gegen mich bist du gerade recht”, erwiderte sie; „nur einmal das beste Wesen kann dein wildes verdienen. Bloss gegen andere sei anders!“ — „Ich vergesse“, sagte Theoda, „bloss immer alles, was ich sagen will oder leider gesagt habe; nur ein Ding wie ich konnte es gestern zu sagen vergessen, dass ich mich am innigsten nach der erleuchteten Höhle in Maulbronn wie nach dem Sternenhimmel meiner Kindheit sehne, meiner guten Mutter halber.“ Ihr war nämlich ein unauslöschliches Bild von der Stunde geblieben, wo ihre Mutter sie als Kind in einer grossen, mit Lampen erhellten Zauberhöhle des Orts — ähnlich der Höhle im Bade Liebenstein — umhergetragen hatte.

      Beide waren nun ein ruhiges Herz. Bona hiess sie zum Vater eilen — wiederholte ihren Rat der Vorsicht mit aller ihr möglichen Ruhr (ist sie fort, dachte sie, so kann ich gerührt sein, wie ich will), vergass sich aber selber, als Theoda weinend mit gesenktem Kopfe langsam von ihr ging, dass sie nachrief: „Mein Herz, ich kann nur nicht aufstehen vor besonderer Mattigkeit und dich begleiten; aber kehre ja deshalb nicht wieder um zu mir!“ Aber sie war schon umgekehrt und nahm, obwohl stumm, den dritten Abschiedskuss; und so kam sie mit der Augenröte des Abschiedes und mit der Wangen- und Morgenröte des Tags laufend bei den Abreisenden an.

      7. Summula

      Fortgesetzte Fortsetzung der Abreise

      Da der Doktor neben dem Edelmanne auf ihre Ankunft wartete: so liess er noch ein Werk der Liebe durch Flex ausüben, seinen Bedienten. Er griff nämlich unter seine Weste hinein und zog einen mit Branntwein getränkten Pfefferkuchen hervor, den er bisher als ein Magenschild zum bessern Verdauen auf der Herzgrube getragen: „Flex“, sagte er, „hier bringe mein Stärkmittel drüben den untern Gerberskindern; sie sollen sich aber redlich darein teilen.“ — Der Edelmann stutzte.

      „Meiner Tochter, Herr von Niess“, sagte er, „dürfen Sie nichts sagen; — sie hat ordentlich Ekel vor dem Ekel — wiewohl ich, für meine Person, finde hierin weder einfachen noch doppelten nötig. Alles ist Haut am Menschen, und meinte am Bauche ist nur die fortgesetzte von der an den Wangen, die ja alle Welt küsst. Vor den Augen der Vernunft ist das Pflaster ein Pfefferkuchen wie jeder andere im Herzogtume, ja mir ein noch geistigerer.“

      „Ich gestehe“, versetzte der sich leicht ekelnde Dichter schnell, um nur dem bösen Bilde zu entspringen, „dass mich Ihr Bedienter mit seinem langen Schlepprocke fast komisch interessiert. Wie ich ihm nachsah, schien er mir ordentlich auf Knien zu gehen, wie sonst ein Sieger zum Tempel des Jupiter capitolinus, oder aus der Erde zu wachsen.“

      Freundlich antwortete Katzenberger: „Ich habe es gern, wenn meine Leute mir oder andern lächerlich vorkommen, weil man doch etwas hat alsdann. Mein Flex trägt nun von Geburt an glücklicherweise kurze Dachsbeine, und auch diese sogar äusserst zirkumflektiert, dass, wenn sein Rock lang genug ist, sein Steiss und sein Weg, ohne dass er nur sitzt, halb beisammen bleiben. Diesen komischen Schein seiner Trauerschleppe nütz ich ökonomisch. Ich habe nämlich einen und denselben längsten Lakaienrock, den jeder tragen muss, Goliath wie David. Diese Freigebigkeit entzweiete mich oft mit dem Piraner Prosetztor, sonst mein Herzensfreund, aber ein geiziger Hund, der Leute en robe courte — aber nicht en longue robe — hat, und denen er die Röcke zu kurzen nenmodischen Westen (nicht zu altmodischen) einschnurren lässt. Set ich nun seintem Geize mein Muster entgegen: so verweiset er mich auf die anatomischen Tafeln, nach denen unter den Gegenmuskeln der Hand der Muskel, der sie zuschliesse, stets viel stärker sei als der, welcher sie aufmacht, und zu jenem Muskel gehöre noch die Seele, wenn Geld damit zu halten sei. Daher die Freunde auch die Hände leichter gegeneinander ballen als ausstrecken. Etwas ist daran.“

