Walden oder Leben in den Wäldern. Henry David Thoreau
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Im Spätherbst des Jahres 1845 versah er sein Häuschen mit Bewurf und baute einen Kamin. Jetzt erst wurde sein Haus sein Heim. Doch war er täglich stundenlang bei jedem Wind und Wetter im Freien, machte heute einer einsamen Edeltanne Besuch, die einige Meilen entfernt auf einem Hügel wuchs und ging morgen zu einem Murmeltier, mit dem er sich „verabredet hatte“. Die langen Abendstunden benutzte er dazu, die Notizen, die er während seiner Wanderungen flüchtig niedergeschrieben hatte, in sein Tagebuch zu übertragen. Auf Emersons Rat hatte Thoreau kurz nach der Studentenzeit in Harvard begonnen, täglich seine Gedanken und Beobachtungen aufzuzeichnen — ein Tagebuch zu führen. Er setzte es — auch hierin eine Ausnahme unter Tausenden, wie Torrey sehr richtig bemerkt — getreulich bis zu seinem Tode fort. Diese Tagebücher sind erhalten: mehr als dreissig Bände, von denen manche mehr als hunderttausend Worte enthalten. Sie sind ein Denkmal des Sehnens und Strebens, des hohen Fluges dieses reinen Menschen, ein Schatz herrlicher Gedanken, haarscharfer Naturbeobachtungen und wunderbarer Landschaftsbilder. Unaufhörlich hat Thoreau an diesen Tagebüchern gearbeitet. Jeder Satz wurde auf das gewissenhafteste erwogen und gefeilt. Seine Absicht, aus diesen Tagebüchern „ein Buch der Jahreszeiten zu schaffen, in welchem jede Seite unter freiem Himmel in der jeweiligen Jahreszeit geschrieben sein sollte“ wurde von Blake ausgeführt, der aus ihnen mit grosser Sorgfalt und Liebe die drei Werke: Sommer, Winter und Herbst zusammenstellte. Eine stimmungsvolle deutsche Übersetzung des ,,Winter“ ist bereits bei Karl Lucas, Paderborn erschienen. Und obwohl ferner viele Gedanken unmittelbar aus diesen Tagebüchern in seine Werke überflossen, bleibt doch eine solche Fülle kostbarer Früchte zurück, dass wir mit Freude die im Januar dieses Jahres begonnenen Publikationen aus diesen Tagebüchern in „The Atlantic Monthly“ (Boston) begrüssen müssen.
Es ist indessen falsch, anzunehmen, dass Thoreau während seines Aufenthaltes am Walden menschliche Gesellschaft mied. Das lag nie in seiner Absicht. Er ging in jeder Woche mehrfach zum Dorf, auch im tiefsten Winter, schlenderte die Dorfstrasse entlang, sprach mit Freunden und Bekannten, blieb manchmal bis zum späten Abend bei ihnen und kehrte nachts durch die dunklen Wälder zu seiner Hütte zurück. Auch kamen viele — meistens neugierige — Besucher zu ihm. Seine Tür hatte kein Schloss und keinen Riegel, sie stand bei Tag und bei Nacht offen. Vögel kamen in’s Haus geflattert, Bienen in grosser Zahl fühlten sich darin wohl und schliefen bei ihm im Bette, ohne ihn je zu belästigen. Unter dem Fussboden hatte ein Hase Wohnung genommen und früh morgens weckte ihn ein Eichhörnchen, das an den Wänden und auf dem Dach des Hauses auf und ab lief. Am liebsten waren ihm Kinder oder die einfachsten Menschen — Holzfäller, Fischer, Jäger, kurz jene Leute, die viel mit den ewigen Dingen, fernab vom Menschengetümmel, verkehren. Sie waren einer freundlichen Aufnahme jederzeit sicher. Dilettierende Weltverbesserer dagegen, Schwätzer und heuchlerische Philanthropen, die nicht wussten, wann sie ihren Besuch zu beenden hatten, liess er ohne weiteres allein und „antwortete ihnen aus immer grösserer Entfernung.“ —
Die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten während des Krieges mit Mexiko hatte Thoreau tief verstimmt. Sie trug nur dazu bei, seine Verachtung gegen staatliche Einrichtungen zu steigern. Er weigerte sich beständig, Steuern an eine Regierung zu bezahlen, die sich dazu herabwürdige, den Handel mit Menschen zu billigen. ,,Die Regierung, die überhaupt nicht regiert,“ war seiner Ansicht nach die beste. Der Steuerbeamte, der dieser Weigerung ratlos gegenüberstand, erhielt auf seine Frage, was er nun tun solle, die Antwort: ,,Geben Sie ihr Amt auf.“ Kurze Zeit darauf ward Thoreau im Dorfe, wohin er einen Schuh zum Flicken getragen hatte, verhaftet. Als Emerson hörte, dass sein Freund die Einsiedelei am Walden mit der Gefängniszelle in Concord habe vertauschen müssen, eilte er sofort zu ihm. „Henry, warum sind Sie hier?“ war seine erste Frage. „Warum sind Sie nicht hier,“ lautete Thoreaus ernste Antwort. Er erhielt bald (nachdem seine Familie die geringe Summe bezahlt hatte) seine Freiheit — und auch seinen Stiefel — zurück und wanderte wieder in seine Wälder, „von wo aus er den Staat nirgends erblicken konnte.“ Auch wenn er tagelang von seinem Hause abwesend war, verschloss er nicht die Tür. Abgesehen von einem Bändchen Homer wurde ihm nie etwas gestohlen und nur solche Menschen belästigten ihn, „die den Staat repräsentierten“. Die Jahreseinnahme seiner Farm betrug dreiundzwanzig Dollars, denen an Ausgaben vierzehn Dollars gegenüberstanden. Als Tagelöhner verdiente er sich nebenbei während dieser Zeit zwölf Dollars. Im zweiten Jahre war das Ergebnis noch günstiger.
Zwei Sommer und zwei Winter verbrachte Thoreau am Waldenufer und eine reiche, geistige Ernte ward ihm zuteil. Als der Sommer 1847 herannahte, fühlte er, dass er die Möglichkeiten, die ihm dieses Leben bot, erschöpft habe, dass es nun Zeit sei, eine andere Phase seines Lebens zu beginnen. Am 6. September 1847 zog er von Walden wieder nach Concord. „Warum ich die Wälder verliess“, schrieb er einige Jahre später in sein Tagebuch, „das kann ich wahrlich nicht sagen. Vielleicht trug ich nach Abwechselung Verlangen. Es gab dort ungefähr um die zweite Nachmittagsstunde so etwas wie eine Stockung . . .“ Die herrlichste. Frucht der Waldenjahre, sein ,,Walden“, wurde der Menschheit erst 1854 geschenkt. Aus dem Romantiker, dem Naturschwärmer und Naturforscher seines ersten Werkes war ein Philosoph und Metaphysiker geworden, der oft in epigrammatischem Stil seine Weisheit kündete, die Kühnsten Paradoxe liebte und die Stimmungen der Menschenseele wie der Natur bald mit den zartesten, bald mit den kräftigsten Strichen malte. Burroughs bezeichnet Thoreaus Erstlingswerk und sein Walden ,,als die beiden naturwüchsigsten und antiseptischsten Bücher der