Unterm Rad. Hermann Hesse
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„Ja, Sackerlot, hast du denn bestanden?“
Hans nickte.
„Gut?“
„Ich bin der Zweite geworden.“
Das hatte der Alte doch nicht erwartet. Er wußte gar nichts zu sagen, klopfte dem Sohn fortwährend auf die Schulter, lachte und schüttelte den Kopf. Dann öffnete er den Mund, um etwas zu sagen. Doch sagte er nichts, sondern schüttelte nur wieder den Kopf.
„Donnerwetter!“ rief er schließlich. Und noch einmal: „Donnerwetter!“
Hans stürzte ins Haus hinein, die Treppen hinan und auf den Dachboden, riß einen Wandschrank in der leerstehenden Mansarde auf, kramte darin herum und zog allerlei Schachteln und Schnurbündel und Korkstücke heraus. Es war sein Angelzeug. Nun mußte er vor allem eine schöne Rute dazu schneiden. Er ging zum Vater hinunter.
„Papa, leih mir dein Sackmesser!“
„Zu was?“
„Ich muß eine Gerte schneiden, zum Fischen.“
Der Papa griff in die Tasche.
„Da,“ sagte er strahlend und großartig, „da sind zwei Mark, du kannst dir ein eigenes Messer kaufen. Geh aber nicht zum Hanfried, sondern drüben in die Messerschmiede.“
Nun ging’s im Galopp. Der Messerschmied fragte nach dem Examen, bekam die frohe Botschaft zu hören und gab ein extraschönes Messer her. Flußabwärts, unterhalb der Brühelbrücke, standen schöne, schlanke Erlen- und Haselstauden, dort schnitt er sich nach langem Auswählen eine fehlerlose, zäh federnde Rute und eilte damit nach Hause zurück.
Mit gerötetem Gesicht und glänzenden Augen ging er an die fröhliche Arbeit des Angelrüstens, die ihm fast so lieb wie das Fischen selber war. Den ganzen Nachmittag und Abend saß er darüber. Die weißen, braunen und grünen Schnüre wurden sortiert, peinlich untersucht, geflickt und von manchem alten Knoten und Wirrwarr befreit. Korkstücke und Federkiele in allen Formen und Größen wurden probiert oder neu geschnitzt, kleine Bleistücke von verschiedenem Gewicht in Kugeln gehämmert und mit Einschnitten versehen, zum Beschweren der Schnüre. Dann kamen die Angelhaken, von denen noch ein kleiner Vorrat da war. Sie wurden teils an vierfachem schwarzen Nähfaden, teils an einem Rest Darmsaite, teils an zusammengedrehten Roßhaarschnüren befestigt. Gegen Abend war alles fertig und Hans war nun sicher, in den langen sieben Ferienwochen keine Langeweile haben zu müssen, denn mit der Angelrute konnte er ganze Tage allein am Wasser zubringen.
Zweites Kapitel
So müssen Sommerferien sein! Über den Bergen ein enzianblauer Himmel, wochenlang ein strahlend heißer Tag am andern, nur je und je ein heftiges, kurzes Gewitter. Der Fluß, obwohl er seinen Weg durch so viel Sandsteinfelsen und Tannenschatten und enge Täler hat, war so erwärmt, daß man noch spät am Abend baden konnte. Rings um das Städtchen her war Heu- und Öhmdgeruch, die schmalen Bänder der paar Kornäcker wurden gelb und goldbraun, an den Bächen geilten mannshoch die weißblühenden, schierlingartigen Pflanzen, deren Blüten schirmförmig und stets von winzigen Käfern bedeckt sind und aus deren hohlen Stengeln man Flöten und Pfeifen schneiden kann. An den Waldrändern prunkten lange Reihen von wolligen, gelbblühenden, majestätischen Königskerzen, Weiderich und Weidenröschen wiegten sich auf ihren schlanken, zähen Stielen und bedeckten ganze Abhänge mit ihrem violetten Rot. Innen unter den Tannen stand ernst und schön und fremdartig der hohe, steile, rote Fingerhut mit den silberwolligen breiten Wurzelblättern, dem starken Stengel und den hochaufgereihten, schönroten Kelchblüten. Daneben die vielerlei Pilze: der rote, leuchtende Fliegenschwamm, der fette, breite Steinpilz, der abenteuerliche Bocksbart, der rote, vielästige Korallenpilz und der sonderbar farblose, kränklich feiste Fichtenspargel. Auf den vielen heidigen Rainen zwischen Wald und Wiese flammte brandgelb der zähe Ginster, dann kamen lange, lilarote Bänder von Erika, dann die Wiesen selber, zumeist schon vor dem zweiten Schnitte stehend, von Schaumkraut, Lichtnelken, Salbei, Skabiosen farbig überwuchert. Im Laubwald sangen die Buchfinken ohne Aufhören, im Tannenwald rannten fuchsrote Eichhörnchen durch die Wipfel, an Rainen, Mauern und trockenen Gräben atmeten und schimmerten grüne Eidechsen wohlig in der Wärme, und über die Wiesen hin läuteten endlos die hohen, schmetternden, nie ermüdenden Zikadenlieder.
