Der Bergpfarrer Box 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
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Als Sebastian durch die Tür ins Freie trat, sah er, auf wen Mechthild Lärchner gewartet hatte. Eben bog der Brandhuber-Loisl um die Ecke des Stalles. Als er den Pfarrer erkannte, wollte er auf der Stelle kehrtmachen.
»Komm’ nur her, du alter Heide«, rief der Geistliche den Alten.
Loisl zögerte, kam dann aber doch herangeschlurft. Natürlich war er nicht rasiert, und Hemd und Hose waren bestimmt keine Sonntagstracht. Sebastian konnte sich allerdings auch nicht erinnern, Loisl jemals in anderen Sachen gesehen zu haben.
Der ›Wunderheiler‹ stand vor ihm und schielte nach der Flasche, die Sebastian in der Hand hielt.
»Kannst du mir mal erzählen, was das für hier für ein Zeug ist?« forderte er den Alten auf.
»Scha… Scha… Schafgarbe und Brennesselsaft«, stotterte der.
»Igitt, und das soll helfen?«
»So steht’s in meinem Buch«, erwiderte Loisl trotzig.
»In welchem Buch denn? Etwa einem medizinischen Werk?«
Loisl zögerte mit der Antwort.
»Nun red’ schon.«
»Das sechste und siebente Buch Moses«, sagte er schließlich und duckte sich dabei, als fürchtete er, geschlagen zu werden.
»Ich hätt’s mir denken können«, schüttelte der Pfarrer seinen Kopf. »Und für diesen Unsinn geben die Leute ihr Geld aus. Es ist nicht zu fassen!«
Er hielt dem Alten die Flasche unter die Nase.
»Vielleicht hilft dein Gebräu wirklich bei irgend etwas. Ganz bestimmt aber nicht bei einer ausgewachsenen Lungenentzündung, und die hat der Lärchner nämlich. Es tät dir net schaden, wenn du den lieben Gott dafür danken würdest, daß er dich davor bewahrt hat, einen Menschen vorzeitig ins Grab zu bringen. Das wäre nämlich passiert, wenn der Doktor Wiesinger net dahintergekommen wäre, was du hier treibst. Also, schleich’ dich. Deine Medizin behalt’ ich besser. Du wärst imstande, sie noch ’mal zu verkaufen.«
Alois Brandhuber drehte sich um und machte, daß er davonkam, heilfroh, daß es nicht mehr, als diese Standpauke gegeben hatte.
Dabei grinste er über das ganze Gesicht.
*
»Großvater, ich bitt’ dich, nimm doch Vernunft an!«
Veronika war der Verzweiflung nahe. Seit Tagen versuchte sie vergeblich, dem alten Senner klarzumachen, daß sie wieder abreisen müsse. Urban wollte einfach nicht zuhören und tat jede ihrer Bitten mit einer unwirschen Handbewegung ab.
Gott sei Dank hatte er sie zumindest wieder aus dem Verschlag herausgelassen. An die Nacht, die sie dort drinnen hatte zubringen müssen, wollte das Madel gar nicht mehr denken.
Was sollte sie nur tun? Fortlaufen?
Davon hielten sie zwei Dinge ab. Zum einen wurde ihr allmählich klar, daß der Großvater krank war und Hilfe brauchte, zum anderen kannte sie sich hier oben überhaupt nicht aus. Als sie vor mehr als einer Woche angekommen war, da hatte ein freundlicher Bauer sie aus dem Tal mit heraufgenommen und bis an den Weg gebracht, der direkt zu der Sennerhütte führte. Veronika hatte damals nicht auf den Weg geachtet, dazu war sie viel zu nervös gewesen. Immerhin sollte sie in wenigen Augenblicken einem nahen Verwandten gegenüberstehen, den sie noch nie gesehen hatte. Jetzt würde sie den Weg zurück alleine niemals finden.
