Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst. Aristoteles
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1. Willensstärke gegenüber dem Trieb
A. Mannhaftigkeit und tapferer Mut
A. Mannhaftigkeit und tapferer Mut
c) Rechter Mut von vollkommener Art
a) Das Wesen
Zunächst also handeln wir von der Mannhaftigkeit, der Eigenschaft des mutigen Mannes. Daß sie das Innehalten der rechten Mitte zwischen Furchtsamkeit und Verwegenheit bedeutet, das ist von uns bereits ausgemacht worden. Wir fürchten uns offenbar vor dem, was bedrohlich ist, und das ist kurz gesagt was uns Leid und Schaden bringt. Darum definiert man denn auch die Furcht als die Erwartung einer bevorstehenden Schädigung. Wir fürchten uns demnach vor allem was ein Übel ist: so vor Schande, Armut, Krankheit, Verlassenheit, Tod indessen mannhafter Sinn zeigt sich doch wohl nicht dem allen gegenüber. Es gibt Dinge, wovor sich zu fürchten pflichtmäßig und löblich, sich nicht zu fürchten verwerflich ist, wie z.B. die Schande. Da ist der, der sich fürchtet ein ehrenwerter und ehrenhafter, und wer sich nicht fürchtet, ein ehrloser Mensch. In übertragenem Sinne sprechen manche wohl auch dabei von Mannhaftigkeit, und in der Tat ist eine gewisse Verwandtschaft mit der Mannhaftigkeit vorhanden; denn auch der Mannhafte ist frei von Furcht. Auch vor Armut oder Krankheit sich zu fürchten ist nicht geboten, überhaupt vor nichts von alledem, was nicht aus einer schlechten Gesinnung stammt und was nicht verschuldet ist. Indessen, wer diesen Dingen gegenüber frei von Furcht ist, ist darum noch nicht mannhaft: nur der Analogie nach erteilt man ihm dies Prädikat. Es gibt Leute, die sich der Gefahr gegenüber, wie sie der Krieg mit sich bringt, mutlos verhalten und doch eine vornehme Gesinnung haben und bei Vermögensverlusten sich gefaßt zeigen. Auch wer sich vor Gewalttaten, die seinem Kinde oder seinem Weibe widerfahren könnten, oder vor Neid und dergleichen fürchtet, ist deshalb noch kein Feigling. Andererseits wieder ist der nicht mannhaft, der unerschrocken bleibt, wenn ihm Geißelung bevorsteht. / Welches sind denn nun die Schrecknisse, denen gegenüber sich einer mannhaft zeigt? Sind es die Übel, die durch Größe hervorragen? Ist doch niemand fähiger als der Mannhafte das Schreckliche zu erdulden; das größte Schrecknis aber ist der Tod. Er ist das Ende, und für den Verstorbenen nimmt man an gibt es weder Gutes noch Übles mehr. Aber auch dem Tode gegenüber zeigt sich doch eigentlich nicht in jeder seiner Formen ein Mensch mannhaft, z.B. nicht bei Todesgefahr zur See oder in Krankheit. In welchen Fällen also? Nicht in denen, die die ruhmvollsten sind? Das sind aber diejenigen, die im Gefolge des Krieges auftreten. Hier ist die Gefahr zugleich die bedrohlichste, aber auch die ruhmvollste. Dem entsprechen denn auch die Ehrenerweisungen, wie sie Republiken und Monarchien gleichmäßig zuerkennen. Im eigentlichen Sinne wird also derjenige mannhaft heißen dürfen, der sich vor dem Tode auf dem Felde der Ehre nicht fürchtet und nicht vor dem, was in unmittelbarer Nähe den Tod droht, wie derartiges am ehesten im Kriege vorkommt. Indessen, der Mannhafte ist allerdings furchtlos auch zur See und in der Krankheit, wenn auch nicht in demselben Sinne wie die Seeleute. Denn jener hat die Hoffnung auf Rettung schon zu einer Zeit aufgegeben und wird durch die Gefahr eines solchen Todes tief erschüttert, wo diese auf Grund ihrer Gewöhnung noch voll guter Hoffnung sind. Andererseits, dazu daß man sich mannhaft benimmt, gehört eine Lage, in der es eine Abwehr gibt oder der Tod rühmlich ist; in den genannten Fällen der Todesgefahr aber ist keines von beiden der Fall.
