Anna Karenina. Лев Толстой
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Schon vorher, als Kitty weinend hinausgelaufen war, hatte Dolly mit dem geübten Blick der Mutter und Hausfrau sogleich erkannt, daß hier Frauenwerk zu tun sei, und sich vorgenommen, dieses Werk zu verrichten. Nun nahm sie den Hut ab, streifte sich, in geistigem Sinne gesagt, die Ärmel in die Höhe und rüstete sich zur Tat. Während die Mutter auf den Vater schalt, hatte Dolly, soweit das die kindliche Ehrerbietung erlaubte, die Mutter zurückzuhalten versucht. Während dann der Fürst seinem Ingrimm Luft machte, hatte sie geschwiegen und sich für ihre Mutter geschämt; mit zärtlicher Bewunderung hatte sie auf ihren Vater geblickt, als dieser so bald wieder gut und freundlich wurde. Aber als nun der Vater hinausgegangen war, da schickte sie sich an, das Wichtigste zu tun, was jetzt nötig war: zu Kitty zu gehen und sie zu beruhigen.
»Ich wollte Ihnen schon lange etwas sagen, maman: Wissen Sie wohl, daß Ljewin, als er das letzte Mal hier war, Kitty seine Hand anbieten wollte? Er hatte es vorher zu Stiwa gesagt.«
»Nun, und was weiter? Ich verstehe nicht . . . «
»Da hat ihm Kitty vielleicht einen Korb gegeben? Hat sie Ihnen nichts davon gesagt?«
»Nein, sie hat nichts gesagt, weder über den einen noch über den anderen; dazu ist sie zu stolz. Aber ich weiß, daß alles davon hergekommen ist.«
»Sicherlich; aber denken Sie nur, wenn sie wirklich Ljewin abgewiesen hat . . . Sie hätte das bestimmt nie getan, wenn nicht dieser andere gewesen wäre, das weiß ich. Und nun hat der sie so schändlich getäuscht!«
Der Fürstin war es gar zu peinlich, daran denken zu müssen, eine wie schwere Schuld sie ihrer Tochter gegenüber auf sich geladen hatte, und sie wurde zornig.
»Ach, ich verstehe die Welt gar nicht mehr! Heutzutage wollen die Kinder immer nach ihrem eigenen Kopfe leben; der Mutter wird nichts mehr gesagt, und dann, ehe man es sich versieht . . . «
»Maman, ich will zu ihr gehen.«
»Nun, dann geh doch! Verbiete ich's dir?« erwiderte die Mutter.
3
Als Dolly in Kittys hübsches, rosafarbenes, mit Figürchen von vieux saxe15 geschmücktes Zimmerchen trat, das ebenso hübsch, rosig und heiter aussah, wie es Kitty selbst noch vor zwei Monaten gewesen war, da erinnerte sie sich daran, wie sie beide zusammen im vorigen Jahre dieses Zimmerchen eingerichtet hatten, mit welcher Lust und Liebe! Es war ihr, wie wenn eine eisige Hand nach ihrem Herzen griffe, als sie nun Kitty erblickte, die auf einem niedrigen Stuhle unmittelbar neben der Tür saß und ihre starren Augen auf eine Ecke des Teppichs gerichtet hielt. Kitty sah zu ihrer Schwester auf; aber der kalte, finstere Ausdruck ihres Gesichtes veränderte sich nicht.
»Ich gehe jetzt und werde lange das Haus nicht verlassen können, und du wirst nicht zu mir kommen dürfen«, sagte Dolly und setzte sich neben sie. »Ich möchte gern noch ein paar Worte mit dir sprechen.«
»Worüber?« fragte Kitty hastig und hob erschrocken den Kopf in die Höhe.
»Worüber sonst als über deinen Kummer?«
»Ich habe keinen Kummer.«
»Rede nicht so, Kitty! Meinst du wirklich, das könnte mir verborgen bleiben? Ich weiß alles. Aber glaube mir, die Sache ist so geringfügig. Wir haben alle so etwas durchgemacht.«
Kitty schwieg; ihr Gesicht hatte einen strengen Ausdruck.
»Er ist nicht wert, daß du dich so um ihn grämst«, fuhr Dolly fort, um geradenwegs zur Sache zu kommen.
