Kirchengeschichte(n) für Neugierige. Fabian Vogt

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Kirchengeschichte(n) für Neugierige - Fabian Vogt

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dieses Buch gerne in einem Rutsch durchlesen, andere schauen vielleicht mit einem speziellen Interesse erst einmal nur eine bestimmte Thematik an. Beides ist erlaubt und möglich.

      Ich wünsche mir, dass Ihnen „Kirchengeschichten für Neugierige“ Lust macht, den Schatz von 2000 Jahren geballter Lebenserfahrung (neu) zu heben, den bisweilen etwas vergammelten Deckel der Truhe zu öffnen, den Anblick der Kostbarkeiten zu genießen – und sich auch etwas herauszunehmen. Denn dazu sind Schatzkisten ja da. Behauptet jedenfalls der Pirat in mir. Mir jedenfalls geht es immer wieder so, dass mich das Ringen bedeutender Persönlichkeiten um den rechten Glauben anspornt, meine eigene Spiritualität zu überprüfen. Oder dass ich plötzlich verdutzt feststelle, dass da jemand schon vor 1000 Jahren etwas begriffen hat, das mir bislang nicht zugänglich war. So kann das Eintauchen in die Kirchengeschichte auch dem eigenen Glauben gut tun.

      Eine anregende Lektüre wünscht

       Fabian Vogt

      Einführung

       Eine kleine Reise durch 2000 Jahre

      Die Reise in die Vergangenheit beginnt gleich. Keine Sorge. Doch bevor wir uns einige besonders prägnante Wegmarken der Kirchengeschichte genauer anschauen, sollten wir eine nette philosophische und nicht ganz unwichtige Frage ansprechen: Wiederholt sich die Geschichte eigentlich immer wieder (wie manche Menschen ganz überzeugt behaupten) – oder geht sie von jeher einen geradlinigen Weg? Das ist wichtig. Und es ist für Ihre Lektüre von zentraler Bedeutung. Denn von der Beantwortung dieser Frage hängt es ja ab, ob und wie man überhaupt von den Erfahrungen der Vergangenheit lernen kann. Außerdem stehen dahinter auch andere, nicht weniger knifflige Herausforderungen – wie zum Beispiel diese hier: Hat sich die Menschheit eigentlich als Ganzes in den letzten 2000 Jahren weiterentwickelt oder nicht? Spannende Frage, oder? Was denken Sie? Fortschritt, ja oder nein?

      Ich meine: Einerseits sind die Lebenserwartung und die materielle Versorgungssicherheit in großen Teilen der Welt seit dem römischen Großreich deutlich gestiegen (obwohl die damals auch schon Einkaufszentren, Sportstadien, hochkarätige Theaterinszenierungen und Toiletten mit Wasserspülung hatten). Trotzdem würden wir wohl spontan sagen: Heute geht es den Menschen besser. Deutlich besser sogar. Dazu kommt: Zumindest im Westen denken wir längst global, sind aufgeklärt und emanzipiert und sterben nicht mehr so leicht an Grippe. Außerdem haben wir edel gestaltete Waschmaschinen, Wurstwärmer, Nasenhaarentferner, Tablet-PCs und Nintendos. Und die meisten Menschen, die heute in einer Demokratie leben, wünschen sich auch keinen absolutistischen Staat zurück. Klingt also erst einmal ganz verlockend. Klingt nach einem: „Ja, die Menschheit hat Fortschritte gemacht!“

      Andererseits fanden die (nicht nur zahlenmäßig) verheerendsten Kriege und die brutalsten Völkervernichtungsaktionen der Weltgeschichte in den letzten 100 Jahren statt. Puh! Zudem war der Planet Erde noch niemals so sehr von Vernichtung bedroht wie in unserer Zeit, in der Umweltverschmutzung, Raubbau und Klimawandel wahrhaft jahrtausendealte Gleichgewichte zu vernichten drohen. Und mancher behauptet auch, dass der heutige Finanzmarkt nichts anderes sei als eine Fortführung des prämodernen Raubrittertums mit anderen Mitteln – nur dass die heutigen Geldjongleure nicht nur fahrende Kaufleute, sondern ganze Staaten in den Abgrund reißen. Und dann könnte man auch festhalten: „In mancherlei Hinsicht hat die Menschheit sogar Rückschritte gemacht!“

