Pandemie!. Slavoj Žižek

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Pandemie! - Slavoj Žižek Passagen Thema

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nicht verhindern werden. Maßnahmen, die den meisten von uns heute als „kommunistisch“ erscheinen, müssen auf globaler Ebene in Betracht gezogen werden: Die Abstimmung von Produktion und Distribution muss außerhalb der Koordinaten des Marktes stattfinden. Man sollte sich hier an die große Hungersnot erinnern, die Irland in den 1840er-Jahren verwüstet hat: Millionen von Menschen sind gestorben oder wurden gezwungen, das Land zu verlassen. Der britische Staat bewahrte seinen Glauben an die Marktmechanismen und exportierte weiterhin Nahrungsmittel aus Irland, während unzählige Menschen hungerten. Wir müssen hoffen, dass eine ähnlich brutale Lösung heute nicht mehr akzeptabel ist.

      Man könnte die gegenwärtige Corona-Pandemie als eine umgekehrte Version von H. G. Wells’ Krieg der Welten (1897) verstehen. In dieser Geschichte entdeckt der verzweifelte Held und Erzähler, dass die Marsianer durch einen Angriff heimischer Erreger, gegen die sie keine Immunität besitzen, getötet werden, nachdem sie die Erde erobert haben: „die Marsleute lagen […] erwürgt, nachdem alle Anschläge der Menschen fehlgeschlagen hatten, von den niedrigsten Wesen, die Gott in seiner Weisheit ins Leben gerufen hat“.6 Interessanterweise ist der Plot Wells zufolge nach einer Diskussion mit seinem Bruder Frank entstanden, in der es um den katastrophalen Effekt der Briten auf die indigene Bevölkerung von Tasmanien ging. Was würde passieren, fragte er sich, wenn die Marsianer den Briten das antäten, was die Briten der indigenen Bevölkerung Tasmaniens angetan hatten? Diesen fehlten jedoch die tödlichen Erreger, um die Invasoren abzuwehren.“7 Vielleicht sollte man eine Pandemie, die droht, die Weltbevölkerung zu dezimieren, so behandeln, als drehte sie Wells’ Geschichte um: Die „Invasoren vom Mars“, die das Leben auf der Erde rücksichtslos ausbeuten und zerstören, sind wir selbst, die Menschheit; und jetzt, da alle Mittel der hochentwickelten Primaten, sich gegen uns zu wehren, versagt haben, werden wir von den „niedrigsten Wesen, die Gott in seiner Weisheit ins Leben gerufen hat“ bedroht: von dummen Viren, die sich blind reproduzieren – und mutieren.

      Natürlich sollten wir die sozialen Bedingungen, die die Corona-Pandemie ermöglicht haben, detailliert analysieren. Bedenken Sie nur, dass es in der vernetzten Welt von heute möglich ist, dass eine britische Person jemanden in Singapur trifft, dann nach England zurückkehrt, in Frankreich Skifahren geht und dort vier weitere Menschen infiziert … Die üblichen Verdächtigen warten nur darauf, verhört zu werden: die Globalisierung, der kapitalistische Markt, die Mobilität der Reichen. Man sollte jedoch der Versuchung widerstehen zu glauben, hinter der aktuellen Pandemie verberge sich eine tiefere Bedeutung: die harte, aber gerechte Strafe für eine Menschheit, die die anderen Lebensformen der Erde rücksichtslos ausbeutet. Wenn wir nach solchen verborgenen Bedeutungen suchen, bleiben wir vormodern: denn wir behandeln das Universum als einen Kommunikationspartner. Auch wenn unser bloßes Überleben bedroht ist, liegt doch etwas Beruhigendes in der Tatsache, dass wir bestraft werden, dass sich das Universum (oder gar irgendjemand da draußen) mit uns beschäftigt. Wir spielen auf irgendeine profunde Weise eine wichtige Rolle. Was jedoch schwierig zu akzeptieren ist, ist die Tatsache, dass die aktuelle Pandemie das Ergebnis natürlichen Zufalls in seiner reinsten Form ist. Es ist einfach passiert. Es verbirgt sich keine tiefere Bedeutung dahinter. In der großen Ordnung der Dinge sind wir bloß irgendeine Spezies ohne besondere Bedeutung.

      Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu hat den palästinensischen Behörden als Reaktion auf die Gefahr eines Corona-Ausbruchs angeboten, zu helfen und zu koordinieren. Das hat er nicht aus bloßer Güte oder menschlicher Rücksicht getan, sondern einfach deshalb, weil es in dieser Hinsicht unmöglich ist, zwischen Juden und Palästinensern zu unterscheiden. Wenn eine Gruppe betroffen ist, wird die andere zwangsläufig auch leiden. Dies ist die Realität, die wir in Politik umsetzen sollten. Es ist Zeit, das Motto „America First“ (oder was auch immer sonst) fallen zu lassen. Wie Martin Luther King vor über einem halben Jahrhundert gesagt hat: „Es mag sein, dass wir alle auf unterschiedlichen Schiffen hier angekommen sind, aber jetzt sitzen wir im selben Boot.“

      Warum sind wir dauernd müde?