»Du meinst, weil er mich verschmäht hat«, erwiderte Kitty; ihre Stimme bebte. »Sprich nicht davon, bitte, sprich nicht davon!«
»Wer hat dir denn das gesagt? So etwas hat kein Mensch gesagt. Ich bin überzeugt, daß er in dich verliebt war und auch jetzt noch in dich verliebt ist; aber . . . «
»Ach, am allerschrecklichsten ist mir dieses Bedauertwerden!« rief Kitty in plötzlich ausbrechendem Zorn. Sie drehte sich auf dem Stuhle hin und her, errötete und arbeitete hastig mit den Fingern, indem sie bald mit der einen, bald mit der anderen Hand an der Gürtelschnalle drückte, die sie fest gefaßt hielt. Dolly kannte diese Angewohnheit ihrer Schwester, mit den Händen um sich zu greifen, wenn sie in Hitze geriet; sie wußte, daß Kitty in solchen Augenblicken der Aufregung imstande war, sich zu vergessen und scharfe Worte zu gebrauchen, die besser ungesprochen blieben; so wollte denn Dolly sie beruhigen; aber es war bereits zu spät.
»Ja, was . . . was willst du mir denn damit zu verstehen geben?« sagte Kitty hastig. »Meinst du, ich hätte mich in einen Menschen verliebt, der nichts von mir wissen will, und ich stürbe nun an dieser Liebe zu ihm? Und das sagt mir meine Schwester und glaubt dabei, daß . . . daß . . . daß sie mir ihre Teilnahme ausdrückt! Ich mag dieses erheuchelte Mitleid nicht!«
»Kitty, du bist ungerecht.«
»Warum quälst du mich?«
»Aber ich will ja ganz im Gegenteil . . . Ich sehe, du bist erbittert.«
Aber Kitty hörte in ihrer Aufregung gar nicht auf sie.
»Ich habe gar keinen Grund, mich zu grämen und mich trösten zu lassen. Ich besitze meinen Stolz, und es wird mir nie in den Sinn kommen, einen Menschen zu lieben, der mich nicht liebt.«
»Aber das sage ich ja auch gar nicht«, suchte Dolly sie zu beschwichtigen und ergriff ihre Hand. »Nur eines möchte ich dich fragen, aber sage mir die Wahrheit! Sag, hat Ljewin mit dir gesprochen?«
Diese Erinnerung an Ljewin schien der armen Kitty den Rest von Selbstbeherrschung zu rauben; sie sprang vom Stuhle auf, schleuderte die Schnalle auf den Boden und rief unter wilden Handbewegungen ihrer Schwester zu:
»Was soll dabei nun noch Ljewin? Ich verstehe nicht, was du davon hast, mich zu quälen! Ich habe dir schon gesagt und sage es noch einmal, daß ich meinen Stolz besitze und niemals, niemals imstande wäre, zu tun, was du tust: zu einem Manne zurückzukehren, der dir untreu geworden ist und sich in eine andere Frau verliebt hat. Dafür habe ich kein Verständnis! Du kannst das, aber ich kann es nicht!«
Nachdem sie diese Worte hervorgesprudelt hatte, warf sie einen Blick auf ihre Schwester, und als sie sah, daß diese schwieg und traurig den Kopf sinken ließ, da setzte sich Kitty, anstatt, wie sie beabsichtigt hatte, aus dem Zimmer zu gehen, wieder auf den Stuhl an der Tür, verbarg ihr Gesicht im Taschentuche und beugte den Kopf tief hinunter.
Das Schweigen dauerte mehrere Minuten. Dolly dachte an sich selbst. Ihre Demütigung, die sie stets empfand, war ihr dadurch, daß die Schwester sie daran erinnert hatte, besonders schmerzlich zum Bewußtsein gekommen. Eine solche Grausamkeit hatte sie von der Schwester nicht erwartet, und sie zürnte ihr deswegen. Aber plötzlich hörte sie das Rascheln eines Kleides und zugleich den Ton eines hervorbrechenden und dann verhaltenen Schluchzens; zwei Arme umschlangen von unten her ihren Hals. Kitty lag vor ihr auf den Knien.
»Liebe Dolly! Ich bin ja so unglücklich, so unglücklich!« flüsterte sie reumütig.
Und sie verbarg ihr liebes, von Tränen überströmtes Gesichtchen in Dollys Schoße.
Als