Das Geisterschiff. Hubert Haensel

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Das Geisterschiff - Hubert Haensel HOPF Autorenkollektion

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      »Zigarrenförmig. Offensichtlich Sol-Typ wie unsere MADELEINE, wenn auch modifiziert«, erkannte Swensson.

      Die übergroßen Stabilisierungsflossen im Heckbereich und erst recht nicht die in der Rumpfmitte befindliche kugelförmige Ausbuchtung passten zu einem irdischen Schiff. Auch keines der bekannten raumfahrenden Völker baute so.

      Und das seltsame Leuchten, das den Raumer umgab. War es ein besonderer energetischer Schutzschirm?

      »So etwas habe ich nie gesehen«, sagte Kincaid. »Dabei fliege ich seit meinem zwölften Lebensjahr von einem Stern zum nächsten.«

      »Du meinst, wir haben es mit Fremden zu tun?«

      »Man muss nur eins und eins zusammenzählen, um zu diesem Schluss zu kommen.«

      Mit einem Schlag wurde es dunkel. Selbst die vielen kleinen Kontrollskalen und Anzeigen, die für gewöhnlich ihren flackernden Schein durch die Zentrale schickten, erloschen.

      »Der Ärger reißt nicht ab«, schimpfte Finch. »Das Notaggregat versagt den Dienst.«

      Ein unterdrückter Aufschrei antwortete ihm, gefolgt von dumpfem Poltern. Dann war es totenstill. Erst nach wenigen Sekunden erklang ein zaghaftes Stöhnen. Gleich darauf Swenssons Stimme, fast im Flüsterton.

      »Mich hat jemand heftig angerempelt und gegen die Konsole gestoßen. Mir brummt der Schädel.«

      »Wer bitte?«, fragte Finch irritiert. »Keiner außer uns …«

      Wieder polterte es, diesmal unmittelbar vor dem Captain. Die Finsternis ließ absolut nichts erkennen.

      »Ich bin es jedenfalls nicht!«, rief Kincaid. »Ich habe mich nicht von meinem Platz wegbewegt.«

      Eine eisige Hand legte sich auf Captain Finchs Nacken. Er schauderte, drehte sich jedoch sofort im Sessel herum und ließ die Arme vorschnellen. Nur war da nichts, was er hätte festhalten können. Ein leises Kichern hing in der Luft, als wolle sich jemand über seinen Versuch lustig machen.

      »Wer ist da?« Samuel Finch bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Ihm war bewusst, wie banal die Frage klang, aber was hätte er sonst sagen sollen?

      »Du glaubst mir also«, triumphierte Swensson.

      Wieder erklang dieses Kichern.

      »Bei allen Raumgeistern …«, Steven Kincaid verschluckte sich vor Erregung. »Da draußen, das muss das Geisterschiff sein! Man hört schauderhafte Dinge, und es soll so aussehen wie … wie …«

      Als hätte es nur dieser Feststellung bedurft, um eine Reaktion des Unbekannten auszulösen, sprang die Beleuchtung wieder an. Ein schneller Blick in die Runde überzeugte die Männer davon, dass sie nach wie vor allein waren.

      »Sehr farbenprächtig.« Finch lachte beim Anblick von Swenssons blutunterlaufener Stirn. »Das soll ein Geist verursacht haben?«

      Der Bildschirm war ausgeschaltet. Dabei war der Captain sich völlig sicher, während des Energieausfalls nicht einen einzigen Schalter berührt zu haben. Und Swensson und Kincaid waren überhaupt nicht in seine Nähe gekommen.

      »Es spukt!«, stellte Swensson mit Siegermiene fest. »Wir sollten aus diesem Raumsektor verschwinden!«

      Beide Raumer hatten den Punkt erreicht, nach dem ihre Flugbahnen sich wieder voneinander entfernten. Nicht allzu groß, aber trotzdem irgendwie Furcht einflößend stand das fremde Raumschiff vor dem sternenübersäten Hintergrund der Milchstraße. Seine Außenhülle schimmerte im Widerschein der Sterne teils in metallischem Blau, teils kräftig grün, und die vielfältigen Aufbauten waren so exotisch, dass sie bestimmt keiner irdischen Werft entstammten.

