Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst. Aristoteles
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst - Aristoteles страница 72
Ist es nun, wie wir dargelegt haben, erforderlich, daß wer zum Guten gebildet werden soll, in edlem Sinne erzogen und gewöhnt werde, daß er dann so in löblichen Beschäftigungen weiterlebe und weder willig noch wider Willen niedere Handlungen begehe, so wird dies am ehesten dann der Fall sein, wenn man unter einer vernünftigen, mit physischer Gewalt ausgerüsteten Ordnung lebt. Dem Gebote des Vaters steht solche Gewalt und solcher Zwang nicht zur Seite, überhaupt nicht dem Gebote eines einzelnen Menschen, er müßte denn etwa ein Herrscher sein oder sonst eine ähnliche Stellung einnehmen. Das Gesetz des Staates dagegen besitzt diese zwingende Gewalt, während es zugleich einen Ausdruck der Einsicht und der Vernunft darstellt. Menschen, die sich den Begierden anderer in den Weg stellen, machen sich verhaßt, auch wenn sie recht daran tun; das Gesetz dagegen wird nicht als etwas Widerwärtiges empfunden, wenn es das Vernünftige anbefiehlt.
Nur in dem lakedämonischen Staatswesen oder doch in ganz wenigen außerdem wie es scheint hat der Gesetzgeber auf die Erziehung und die Beschäftigungen der Staatsangehörigen solche Fürsorge verwandt; in den meisten Staaten hat man sich um dergleichen ganz und gar nicht bekümmert, und jeder lebt nach seinem Belieben, indem er nach Art der Kyklopen über seine Frau und Kinder herrscht. Das Beste wäre es ja nun, wenn die Sorge dafür zur Sache der Gemeinschaft und wenn sie verständig betrieben würde; es käme nur darauf an, daß sich dies ins Werk setzen ließe. Findet solche Fürsorge durch die Gemeinschaft aber nicht statt, so müßte man doch wohl annehmen, daß es eines jeden einzelnen Pflicht wäre, für seine eigenen Kinder und für seine Freunde die Mittel der Erziehung zur sittlichen Gesinnung aufzubringen oder dies sich doch zum Zweck zu setzen. Nach dem was wir bemerkt haben sollte man indessen annehmen, daß derjenige der das Amt des Gesetzgebers übernimmt, dazu im höheren Grade imstande ist. Denn die Fürsorge der Staatsgemeinschaft drückt sich offenbar in den Gesetzen aus, und die vernünftige Fürsorge tut es in wertvollen Gesetzen.
Ob diese Gesetze geschrieben oder nicht geschrieben sind, das macht, scheint es, keinen Unterschied, auch nicht ob es einer ist oder ob es viele sind, die durch sie erzogen werden sollen, ebensowenig wie es in der Musik, in der Gymnastik und den anderen Bildungsfächern einen Unterschied macht. Denn wie im Staate Gesetz und Sitte, so übt im Hauswesen die väterliche Ermahnung und der Brauch seine Macht, ja sie leisten es in noch höherem Maße auf Grund der Blutsverwandtschaft und der empfangenen Erweise von liebevoller Gesinnung. Hier ist die Liebe und der Gehorsam durch den natürlichen Zusammenhang das selbstverständlich Vorausgegebene. Hier sind denn auch die Erziehungsmittel je nach der Individualität verschieden, ganz anders als es in der Staatsgemeinschaft der Fall ist. Es ist damit wie in der Medizin. Im allgemeinen ist für den Fieberkranken Ruhe und Enthaltung von Speisen das Zuträgliche, aber im einzelnen Fall doch wieder nicht; und der Fechtmeister schreibt doch wohl auch nicht allen gleichmäßig dieselben Übungen vor. Es ist doch wirklich so, daß man das dem Individuum Angemessene genauer trifft, wenn man dem einzelnen besonders seine Sorgfalt zuwendet, und daß der einzelne auf diese Weise besser erlangt was ihm zuträglich ist. Andererseits wird der Arzt, der Turnlehrer und jeder andere seine Anordnungen für den einzelnen richtiger treffen, wenn er die allgemeine Regel darüber kennt, was allen oder was den Menschen von bestimmter Beschaffenheit taugt; denn die Wissenschaft heißt es handelt vom Allgemeinen, und so ist es. Gleichwohl hindert natürlich nichts, daß man auch für einen einzelnen einmal die richtigen Anordnungen treffe, auch wenn man nicht im Besitze der Wissenschaft ist, vorausgesetzt nur daß man aufmerksam beobachtet hat, was erfahrungsmäßig bei dem einzelnen vorkommt, wie man ja auch wohl sieht, daß mancher als sein eigener Arzt am vorzüglichsten ist, während er einem anderen zu helfen nicht imstande wäre. Nichtsdestoweniger möchte man doch wohl annehmen, daß demjenigen der in einem Fach geschickt oder kundig werden will, zu raten sei, daß er auf das Allgemeine hinsteuere und dieses soweit als möglich zu erkennen trachte. Denn wie gesagt, um das Allgemeine dreht sich die Wissenschaft.
