Elfenzeit 8: Lyonesse. Uschi Zietsch
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Читать онлайн книгу Elfenzeit 8: Lyonesse - Uschi Zietsch страница 6
Kurz bevor sie in die Straße einbogen, hielt Anne ihn am Arm fest. Ihre tiefliegenden dunklen Augen loderten. »Raus damit!«
Er tat unschuldig. »Womit?«
»Das weißt du genau«, fauchte sie. »Soll ich es aus dir rausprügeln?«
»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig«, schmetterte er sie kurz angebunden ab, riss sich los und bog anstatt in die Hauptstraße in eine weitere Nebengasse ein, die in einem Bogen in entgegengesetzter Richtung direkt zum Englischen Garten führte. Vielleicht wäre es gut, noch eine Weile flott spazierenzugehen. Einigermaßen frische Luft zu atmen, den Kopf frei zu bekommen.
Anne war für einen Augenblick so verblüfft, dass sie ein paar Sekunden brauchte, bevor sie ihm nachrannte. So schroff hatte er sich ihr gegenüber nur selten benommen, das konnte sie kaum auf sich sitzen lassen.
»Bleib sofort stehen!«, schrie sie ihn an, packte ihn erneut am Arm und riss ihn zu sich herum. Sie war eher klein, aber sie verfügte über eine gewaltige Körperkraft, bedeutend mehr als jeder Mensch. Und mehr als er. »Niemand springt so mit mir um!«
Er blieb stehen. »Ich will nicht darüber reden, geht das nicht in deinen Kopf?«
»Du wirst darüber reden, und zwar hier und jetzt, oder du wirst dich zuerst von deinem liebsten Körperteil verabschieden, dann vom zweitliebsten … und so fort, bis du nachgibst.«
Zum Glück war niemand in der Nähe. Annes Aussehen hatte sich erschreckend verändert, sie zeigte ihm offen ihre wahre Natur. Immer noch eine Frau, immer noch schön, aber auch feuerspeiend und gefährlich, mit Reißzähnen bewehrt und Augen, in denen die Hölle brannte. Ein völlig fremdes, furchterregendes Wesen stand vor ihm, dessen Krallen Robert mit nur einem einzigen Hieb in Stücke reißen konnten. So musste sie sich zuletzt ihrem Vater gezeigt haben.
Also schön, es hatte keinen Zweck, Anne würde keine Ruhe geben, und Robert hatte keine Lust, seine Einzelteile auf der Straße zusammensuchen und darauf warten zu müssen, bis sie wieder angewachsen waren. Das würde nicht nur äußerst zeitraubend, sondern auch sehr schmerzhaft – vorher und nachher. Und was die Leute erst sagen würden!
Robert sah sich schnell um, niemand in der Nähe. Er würde nicht lange brauchen.
»Ich kann es nicht mehr, verstehst du?«, schrie er zurück. Mit dem Finger tippte er sich gegen die Schläfe. »Da ist nichts mehr drin! Keine Inspiration, kein Antrieb, keine Formulierung. Es ist alles weg!«
Er hob die Arme und ging weiter, auf den großen städtischen Park zu. »Seit ich tot bin, habe ich mit Ach und Krach den letzten Schliff vornehmen können. Aber das war’s!«
Anne beruhigte sich und nahm ihr normales Aussehen an. »Dann brauchst du eben noch Erholung …«, begann sie.
»Ja, für die nächsten paar tausend Jahre«, unterbrach Robert. »Machen wir uns doch nichts vor, Anne – es ist vorbei. Ich bin kein Mensch mehr. Deine Musenkräfte wirken nicht mehr. Ich werde niemals wieder ein Buch schreiben! Nicht einmal ein schlechtes!«
Seine Nasenflügel blähten sich leicht, als er den Park fast erreicht hatte. Sein Geruchssinn empfing die Ausdünstungen von nassem Holz, Schnee, Eichhörnchen und vielen Hunden samt ihren Menschen. Kettenöl von Fahrrädern, Sohlenleder und Plastikschirme gehörten auch dazu. Der Himmel fing an, sich zu beziehen, und der Wind brachte die Vorboten frischen Schneefalls mit sich.