      In der Corona-Pandemie begegnen wir zwei gegensätzlichen Figuren, die das Alltagsleben bestimmen: Einerseits medizinisches Fachpersonal und Pflegekräfte, die überarbeitet sind und sich am Rand der Erschöpfung befinden, andererseits diejenigen, die nichts zu tun haben, weil sie gezwungenermaßen oder freiwillig zu Hause bleiben. Da ich zu der zweiten Gruppe gehöre, fühle ich mich dazu verpflichtet, diese missliche Lage dafür zu nutzen, eine kurze Reflexion über die verschiedenen Arten der Müdigkeit anzustellen. Dabei werde ich das offensichtliche Paradox ignorieren, das darin liegt, dass erzwungene Untätigkeit uns müde macht. Aber beginnen wir bei Byung-Chul Han, der eine systematische Erklärung dafür vorgelegt hat, inwiefern und warum wir in einer Müdigkeitsgesellschaft leben.8 Schamlos, aber dankbar, kopiere ich eine kurze Zusammenfassung von Byung-Chul Hans Meisterwerk desselben Namens aus der Wikipedia:

      Angetrieben von der Forderung, durchzuhalten und nicht zu scheitern, sowie von dem Ehrgeiz, effizient zu sein, werden wir gleichermaßen zu Tätern und Opfernden. So geraten wir in einen Strudel von Abgrenzung, Selbstausbeutung und Zusammenbruch. „In der immateriellen Produktion besitzt jeder ohnehin sein Produktionsmittel selbst. Das neoliberale System ist kein Klassensystem im eigentlichen Sinne mehr. Es besteht nicht aus Klassen, die sich zueinander antagonistisch verhielten. Darin besteht gerade die Stabilität dieses Systems.“9 Han behauptet, dass die Subjekte beginnen, sich selbst auszubeuten: „Jeder ist heute ein selbstausbeutender Arbeiter seines eigenen Unternehmens. Jeder ist Herr und Knecht in einer Person. Auch der Klassenkampf verwandelt sich in einen inneren Kampf mit sich selbst.“10 Das Individuum ist zu dem geworden, was Han das „Leistungssubjekt“ nennt; die Individuen glauben nicht, dass sie unterworfene „Subjekte“ sind, sondern eher „ein freies, sich immer neu entwerfendes, neu erfindendes Projekt“.11 Dieses erweise sich „selbst als eine Zwangsfigur, sogar als eine effizientere Form der Subjektivierung und Unterwerfung. Das Ich als Projekt, das sich von äußeren Zwängen und Fremdzwängen befreit zu haben glaubt, unterwirft sich nun inneren Zwängen und Selbstzwängen in Form von Leistungs- und Optimierungszwang.“12

      Obwohl Han einige einleuchtende Beobachtungen über die neue Art der Subjektivierung anstellt, von denen wir viel lernen können (was er erkennt, ist die heutige Form des Über-Ichs), müssen doch einige kritische Punkt angemerkt werden. Erstens sind die Zwänge und Selbstzwänge nicht bloß intern: Es werden neue und strenge Verhaltensregeln durchgesetzt, vor allem unter den Mitgliedern der neuen „intellektuellen“ Klasse. Denken wir nur an die Zwänge durch die Political Correctness, die einen eigenen Bereich des „Kampfes mit sich selbst“, gegen die eigenen „unkorrekten“ Versuchungen darstellt. Oder denken wir an das folgende Beispiel einer sehr externen Einschränkung: Vor einigen Jahren hat der Filmemacher Udi Aloni einen Besuch des palästinensischen Freiheitstheater Jenin in New York organisiert. In der New York Times wurde ein Bericht über diesen Besuch abgedruckt, der fast nicht veröffentlicht worden wäre. Denn als Aloni darum gebeten wurde, für den Artikel seine jüngste Veröffentlichung zu nennen, erwähnte er einen Band, für den er als Herausgeber agiert hatte. Das Problem war jedoch, dass das Wort „bi-national“ im Untertitel stand. Da die New York Times Angst davor hatte, die israelische Regierung zu verärgern, forderte sie ihn dazu auf, dieses Wort zu streichen; sonst würde der Bericht nicht erscheinen.

      Oder nehmen wir ein anderes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Die britisch-pakistanische Schriftstellerin Kamila Shamsie hat einen Roman mit dem Titel Home Fire, eine erfolgreiche modernisierte Version von Antigone, geschrieben. Für diesen Roman hat sie mehrere internationale Preise erhalten, darunter auch den von der deutschen Stadt Dortmund vergebenen Nelly-Sachs-Preis. Als jedoch bekannt wurde, dass Shamsie die BDS-Bewegung unterstützt, wurde ihr der Preis nachträglich wieder aberkannt. In der Begründung hieß es, dass die Jury, als sie die Entscheidung zur Preisvergabe gefällt hatte, „nicht wusste, dass die Autorin seit 2014 die Boykottmaßnahmen unterstützt, die sich gegen die Palästina-Politik der israelischen Regierung richten.“13 Die heutige Lage sieht folgendermaßen aus: Peter Handke hat

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