Die Rückkehr von Sherlock Holmes. Sir Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Die Rückkehr von Sherlock Holmes - Sir Arthur Conan Doyle страница 9

„,Das ist mein Testament,‘ sagte er. ,Ich bedarf Ihrer Hilfe, Herr Farlane, damit es in die vorschriftsmässige gesetzliche Form gebracht wird. Ich will mich unterdessen setzen!‘
„Ich nahm die Abschrift vor, und Sie können sich mein Erstaunen vorstellen, als ich merkte, dass er mir unter einigen Vorbehalten sein ganzes Vermögen vermachte. Er war ein eigenartiger, kleiner, zappeliger Mann mit grauem Haar und weissen Augenwimpern, und als ich zu ihm aufblickte, sah er mich vergnügt an. Ich traute meinen Sinnen kaum, als ich seine Bestimmungen las. Auf meine verwunderten Fragen antwortete er mir jedoch, er sei Junggeselle und habe keine lebenden Verwandten, er habe in seiner Jugend meine Eltern sehr gut gekannt und von mir stets als von einem ordentlichen jungen Manne gehört, sodass er versichert sein könne, dass sein Geld in gute Hände käme. Ich konnte nur ein paar Worte des Dankes stammeln. Das Testament wurde gesetzmässig geschlossen und unterzeichnet, und mein Schreiber fungierte als Zeuge. Es steckt in diesem blauen Umschlag hier in meiner Tasche. Die Zettel enthalten, wie ich schon gesagt habe, nur den Entwurf des Herrn Oldacre. Er teilte mir dann weiter mit, dass er noch verschiedene Schriftstücke — Mietkontrakte, Eigentumsurkunden, Hypotheken und sonstige Papiere, in die ich Einsicht nehmen müsse, zu Hause in seiner Wohnung habe. Er bat mich, zu diesem Zwecke gleich am Abend zu ihm nach Norwood hinauszukommen und das Testament mitzubringen, damit alles geordnet würde; er könnte eher keine Ruhe finden. ,Sagen Sie Ihren Eltern kein Wort, mein Lieber, bis die Angelegenheit ganz geregelt ist. Wir wollen ihnen dann eine kleine Ueberraschung bereiten.‘ Auf dieser Forderung bestand er sehr hartnäckig und nahm mir mein Wort ab.
„Sie können sich denken, Herr Holmes, dass ich keine Lust hatte, ihm seine Bitten abzuschlagen. Er wollte mir wohl, und ich hatte daher nur das Bestreben, seinen Wünschen bis ins kleinste zu entsprechen. Ich telegraphierte nach Hause, dass ich am Abend ein wichtiges Geschäft vorhabe und nicht wüsste, ob ich kommen könnte. Herr Oldacre hatte mich für neun Uhr zum Essen eingeladen, weil er kaum vor dieser Stunde zu Haus sein würde. Es war nicht ganz leicht, seine Wohnung zu finden, sodass es gegen halb zehn wurde, ehe ich sie erreichte. Ich traf —“
„Einen Augenblick!“ unterbrach ihn Holmes. „Wer öffnete Ihnen die Tür?“
,,Eine Frau in mittleren Jahren, vermutlich seine Haushälterin.“
„Dieselbe hat wahrscheinlich der Polizei auch Ihren Namen angegeben?“
„Doch wohl,“ antwortete Farlane.
„Bitte, weiter.“
Unser Klient wischte sich den Schweiss von der Stirne und fuhr dann fort: —
„Diese Frauensperson führte mich in ein Empfangszimmer, wo ein frugales Abendbrot aufgetragen war. Nach dem Essen nahm mich Herr Oldacre mit in sein Schlafzimmer, wo ein schwerer Geldschrank stand. Er schloss auf und nahm eine Menge Papiere heraus, die wir zusammen durchgingen. Es dauerte bis zwischen elf und zwölf Uhr, ehe wir fertig wurden. Er sagte dann zu mir, wir dürften die Wirtschafterin nicht stören, und geleitete mich an das Balkonfenster, das während der ganzen Zeit offen, gestanden hatte.“
„War die Jalousie heruntergelassen?“ fragte Holmes.