Nicht für alle Menschen zwar gibt ein und dasselbe Anlaß zur Beunruhigung; manches aber bezeichnet man als menschliche Kraft übersteigend, und dieses ist dann ein Gegenstand der Furcht für jeden vernünftigen Menschen. Die Übel dagegen, die den Menschen zuzustoßen pflegen, sind selbst wieder nach ihrer Größe verschieden und zeigen ein Mehr oder Minder, und dasselbe gilt nun auch von dem, was man dreist auf sich nehmen darf. Wer mannhaft ist, der ist unerschrocken in dem Sinne, wie es sich für einen Menschen ziemt. Er wird also auch Dinge von der bezeichneten Art fürchten; aber er wird, wie es Pflicht und Vernunft gebietet, sich ihnen unterziehen, wo es ein sittliches Gut zu wahren gilt; denn das ist das eigentliche Ziel, das sittliche Gesinnung im Auge hat. Solche Furcht kann stärker und schwächer sein; man kann ferner auch das nicht Bedrohliche fürchten, als wäre es bedrohlich. Die möglichen Abirrungen vom rechten Wege sind dabei die, daß man das fürchtet, was man nicht fürchten sollte, oder daß man es nicht in der Weise fürchtet, wie, oder nicht zu der Zeit, wo man es sollte, oder sonst etwas ähnliches. Das gleiche gilt von dem, was man dreist auf sich nimmt. Wer dem Übel so standhält und wer es so fürchtet, wie das eine oder das andere geboten ist, im Hinblick auf den rechten Zweck, in der rechten Weise und zu der rechten Zeit, und wer im gleichen Sinne sich mutvoll zeigt, der ist der Mannhafte. Denn der Mannhafte benimmt sich im Leiden wie im Tun, so wie Pflicht und Vernunft gebieten. Das Ziel der Betätigung ist jedesmal das, was der befestigten Willensrichtung entspricht, auch bei mannhafter Gesinnung. Solche Gesinnung ist edel, edel ist also auch ihr Ziel. Denn das Ziel ist es, was jedem Tun seinen Charakter verleiht. So ist es denn der sittliche Zweck, um dessentwillen der Mannhafte standhält und sich in seinem Handeln benimmt, wie es einem mannhaften Charakter entspricht.
Was nun auf diesem Gebiete die Verfehlung im Sinne eines Zuweitgehens betrifft, so gibt es kein Wort, um ein Übermaß in der Unbesorgtheit zu bezeichnen, / wir haben schon vorher bemerkt, daß es für eine Menge von Begriffen kein Wort gibt; / man darf aber den, der sich, wie man es den Kelten nachsagt, vor nichts, auch nicht vor einem Erdbeben oder vor einem Seesturm fürchtet, als wahnwitzig oder stumpfsinnig bezeichnen. Wer dagegen in der Kühnheit der Gefahr gegenüber zu weit geht, der heißt tollkühn. Der Tollkühne zeigt sich auch wohl als ein Prahler und als einer, der nur mit der Miene des Mannhaften großtut. Wie der Mannhafte sich zur Gefahr wirklich verhält, so will ein solcher wenigstens sich zu verhalten scheinen und ahmt jenen nach, wo er es vermag. Deshalb sind solche Leute denn auch meistens in aller Kühnheit feige, und während sie in der bezeichneten Weise kühn tun, halten sie in ernster Gefahr nicht stand.
Wer in der Furchtsamkeit zu weit geht, ist feige. Er fürchtet was er nicht und wie er nicht fürchten sollte; alles was dahin gehört, trifft auf ihn zu; auch von Kühnheit aber hat er zu wenig. Doch noch sicherer er kennbar ist er daran, daß er dem Schmerze zu weit nachgibt. Der Feige ist demnach von schwacher Zuversicht, weil er sich vor allem fürchtet, ganz im Gegensätze zum Mannhaften; denn Kühnheit ist ein Zeichen fester Zuversicht. Die Lagen, in denen der Feige, der Kühne und der Mannhafte ihre Art entfalten, sind also dieselben; aber ihr Verhalten ist ein verschiedenes. Die anderen gehen zu weit oder bleiben zurück; der Mannhafte aber hält die rechte Mitte inne, und das im Sinne der Pflicht. Der Verwegene ist vor dem Eintritt der Gefahr schnell fertig und voll Entschiedenheit; in der Gefahr zieht er sich scheu zurück. Der Mannhafte dagegen ist gerade mitten in der Abwehr voll Energie, während er vorher behutsam war.
Wie wir gesehen haben ist also die Mannhaftigkeit die rechte Mitte in den bezeichneten Lagen, wo es sich um dreistes