      Als Theoda kam, hatte der Doktor, der im Vordersitz wartete, dass er durch einen Hüftennachbar fester gepackt würde, den verdriesslichen Anblick, dass das Paar nach langer Sessionsstreitigkeit sich ihm gegenüber setzte. Die Tochter tat es aus Höflichkeit gegen Niess und aus Liebe gegen ihren Vater, um ihn anzusehen und seine Wünsche aufzufangen. Zuletzt sagte dieser im halben Zorn: „Du willst dich sonach an das Steissbein und Rückgrat des Kutschers lehnen und lässt ruhig deinen alten Vater, wie ein Weberschiffchen, von einem Kissen zum andern werfen, he?“

      Da erhielt er endlich an seiner hinüberschreitenden Tochter seinen Füllstein, zur Höchsten Freude des rücksässigen Edelmanns, dessen Blicke sich nun wie ein paar Fliegen immer auf ihre Augen und Wangen setzen konnten.

      8. Summula

      Beschluss der Abreise

      Sie fuhren ab...

      … Aber jetzo fängt für den Absender der Hauptpersonen — für den Verfasser — nicht die beste Zeit von Lesers Seite an; denn da dieser nun alle Verwicklungen weiss, so wird er mit seiner gewöhnlichen Heftigkeit die sämtlichen Entwicklungen in den nächsten Druckbogen haben wollen und die Forderung machen, dass in den nächsten Summuln der Rezensent ausgeprügelt werde, dessen Namen er noch nicht einmal weiss — dass Herr von Niess seine Larve, als sei er bloss ein Freund Theudobachs, abwerfe und dieser selber werde — und dass Theoda darüber erstaune und kaum wisse, wo ihr der Kopf steht, geschweige das Herz. Tu ich nun dem Leser den Gefallen und prügle, entlarve und verliebe, was dazu gehört: so ist das Buch aus, und ich habe erbärmlich in wenig Simmuln ein Feuerwerk oder Luftfeuer abgebrannt, das ich nach so grossen Vorrüstungen zu einem langen Steppenfeuer von unzähligen Summuln hätte entzünden können. Ich will aber Katzenberger heissen, entzünd ich’s nicht zu einem.

      Von jetzt an wird sich die Masse meiner Leser in zwei grosse Parteien spalten: die eine wird zugleich mich und die andere und diesen Druckbogen verlassen, um auf dem letzten nachzusehn, wie die Sachen ablaufen; es sind dies die Kehraus-Leser, die Valetschmauser, die Jüngstentag-Wähler, welche an Geschichten, wie an Fröschen, nur den Hinterteil verspeisen und, wenn sie es vermöchten, jedes treffliche Buch in zwei Kapitel einschmelzten, ins erste und ins letzte, und jedem Kopfe von Buch, wie einem aufgetragenen Hechte, den Schwanz ins Maul steckten, da eben dieser an Geschichten und Hechten die wenigsten Gräten hat; Personen, die nur so lange bei philosophierenden und scherzenden Autoren bleiben, als das Erzählen dauert, wie die Nordamerikaner nur so lange dem Prediger der Heidenbekehrer zuhorchen, als sie Branntwein bekommen. Sie mögen denn reisen, diese Epilogiker. Was hier bei mir bleibt — die zweite Partei —, dies sind eben meine Leute, Personen von einer gewissen Denkart, die ich am langen Seile der Liebe hinter mir machziehe. Ich heisse euch alle willkommen; wir wollen uns lange gütlich miteinander tun und keine Summuln sparen — wir wollen auf der Badreise die Einheit des Ortes beobachten, so wie die des Interesses, und häufig uns vor Anker legen. Langen wir doch nach den längsten verzögerlichen Einreden und Vexierzügen endlich zu Hause und am Ende an, wo die Kehraus-Leser hausen: so haben wir unterwegs alles, jede Zoll- und Warntafel und jedes Gasthofschild gelesen und jene nichts, und wir lachen Herzlich über sie.

      9. Summula

      Halbtagsfahrt

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