Maigret auf Reisen. Georges Simenon

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Maigret auf Reisen - Georges  Simenon Georges Simenon

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ist der Rapport?«

      Lucas wühlte in den Papieren auf seinem Schreibtisch und zog ein Formular heraus.

      »Sie ist nicht tot. Deswegen …«

      Maigret überflog die wenigen Zeilen.

      »Ist sie befragt worden?«

      »Ich weiß nicht. Jemand vom 8. Arrondissement war im Krankenhaus in Neuilly. Ich weiß nicht, ob sie ansprechbar war.«

      Maigret ahnte nicht, dass die Comtesse Palmieri und Colonel David Ward in der vergangenen Nacht kurz vor zwei vor dem George-V aus einem Taxi gestiegen waren und der Concierge sich nicht darüber gewundert hatte, dass sie zusammen ihre Schlüssel abholten.

      Auch der Etagenkellner Jules war nicht überrascht gewesen, als er, nachdem man in Suite 332 nach ihm geklingelt hatte, den Colonel bei der Comtesse angetroffen hatte.

      »Wie immer, Jules«, hatte sie gesagt.

      Also eine Flasche Krug 1947 und eine noch original verkorkte Flasche Johnnie Walker. Der Colonel trank keinen Whisky, den er nicht selbst entkorkt hatte.

      Lucas hatte mit einer Rüge gerechnet, aber viel tiefer traf ihn Maigrets überraschter Blick, als hätte der nie mit einer solchen Fehleinschätzung seines ältesten Mitarbeiters gerechnet.

      »Komm, Lapointe.«

      Im Flur begegneten sie einem kleinen Gauner, den Maigret vorgeladen hatte.

      »Komm heute Nachmittag wieder!«

      »Wann genau, Chef?«

      »Wann du willst.«

      »Nehmen wir einen Wagen?«, fragte Lapointe.

      Sie nahmen einen. Lapointe setzte sich ans Steuer. Der Wagenmeister vom George-V hatte bereits Anweisungen erhalten.

      »Sie können den Wagen hierlassen. Ich mache das schon.«

      Alle hatten Anweisungen erhalten. Bei jedem Schritt, den sie taten, öffnete sich den beiden Polizisten eine Tür, und im Handumdrehen waren sie in der 347, wo der Direktor, telefonisch von ihrer Ankunft unterrichtet, sie bereits erwartete.

      Maigret hatte nicht oft im George-V ermittelt, aber zwei-, dreimal war er schon gerufen worden, und er kannte Monsieur Gilles, dem er jetzt die Hand gab. Doktor Frère stand im Salon neben einem kleinen Tisch, auf dem er seine schwarze Tasche abgestellt hatte. Er war ein vornehmer, sehr ruhiger Mann, zu dessen Patienten namhafte Persönlichkeiten zählten und der fast genauso viele Geheimnisse kannte wie Maigret. Allerdings bewegte er sich in einer Welt, zu der die Polizei nur selten Zugang hat.

      »Tot?«

      Ein Blinzeln genügte.

      »Wann ungefähr?«

      »Das wird sich erst nach der Autopsie genau sagen lassen, sofern, wie ich annehme, eine angeordnet wird.«

      »Kein Unfall?«

      »Kommen Sie, sehen Sie selbst …«

      Maigret fand den Anblick der nackten Leiche in der Badewanne genauso unerfreulich wie Monsieur Gilles.

      »Ich habe ihn nicht angefasst, aus medizinischer Sicht war eh nichts mehr zu machen. Man könnte es für einen dieser Unfälle halten, die sich übrigens öfter ereignen, als man denkt. Man rutscht aus, der Kopf schlägt gegen den Badewannenrand und …«

      »Ich weiß. Aber das hinterlässt keine Spuren an den Schultern. Das wollten Sie doch sagen, oder?«

      Auch Maigret hatte die zwei dunklen Flecken auf den Schultern des Toten bemerkt, die aussahen wie Blutergüsse.

      »Sie glauben also, jemand hat nachgeholfen?«

      »Ich weiß es nicht. Mir wäre es lieber, wenn der Gerichtsmediziner das entscheidet.«

      »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal lebend gesehen?«

      »Vor ungefähr einer Woche, als ich der Comtesse eine Spritze gegeben habe.«

      Monsieur Gilles’ Gesicht verdüsterte sich. Hatte er vermeiden wollen, dass man auf sie zu sprechen kam?

      »Eine Comtesse mit italienischem Namen?«

      »Die Comtesse Palmieri.«

      »Die gestern Nacht versucht hat, sich das Leben zu nehmen?«

      »Ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob es ihr damit ernst war. Sie hat in der Tat eine große Menge Phenobarbital genommen. Das macht sie, soweit ich weiß, jeden Abend. Sie hat die Dosis erhöht, aber ich bezweifle, dass es ausgereicht hätte, ihren Tod herbeizuführen.«

      »Ein vorgetäuschter Suizidversuch?«

      »Das frage ich mich auch …«

      Beide waren sie mit Frauen – meistens recht hübsche Frauen! – vertraut, die nach einem Streit, einer Enttäuschung oder einer Liebesgeschichte gerade so viel Schlaftabletten nahmen, dass sie die Symptome einer Vergiftung herbeiführten, ohne aber ihr Leben ernsthaft in Gefahr zu bringen.

      »Der Colonel war also anwesend, als Sie der Comtesse eine Spritze gegeben haben?«

      »Wenn sie in Paris ist, bekommt sie zwei pro Woche. Vitamin B und C. Nichts Ernstes … Erschöpfung … Sie verstehen?«

      »Und der Colonel?«

      Hierauf antwortete Monsieur Gilles lieber selbst:

      »Der Colonel und die Comtesse standen einander sehr nahe. Jeder von ihnen hatte eine eigene Suite. Ich habe mich immer gefragt, warum, denn …«

      »War er ihr Geliebter?«

      »Das war bekannt, sozusagen offiziell. Vor zwei Jahren, wenn ich mich nicht irre, hat der Colonel die Scheidung eingereicht. Man ging davon aus, dass er die Comtesse heiratet, sobald er frei ist.«

      Fast hätte Maigret mit gespielter Naivität gefragt:

      »Was für Kreise?«

      Aber wozu? Das Telefon klingelte. Lapointe sah seinen Chef fragend an. Die Umgebung schüchterte den jungen Inspektor sichtlich ein.

      »Geh ran.«

      »Hallo! … Wie bitte? … Ja, er ist hier … Ja, ich bin’s.«

      »Wer?«, fragte Maigret.

      »Lucas möchte Sie sprechen.«

      »Hallo, Lucas?«

      Um seinen Fehler auszubügeln, hatte der beim Amerikanischen Krankenhaus in Neuilly Erkundigungen eingeholt.

      »Es tut mir so leid, Chef. Ich werde mir das nie verzeihen. Ist sie wieder im Hotel?«

      Die Comtesse Palmieri war aus ihrem Krankenzimmer, wo man sie allein gelassen hatte, verschwunden,

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