„Ich bin nicht ganz sicher, glaube aber, dass sie nur halb unten war. Jawohl, ich entsinne mich, wie er sie aufzog, um das Fenster aufmachen zu können. Ich hatte meinen Stock noch nicht. Er sagte jedoch: ,Schadet nichts, mein Lieber; ich werde Sie hoffentlich in der nächsten Zeit häufiger bei mir sehen, ich heb’ ihn auf, bis Sie wiederkommen‘. Ich liess ihn also zurück. Der Schrank stand noch offen und die Papiere lagen, in Bündel zusammengeschnürt, auf dem Tische, als ich das Zimmer verliess. Es war so spät, dass ich nicht mehr nach Blackheath zurück konnte. Ich blieb daher die Nacht in einem nahen Hotel und ahnte nichts Böses, bis ich heute früh die schreckliche Geschichte in der Zeitung las.“
„Wollen Sie noch einige Fragen stellen, Herr Holmes?“ sagte Lestrade, der während der merkwürdigen Erzählung ein paarmal den Kopf geschüttelt hatte.
„Eher nicht, bis ich in Blackheath gewesen bin.“
„Sie meinen in Norwood,“ verbesserte Lestrade.
„Jawohl; das meinte ich,“ erwiderte Holmes mit seinem rätselhaften Lächeln. Lestrade hatte schon häufiger erfahren müssen, als ihm lieb sein mochte, dass dieser scharfe Verstand noch vieles zu durchschauen vermochte, was ihm undurchdringlich erschienen war. Er sah meinen Gefährten neugierig an.
„Ich möchte gleich noch ein paar Worte mit Ihnen sprechen, Herr Holmes,“ sagte er. „Nun, Herr Farlane, vor der Tür stehen zwei von meinen Leuten und warten auf Sie, der Wagen ist draussen vor dem Haus.“ Der unglückliche junge Mensch erhob sich und ging mit einem letzten flehentlichen Blick zur Türe hinaus. Die Schutzleute stiegen mit ihm in die Droschke, während der Inspektor zurückblieb.
Holmes hob die losen Blätter, die den Entwurf des Testaments enthielten, vom Tische auf und betrachtete sie mit zunehmendem Interesse.
„Dieses Schriftstück gibt uns einige Anhaltspunkte, Herr Lestrade,“ sagte er endlich. „Sehen Sie es sich einmal genauer an.“ Er schob ihm die Blätter hinüber.
Der also Angeredete sah ihn erstaunt an.
„Ich kann nur die ersten Zeilen, die in der Mitte der zweiten Seite und ein paar am Schluss lesen; die sind ganz deutlich geschrieben,“ sagte er, „aber sonst ist die Schrift sehr schlecht, und an drei Stellen vollständig unleserlich.“
„Was schliessen Sie daraus?“ sagte Holmes.
„Ja, was schliessen Sie denn daraus?“
„Dass es in einem Eisenbahnzug geschrieben ist; die gute Schrift bedeutet die Stationen, die schlechte die Fahrt und die sehr schlechte die Durchfahrt durch Kreuzungsstellen. Ein gewandter Sachverständiger würde sofort erkennen, dass der Schreiber auf einer Vorortlinie gefahren ist, weil nur in der unmittelbaren Nähe einer Grossstadt die Haltestellen so schnell aufeinander folgen. Wenn man annimmt, dass er auf der ganzen Strecke geschrieben hat, so muss er einen Schnellzug benutzt haben, der zwischen Norwood und London-Bridge nur einmal hält.“
Lestrade fing an zu lachen.
„Sie gehen mir zu weit zurück, wenn Sie Ihre Theorien entwickeln, Herr Holmes. Was hat das mit der Sache zu tun?“
„Nun, es bestätigt und ergänzt die Aussage des jungen Herrn, dass Oldacre das Testament gestern unterwegs aufgesetzt hat. Es ist immerhin auffallend — nicht wahr? — dass jemand ein so wichtiges Schriftstück im Eisenbahncoupé niederschreibt. Es geht daraus hervor, dass er der Sache keinen besonderen praktischen Wert beilegt. Das kann nur ein Mann tun, der nicht daran denkt, diesen Willen jemals zu verwirklichen.“
„Und doch hat er zu gleicher Zeit damit sein eigenes Todesurteil niedergeschrieben,“ versetzte Lestrade.
„Aha, das ist Ihre Ansicht?“
„Meinen Sie das denn nicht auch?“
„Es ist nicht unmöglich; mir ist der ganze Fall aber noch nicht klar.“
„Nicht klar? Na, aber wenn das nicht klar ist, was ist dann überhaupt klar? Hier ist ein junger Mensch, der plötzlich erfährt, dass ihm ein grosses Vermögen zufällt, wenn ein bejahrter Mann mit dem Tod abgeht. Was tut er? Er sagt keinem Menschen was, sondern begibt sich eines schönen Abends unter irgend einem Vorwand zu seinem Gönner. Er