      Eine treffende Beschreibung abzugeben, fiel ohnehin schwer. Die Konturen waren alles andere als stabil, sie flossen ineinander, schienen ständig neue Formen und Farben zu bilden.

      Dennoch schien es den vier Raumfahrern, die gebannt jede Veränderung verfolgten, als hätten sie dieses Schiff irgendwann schon gesehen. Sie wussten nur nicht, wann und wo. Es war fremd, trotzdem wirkte es vertraut.

      »Wir sollten beschleunigen und verschwinden, solange wir die Möglichkeit dazu haben!«, drängte Swensson.

      Captain Finch zögerte. Vielleicht aus Neugierde – wer vermochte das zu beurteilen. Jedenfalls zögerte er zu lange.

      Es war, als würde eine riesige Glocke angeschlagen, und den Resonanzkörper bildete die MADELEINE. Die isolierenden Schichten in der Außenhülle warfen die Schwingungen zurück und verstärkten sie binnen Sekunden zu einem einzigen mächtigen Gong.

      Die Sterne überschlugen sich, wurden zu schmalen, gebogenen Linien. Der Überriese Debair erschien wieder im Erfassungsbereich der Optik. Auch wenn die Instrumente nichts dergleichen anzeigten, der Frachter rotierte mit einem Mal um eine Diagonalachse.

      Zunehmend schneller erfolgte der Wechsel: das Dunkel des Weltraums ‒ der glühende Schein der Sonne …

      Dunkel ‒ grell ‒ dunkel ‒ grell … Ein Chaos aus Farben und Gefühlen griff nach der Besatzung des Frachters.

      Die Belastung setzt enorme Kräfte frei, erkannte der Captain. Wenn die MADELEINE nicht standhält, sind wir verloren.

      Wie oft hatte er ein klägliches Ende prophezeit, irgendwo in der endlosen Einsamkeit zwischen den Sternen. Nun schien es gekommen, und Finch fühlte trotz allem Trauer, er wollte das Unvermeidliche nicht akzeptieren, sich dagegen aufbäumen …

      Der Antigrav versagte, erste Andruckkräfte wurden wirksam. Der Captain spürte, wie ihm das Bewusstsein schwand. Er wollte sich zur Wehr setzen, dagegen ankämpfen, aber er schaffte es nicht. Er nahm nicht einmal mehr das irisierende Leuchten wahr, das die MADELEINE umfloss und unaufhaltsam ins Schiff vordrang.

      *

      Mehr als eine Stunde war vergangen, in der das fremde Raumschiff Kurs und Geschwindigkeit der MADELEINE angepasst und außerdem die Rotation des Frachters mithilfe von Magnetfeldern aufgehoben hatte.

      Höchstens hundert Meter trennten beide Raumer voneinander. Eine Gestalt im Raumanzug löste sich aus dem Schlagschatten des unbekannten Schiffes und strebte der MADELEINE entgegen.

      Es war zweifellos ein Mensch, der den Frachter betrat, nachdem er die Außenschleuse überraschend schnell geöffnet hatte. Zielstrebig bewegte er sich durch die engen Korridore. Einem Beobachter wäre keineswegs entgangen, dass er sich an Bord genauestens auskannte. Das Zentraleschott glitt vor ihm zur Seite. Er sah sich vorsichtig um und nickte zufrieden. Die Besatzung war ohne Bewusstsein. Was der Mann auch beabsichtigte, von dieser Seite hatte er keine Störung zu befürchten.

      Neben dem Sessel des Kommandanten verharrte er eine Weile. Ein Hauch von Wehmut lag in seinen Augen, ein feuchter Schimmer, und um seine Mundwinkel zuckte es.

      Captain Samuel Finch und der Fremde waren einander ähnlich wie ein Ei dem anderen. Der Fremde wirkte jedoch älter, reifer und in seiner ganzen Ausstrahlung erfahrener. An seinen Schläfen zeichneten sich erste graue Haare ab. Obwohl er biologisch kaum älter als fünfzig Jahre sein mochte, sprach aus seinem Blick die Erfahrung eines sehr langen Lebens. Die Art und Weise, wie er sich bewegte, zeugte von weit mehr Elan und Willensstärke, als Captain Samuel Finch je besessen

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