Die Humanisten Eine Novelle. Isolde Kurz

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Die Humanisten Eine Novelle - Isolde Kurz

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Lernen ging, da zeigte sich’s, daß das liebliche Köpfchen keinen Lernstoff irgendwelcher Art aufnehmen konnte. Die Geschichte war ihr genau so gleichgültig wie die Geographie, und die französischen Vokabeln hafteten nicht in ihrem Ohr. Sie dachte nur an kindlichen Schabernack, und wir lachten jeden Augenblick wie die Tollen: sie, weil ihr Babylonier und Assyrer, Meder und Perser lächerlich vorkamen, ich, weil ich die Welt, in der es nun eine Lili gab, so entzückend schön fand. Meine arme Mutter mühte sich, so sehr sie konnte, aber ihr Unterricht, der aller Schulmäßigkeit entbehrte, war nur auf die eigene Tochter eingestellt, an der Fremden scheiterte er völlig.

      Dieses Schöpfen ins Leere hatte schon einige Zeit mit der größten Anstrengung von ihrer Seite gedauert, als sie der unachtsamen Schülerin eines Tages, um sie im Deutschen zu üben, ein Aufsatzthema von der einfachsten Art gab: sie sollte die Sehenswürdigkeiten von Tübingen beschreiben. Die Aufgabe weckte bei Lili einen ungewohnten Eifer, und sie lieferte eine Arbeit ab, die an treffender Knappheit ihresgleichen suchte. Mit einem einzigen Satze waren die berühmte Stiftskirche mit ihrem Chor nebst Lettner und Schloß Hohentübingen abgetan. Dann wandte sich die Beschreibung dem Obergymnasium und seinen Insassen zu, welch letztere als die größte Denkwürdigkeit Tübingens und als die belangreichste Menschengattung überhaupt bezeichnet waren. Dieser Aufsatz, vermutlich der einzige, den Lili je verfaßte, hatte einen stürmischen Heiterkeitserfolg, und noch jahrelang pflegte man, wenn von den Vorzügen Tübingens die Rede war, das in einem höchst alltäglichen Bauwerk befindliche Obergymnasium an erster Stelle zu nennen.

      Lili hatte allen Grund zu ihrer hohen Schätzung des Obergymnasiums. Seit die reizende Mainzerin auf dem Plan erschienen war, umschwärmten die gelben Mützen das Bahnhofgebäude, wo Lili wohnte, und die naheliegenden Alleen; alle Primanerherzen waren mehr oder weniger von ihrer Anmut entzündet. Aber diese gegenseitige Bewunderung, die eine Folge der Tanzstunde war, hätte beinahe unserer Freundschaft ein vorzeitiges Ende bereitet. Denn eines Tages machte mir Lili die niederschmetternde Eröffnung, daß sie von nun an nicht mehr mit mir in den Alleen spazierengehen könne. „Du bist noch ein Kind“, sagte sie, „und trägst kurze Röcke. Wenn mich die Obergymnasiasten immer in deiner Gesellschaft sehen, so denken sie am Ende, ich sei auch noch ein Kind, und grüßen mich nicht mehr. Du weißt, ich bin dir gut, aber das kannst du nicht von mir verlangen.“

      Diese Worte trafen mich wie ein Dolchstoß. Ich war so erschüttert und beschämt, daß ich nicht antworten konnte. Aber ich sah alles ein. Nicht mehr von den Tänzern gegrüßt werden! Solcher Schmach durfte sich freilich Lili um meinetwillen nicht aussetzen! Ich gab mich jedoch dem Schmerze nicht hin, sondern sann auf Abhilfe, denn Lilis Umgang zu entbehren, war mir unmöglich. Auf dem Speicher, in einem der eisenbeschlagenen Riesenkoffer aus Urvätertagen, lag von aller Welt vergessen ein schöner Rock aus schwarzem Wollstoff, den einmal Hedwig Wilhelmi bei der Abreise nach Granada zurückgelassen hatte. Auf dieses herrenlose Gewandstück setzte ich meine Hoffnung. Als ich heimlich hineinschlüpfte, hatte es zwar eine Schleppe von nahezu einer Elle, stand aber sonst rundum eine Handbreit vom Boden ab, denn um so viel überragte ich bereits seine rechtmäßige Besitzerin. Allein ich hatte schon mit kundigem Auge eine ausgebogte Sammetblende wahrgenommen, die den unteren Rand verzierte und sich, falsch aufgesetzt, als Verlängerung verwerten ließ. In derartigen Fertigkeiten war ich von klein auf bewandert: Nähen, Zuschneiden, Häkeln, Stricken, alles, was anderen kleinen Mädchen zu ihrer Pein auferlegt wurde, hatte für mich den Reiz der verbotenen Frucht. Ich verbarg mich also mit Nadel und Schere auf dem Speicher und arbeitete stundenlang voll Eifer und Pünktlichkeit, bis der Rock meiner Länge angepaßt war. Dann warf ich ihn alsbald über und stolzierte mit der gewaltigen Schleppe, die ich noch mitverlängert hatte, durch Gang und Wohnräume. Ich machte mich auf einen häuslichen Sturm gefaßt, aber niemand schien die Verwandlung zu sehen. Mama lebte in den kargen Stunden, die sie der Pflege der Kinder und dem Ärger über die Bismarcksche Politik entziehen konnte, mit den Platonischen Ideen und kümmerte sich nicht um die Länge meiner Röcke. Dem guten Vater war alles, was sein Töchterchen tat, wohlgetan, und selbst die tadelsüchtigen Brüder, sonst meine strengsten Richter, schwiegen mäuschenstille, weil sie ahnten, daß es Lili zuliebe geschah; die Hexe spukte auch ihnen in den Köpfen. So hatte ich durch einen kühnen Handstreich die Kluft der Jahre zwischen uns ausgefüllt. Wir gingen wieder Arm in Arm in den Alleen, ich hatte sogar durch den Schlepprock etwas vor Lili voraus; die gelben Mützen flogen vor uns beiden in die Höhe, und die schöne Welt war wieder im Gleichgewicht.