Es war aber auch wie verhext. In den vergangenen Tagen waren fast immer Wanderer zur Hütte gekommen, doch seit dem Wochenende hatte sich niemand mehr blicken lassen. Dann hätte sie Christian zumindest eine Nachricht zukommen lassen können.
Bestimmt machte er sich die größten Sorgen um sie. Er hatte sie ohnehin nicht allein fahren lassen wollen. Doch war es ihm unmöglich gewesen, sie zu begleiten – zwei Tage später sollte er ein paar wichtige Kunden der Bank empfangen, mit denen er die ganze Woche zu tun hatte –, so daß er schweren Herzens einwilligte.
Immerhin konnte sie sich relativ frei bewegen, Urban Brandner schien sicher zu sein, daß sein Enkelkind nicht fortlaufen würde.
*
Christian war überrascht, wie schön das Dorf gelegen war. Etliche kleine Häuschen, ein paar Läden und die große weiße Kirche prägten das Bild. Mit den majestätischen Bergen im Hintergrund bildete es ein romantisches Panorama – ein richtiges Bergdorf eben.
Veronikas Verlobter fuhr langsam auf den Parkplatz eines Hotels, dessen Schild er schon am Ortseingang gesehen hatte. ›Zum Goldenen Löwen‹. Er stieg aus und reckte sich. Beinahe sieben Stunden hatte er nun ununterbrochen im Auto gesessen, und er spürte, wie verspannt er war. Bestimmt auch eine Folge seiner inneren Anspannung.
Der Wirt selber stand am Empfang und begrüßte den Gast.
»Wie lange möchten S’ denn bleiben?« fragte er.
Christian hatte keine Ahnung, wie lange die Suche nach Veronika dauern würde.
»Erst mal drei Tage«, sagte er. »Eventuell verlängere ich dann noch mal.«
»Ist recht«, nickte Sepp Reisinger und händigte die Schlüssel aus. »Der kleine ist für den Nebeneingang des Hotels, falls wir schon mal geschlossen haben. Der größere ist der Zimmerschlüssel. Es ist im ersten Stock.«
Christian nahm die Schlüssel entgegen und holte seine Reisetasche aus dem Auto. Dann ging er die Treppe hinauf. Das Zimmer lag am Ende eines langen Flurs, von dem noch weitere abgingen. Der junge Mann schloß auf und trat ein.
Auch hier wurde er angenehm überrascht. Das Zimmer war hell und freundlich, es roch nach Frische und Sauberkeit. Das Bett machte einen verlockenden Eindruck, und auf dem Tisch am Fenster stand eine Vase mit frischen Blumen.
Christian ging in das angrenzende Bad und wusch sich Gesicht und Hände. Derart erfrischt wäre er am liebsten sofort losgezogen, um Veronika zu suchen, doch er wußte, daß es keinen Zweck haben würde, einfach blindlings loszurennen. Er hatte ja überhaupt noch keine Ahnung, wo er nach ihr suchen sollte. Außer den Namen des Mannes, in dem das Madel seinen Großvater vermutete, hatte er ja gar keinen Anhaltspunkt.
Zudem forderte der Körper sein Recht. Vor lauter Angst und Sorge um Veronika hatte Christian seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen und gegessen. Hinzu kam die anstrengende Autofahrt. Das beste würde sein, zunächst etwas im Restaurant zu essen und sich dann auszuruhen. Inzwischen war es beinahe neun Uhr abends geworden. Der Verkehr war enorm gewesen, außerdem hatte es auf der Autobahn zwei Baustellen gegeben, so daß er für die Fahrt doch länger gebraucht hatte, als er zunächst dachte.
Es waren nur wenige Gäste anwesend, als Christian Wiltinger das Restaurant betrat. Eine freundliche Bedienung brachte ihm gleich die Speisekarte und nahm seine Getränkebestellung auf.
Der junge Mann entschied sich für eine