So wird denn auch derjenige, der die Menschen, seien es viele, seien es wenige, durch seine Veranstaltungen besser zu machen die Absicht hat, versuchen müssen, sich die Eigenschaften des Gesetzgebers anzueignen, wenn es wahr ist, daß Menschen durch Gesetze zur Tüchtigkeit angeleitet werden können. Denn einen beliebigen oder diesen gegebenen Menschen in die rechte Verfassung zu versetzen, das vermag nicht der erste beste, sondern wenn irgend jemand, nur ein Kundiger, wie es in der Medizin und überall da der Fall ist, wo es sich um kluge Veranstaltung und einsichtiges Urteil handelt.
Wäre es nun danach unsere Aufgabe zu untersuchen, auf welchem Wege und durch welche Mittel einer die Eigenschaften eines Gesetzgebers erwirbt? Etwa nach dem Gleichnis auf anderen Gebieten durch die in Staatsgeschäften Tätigen? Denn die Tätigkeit des Gesetzgebers gehört ja, wie sich gezeigt hat, ins Gebiet der Staatskunst. Oder sollte bei der Staatskunst nicht augenscheinlich das gleiche gelten wie bei den übrigen Wissenschaften und Fähigkeiten? Hier überall sieht man, wie dieselben Männer eben die Kunst auf andere übertragen, die sie selbst ausüben; so die Ärzte und die Maler. Dagegen sind es die Sophisten, die sich anheischig machen die Staatskunst zu lehren, und doch ist keiner von ihnen wirklich in den Geschäften bewandert. Bewandert darin sind nur die in den Staatsgeschäften Geübten, und diese werden augenscheinlich in ihrer Tätigkeit mehr durch angeborene Fähigkeit und durch Erfahrung geleitet als durch wissenschaftliche Reflexion. Wenigstens sieht man nicht, daß sie über dergleichen Gegenstände schreiben oder reden; und doch wäre dies ohne Zweifel eine verdienstlichere Beschäftigung, als Reden aufzuzeichnen, die vor Gericht oder in der Volksversammlung gehalten werden. Aber man merkt auch nichts davon, daß sie ihre eigenen Söhne oder sonst jemand von ihren Freunden zu bedeutenden Staatsmännern herangebildet hätten. Und doch würden sie es aller Wahrscheinlichkeit nach tun, wenn sie dazu imstande wären. Denn dem Staate könnten sie gar nichts Besseres hinterlassen, und keine andere Fähigkeit würde ihnen als persönlicher Besitz lieber oder als Besitz ihrer lieben Freunde wünschenswerter erscheinen als die, Staatsmänner ausbilden zu können. Und wirklich möchte man glauben, daß es auf die Erfahrung nicht wenig für diesen Zweck ankomme; sonst würde man nicht durch die Übung in Staatsgeschäften zum Staatsmann werden. Darum darf man der Ansicht sein, daß diejenigen, die nach Verständnis der Aufgaben der Staatskunst streben, auf die Erfahrung angewiesen sind.
Den Sophisten, die sich dazu anheischig machen, fehlt deshalb offenbar nicht weniger als alles, um zu Lehrern der Staatskunst tauglich zu sein. Sie wissen überhaupt nicht was die Eigentümlichkeit derselben ist, noch um welche Fragen sie sich dreht. Sonst würden sie sie nicht mit der Rhetorik auf gleiche Linie stellen oder gar sie ihr unterordnen, noch würden sie sich der Meinung hingeben, es sei eine leichte Sache Gesetze zu geben; man brauche ja nur die Gesetze zusammenzustellen, die sich allgemeiner Billigung erfreuen, und die besten auszuwählen. Als ob nicht gerade zu solcher Auswahl das gründlichste Verständnis erforderlich und das richtige Urteil die Hauptsache wäre! Es ist hier gerade wie im Urteil über Kunstwerke. Richtig über jede Leistung urteilt der Erfahrene, der weiß, durch welche Mittel und auf welche Weise sie vollbracht wird und wie alles einzelne zueinander stimmt. Wer keine Erfahrung hat, der muß sich schon zufrieden geben, wenn ihm nur das eine nicht entgeht, ob die Leistung im ganzen wohl oder übel hergestellt ist, wie bei einem Werke der Malerei, Die Gesetze aber stellen doch auch nur Leistungen der Staatskunst dar. Wie soll also einer auf Grund einer Sammlung derselben ein rechter Gesetzgeber werden oder beurteilen können, welche die besten sind? Wird man doch augenscheinlich auch kein geschickter Arzt bloß auf Grund von Lehrbüchern. Und doch versuchen diese letzteren wenigstens nicht nur die Kurmittel anzugeben, sondern auch zu zeigen, wie die einzelnen Patienten geheilt werden können und wie man sie kurieren muß, indem sie die besonderen leiblichen Dispositionen unterscheiden. Es ist ganz glaublich, daß dem Erfahrenen dergleichen zustatten kommen mag; aber wer keine Einsicht in die Sache hat, dem kann es nichts nützen. Das gleiche ist der Fall mit