Die Stadt machte um diese Zeit einen sehr bäuerlichen Eindruck; Heuwagen, Heugeruch und Sensendengeln erfüllte die Straßen und Lüfte; wenn nicht die zwei Fabriken gewesen wären, hätte man geglaubt, in einem Dorf zu sein.
Früh am Morgen des ersten Ferientages stand Hans schon ungeduldig in der Küche und wartete auf den Kaffee, als die alte Anna noch kaum aufgestanden war. Er half Feuer machen, holte Brot vom Becken, stürzte schnell den mit frischer Milch gekühlten Kaffee hinunter, steckte Brot in die Tasche und lief davon. Am oberen Bahndamm machte er halt, zog eine runde Blechschachtel aus der Hosentasche und begann fleißig Heuschrecken zu fangen. Die Eisenbahn lief vorüber — nicht im Sturm, denn die Linie steigt dort gewaltig, sondern schön behaglich, mit lauter offenen Fenstern und wenig Passagieren, eine lange, fröhliche Fahne von Rauch und Dampf hinter sich flattern lassend. Er sah ihr nach und sah zu, wie der weißliche Rauch verwirbelte und sich bald in die sonnigen, frühklaren Lüfte verlor. Wie lang hatte er das alles nimmer gesehen! Er tat große Atemzüge, als wolle er die verlorene schöne Zeit nun doppelt einholen und noch einmal recht ungeniert und sorgenlos ein kleiner Knabe sein.
Das Herz klopfte ihm vor heimlicher Wonne und Jägerlust, als er mit der Heuschreckenschachtel und dem neuen Angelstock über die Brücke und hinten durch die Gärten zum Gaulsgumpen, der tiefsten Stelle des Flusses, schritt. Dort war ein Platz, wo man, an einen Weidenstamm gelehnt, bequemer und ungestörter fischen konnte als sonst irgendwo. Er wickelte die Schnur ab, tat ein kleines Schrotkorn daran, spießte erbarmungslos eine feiste Heuschrecke auf den Haken und schleuderte die Angel mit weitem Schwung gegen die Flußmitte. Das alte, wohlbekannte Spiel begann: die kleinen Blecken schwärmten in ganzen Scharen um den Köder und versuchten ihn vom Haken zu zerren. Bald war er weggefressen, eine zweite Heuschrecke kam an die Reihe, und noch eine, und eine vierte und fünfte. Immer vorsichtiger befestigte er sie am Haken, schließlich beschwerte er die Schnur mit einem weiteren Schrotkorn, und nun probierte der erste ordentliche Fisch den Köder. Er zerrte ein wenig daran, ließ ihn wieder los, probierte nochmals. Nun biß er an — das spürt ein guter Angler durch Schnur und Stock hindurch in den Fingern zucken! Hans tat einen künstlichen Ruck und begann ganz vorsichtig zu ziehen. Der Fisch saß, und als er sichtbar wurde, erkannte Hans ein Rotauge. Man kennt sie gleich am breiten, weißgelblich schimmernden Leib, am dreieckigen Kopf und namentlich an dem schönen, fleischroten Ansatz der Bauchflossen. Wie schwer mochte er wohl sein? Aber ehe er es schätzen konnte, tat der Fisch einen verzweifelten Schlag, wirbelte angstvoll über die Wasserfläche und entkam. Man sah ihn noch, wie er sich drei-, viermal im Wasser umdrehte und dann wie ein silberner Blitz in die Tiefe verschwand. Er hatte schlecht gebissen.
In dem Angler war nun die Aufregung und leidenschaftliche Aufmerksamkeit der Jagd erwacht. Sein Blick hing scharf und unverwandt an der dünnen braunen Schnur, da wo sie das Wasser berührte, seine Backen waren gerötet, seine Bewegungen knapp, rasch und sicher. Ein zweites Rotauge biß an und kam heraus, dann ein kleiner Karpfen, für den es fast schade war, dann hintereinander drei Kresser. Die Kresser freuten ihn besonders, da der Vater sie gerne aß. Sie werden höchstens handlang, haben einen fetten, kleinschuppigen Leib, dicken Kopf mit drolligem weißen Bart, kleine Augen und einen schlanken Hinterleib. Die Farbe ist zwischen grün und braun und spielt, wenn der Fisch ans Land kommt, ins