Anne holte ihn erneut ein. Was für eine seltsame Konstellation, sonst war es immer umgekehrt gewesen, dass er hinter ihr herlaufen musste. »Robert …«
Er hielt an und starrte auf sie hinab. »Was?«
Sie legte ihm die Hand auf den Arm, aber diesmal nicht, um ihn hart zu packen. Es wäre fast eine mitfühlende Geste, wenn er es nicht besser wüsste. »Vielleicht …« Sie zögerte.
»Nun sag schon«, brummte er.
»Vielleicht ist auch nur immer nur dieses eine Buch in dir gewesen, Robert. Nie mehr als dieses eine, einzige, großartige und geniale Werk.«
»Oh.«
Mehr brachte er dazu nicht heraus. Das schmerzte tiefer als alles andere. Es bedeutete das Ende jeder Schreibblockade, die er sich einreden mochte, oder die Ausrede, kein Mensch mehr zu sein. Es war eine knallharte Wahrheit, an der sich nichts ändern konnte. Niemals.
»Es tut mir leid, Robert.«
»Tut es das?«
»Ja.« Sie zwang ihn, sie anzusehen. »Ja, verdammt, es tut mir leid! Ich bin eine Muse. Deine Muse! Ich habe das Herz einer Muse, das fühlt und leidet und sich freut. Denkst du, es gefällt mir, dass ich nicht mehr in der Lage bin, einen kreativen Funken in dir anzufachen? Dass er erloschen und Asche ist, für immer? Was bleibt mir dann noch, nachdem ich mit allem gebrochen habe?«
Seine Augen brannten, aber die Drüsen konnten keine Tränen mehr produzieren. Dennoch wischte er sich über die Wangen, ein verbliebener Reflex. »Und mir?«, flüsterte er.
Sie hakte sich bei ihm unter und zwang ihn, mit ihr weiterzugehen. Das Gewicht der Schuhe brachte den Schnee zum Knirschen.
»Wir finden etwas«, versprach Anne fest und sicher. »Wir werden es nicht fatalistisch hinnehmen, nur noch Vampire zu sein. Es wird sich etwas Neues ergeben. Das tut es immer, solange wir einen Sinn darin sehen. Und den habe ich noch lange nicht verloren. Sicher, ich war noch nie in einer so schlimmen Lage wie jetzt, aber es gibt immer noch Schlimmeres. Der Verlust der Unsterblichkeit, beispielsweise. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir bleibt – aber ich werde sie verdammt noch mal nutzen, und du mit mir! Wie du gesagt hast: Wir haben uns. Ich habe meine Entscheidung getroffen, so wie du die deine. Also dann! Schluss mit dem Selbstmitleid. Unsere Existenz hat einen Sinn, solange wir daran glauben.«
Robert fühlte sich augenblicklich getröstet. Anne war so stark. Sie würde ihn nicht verlassen. Das war alles, was zählte.
»Das tu ich, an uns beide«, schloss er und atmete tief durch. Ein Relikt, das allen Vampiren zueigen war. Atmen. Fast wie …
Dann brach es laut aus ihm hervor: »Mann, was für ein Leben!«
2.
Ein Tuch in der Wüste
Der zerfledderte schwarze Fetzen trieb dahin. Trieb über die Welt und suchte nach einem Anker. Mehrmals drohte er abzustürzen, doch jedes Mal geschah es wie durch ein Wunder, dass er davor bewahrt wurde.
Winde kamen auf, aus aller Welt, und bliesen das Tuch weiter.
Sarma war der Erste, brauste von Norden her und trieb den Fetzen übers Meer, und dann übernahmen die Polaren Ostwinde und pusteten ihn voran.
Er wirbelte durch den Äther, und jede Richtung war die seine, es spielte keine Rolle. Auch die Winde ließen die Grenzen fallen, jagten sich gegenseitig über die ganze Welt und spielten dabei mit dem Tuch. Selbst der kleine Joran wagte sich dazu, während Pampero sich aufblies, Galerne und Poniente stritten miteinander und lösten ein Gewitter aus, Baguio und Karif und wie sie alle hießen … bis Zephyr und Boreas, die Göttlichen, eingriffen.
»Die