      Ohne Übergang war ich aus den kurzen Kinderröcken ins Schleppkleid gefahren, und ebenso unbedenklich ließ ich nun auch mein Kinderland hinter mir, um immer weiter in das neue Leben hineinzuschreiten. Die Röcke blieben lang, wenn auch künftig ohne Schleppe. Und welch eine Ehre! Auf der Schlittschuhbahn ließ ein fremder Student sich mir vorstellen, nannte mich Fräulein, schnallte mir die Schlittschuhe an und führte mich! Abgefallen war alles, was mir sonst den Verkehr mit Menschen erschwert hatte: meine Fremdheit und Scheu, der Widerwille vor dem „Sie“, ich hatte nur die eine Sorge, es den Menschen zu verbergen, daß ich nach Leib und Seele noch ein Kind war, damit sich Lili meiner nicht zu schämen habe.

      Allein meine tiefe Liebe zu den Griechen, die innige Verbundenheit mit den homerischen Gestalten, die mich als früheste Eindrücke an der Schwelle des Lebens empfangen haben, wurde durch den Verkehr mit Lili nur eingeschläfert, nicht unterdrückt. Lebenslang habe ich’s meiner Mutter gedankt, daß sie mich mit griechischer Dichtung und Mythe schon im zartesten Alter vertraut machte, wo sich ihre Spuren unverlöschlich in das Neuland des Kindergehirns einprägen konnten; sie hat mir damit für immer den Wertmesser des Schönen und Großen gegeben. Wessen Geschmack sich nicht frühzeitig am Monumentalstil der ewigen Vorbilder entwickelt hat, der ist späterhin geneigt, dem Blendwerk flüchtiger Tageserzeugnisse hilflos zu verfallen. Er geht ebenso wie an den Griechen auch an Kleist und Goethe vorüber, wodurch viel jugendliches Streben für eine echte deutsche Bildung wertlos wird. Es sollten aber noch zehn Jahre vergehen, bevor es mir vergönnt war, meinen Durst an den Quellen selber zu stillen.

      Im Jahr, das auf meines Vaters Tod folgte, kam Ernst Mohl1) von einer Hofmeisterstelle in der Pfalz noch einmal zur Vollendung seiner Studien auf kürzere Zeit nach Tübingen zurück. Und jetzt machte dieser Freund meiner Jugend, der stets für die Bedürfnisse meiner Natur das meiste Verständnis gezeigt und mich durch seinen Glauben gestützt hatte, mir ein Geschenk, das mich auf alle Jahre meines Lebens bereichern und erheben sollte: er unterrichtete mich im Griechischen.

      Den Homer in der Ursprache zu lesen, war mein alter Wunsch, allein die Zeit, die vor uns lag, war knapp, und ich zweifelte, ob es möglich sein würde, in der Schnelligkeit so weit zu kommen. Der unternehmende Lehrer aber war seiner Sache sicher. Wir begannen nach kurzer Vorbereitung mit dem Xenophon, der mir durch seine immer wiederkehrenden Wendungen schnell einen gewissen Wort- und Formenschatz übermittelte. Während des Sommers wurden vier Bücher der Anabasis gelesen. Dann unterbrach eine Reise nach Wien die Studien, die noch kaum zwei Monate gedauert hatten. Als ich, erfüllt von den Eindrücken der Kaiserstadt, vom Burgtheater mit der Wolter und Lewinsky und nicht am wenigsten vom Wurstlprater, zurückkehrte, wurde das Griechische frisch aufgenommen. Und zwar ging es jetzt ohne weiteres ans Ziel meiner Wünsche, die Ilias, die mir von den beiden wunderbaren Gedichten immer das unvergleichlich höhere war. Die Begeisterung für den Inhalt trieb uns mit Sturmschritten vorwärts. Am ersten Tag wurden fünfundzwanzig Zeilen gelesen, am nächsten fünfzig, am dritten hundert, und jeden Tag wurde nun die Zahl verdoppelt, bis wir dahin kamen, in einer jeweiligen Sitzung einen ganzen Gesang aufzuarbeiten, wenn es auch bis zum Abend dauerte. Da der Umtrieb im gemeinsamen Wohnzimmer dabei zu störend war und die sparsame Josephine in dem kalten Frühwinter kein zweites Zimmer heizen wollte, brachte der eifrige Lehrer zuweilen ein paar Scheiter aus seinem eigenen Vorrat unter dem Mantel mit, was dann doch die Strenge der sorgenden Schaffnerin zum Schmelzen brachte, daß sie uns ein ruhiges Lernstübchen wärmte. Unbeschreiblich war mein Entzücken am Urtext meiner Lieblingsdichtung. Der treffliche alte Voß hatte mir ja mit dem Inhalt wohl auch die Ehrwürdigkeit der homerischen Sprache übermittelt, aber er konnte nur ihr Alter wiedergeben, nicht ihre Jugend, weil ihm keine junge Sprache zur Verfügung stand. Wie anders klang das alles nun im Griechischen! Aus jedem Wort und jedem Partikelchen strömte Jugend herein, eine Jugend, wie

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