      Das heißt: Ob ein kleiner Köhler mit elf Kindern im alten Griechenland, ein mittelalterlicher Minnesänger auf der Wartburg oder eine Marketenderin im 17. Jahrhundert wirklich mehr oder weniger glücklich waren als wir, lässt sich nur äußerst schwer feststellen – und auch aus heutiger Sicht kaum beurteilen. Abgesehen davon, dass die moderne Suche nach dem individuellen Glück, die uns von morgens bis abends auf Trab hält, damals insgesamt noch gar nicht so bedeutsam erschien. Wir müssen also sehr achtsam überlegen, woran wir so etwas wie „Entwicklung“ eigentlich festmachen. Und das wird – ob wir wollen oder nicht – immer auch damit zu tun haben, was uns selbst im Leben bedeutsam erscheint und was nicht.

      Die grundsätzliche philosophische Diskussion darüber, ob die Menschheit in ihrer Geschichte Fortschritte macht oder ob sie nur zu mehr Bequemlichkeit tendiert, kann und will ich hier gar nicht führen. Ich möchte nur die Augen dafür öffnen, dass es nicht so leicht ist, Geschichte unter den Aspekten „gut und böse“ oder gar unter „besser und schlechter“ zu betrachten. Weil es dafür keine endgültigen Kriterien gibt. War das Leben früher besser oder schlechter? War es einfacher oder schwerer? Na klar: Wir freuen uns, dass wir heute kein Holz mehr hacken müssen. Aber gefühlte 257 E-Mails am Tag zu beantworten, ist auch kein Zuckerschlecken. Und selbst, wenn es früher im Alltag in vielerlei Hinsicht anstrengender war, war es dann zugleich weniger erfüllt? Wer weiß das? Und auch bei dieser Frage kann man den Horizont gut auf die Ebene der Theologie ausweiten: Natürlich freue ich mich darüber, dass ich heute in Glaubensfragen historisch-kritisch und in großer Freiheit meinen eigenen Weg suchen kann. Aber dann lese ich plötzlich jahrhundertealte Gebete und denke: „So einen starken Glauben möchte ich auch gerne haben!“

      Lassen Sie uns also unsere Ausflüge in die Vergangenheit unvoreingenommen und vorsichtig unternehmen. Nur weil Menschen früher anders gedacht, gehandelt und gehofft haben als wir, sind sie deshalb nicht automatisch besser oder schlechter. Ich betone das, weil viele Menschen (mich eingeschlossen) dazu neigen, auf frühere Zeiten „vom hohen Ross“ herabzuschauen – um einmal einen tradierten Ausdruck zu benutzen. Ja, ich ertappe mich selbst gelegentlich dabei, dass in meiner Vorstellung das „dunkle Mittelalter“ (wie es die „Humanisten“ nannten) oder das „finstere Germanien“ (Zitat von Bonifatius) schon vorab in ein düsteres und fahles Licht getaucht sind. Dann denke ich leicht süffisant: „Mann, muss das alles grau und dunkel gewesen sein!“ Dabei hat damals genauso die Sonne geschienen wie heute. Und es wurde sicherlich auch nicht weniger gelacht und gefeiert.

      Dass wir bei der Beurteilung früherer Epochen achtsam sein sollten und wir die Frage nach dem Fortschritt (zumindest hier) nicht eindeutig klären können, heißt allerdings nicht, dass es keine Muster gäbe, mit deren Hilfe sich geschichtliche Ereignisse auch miteinander vergleichen lassen. Solche Muster gibt es natürlich, und es ist äußerst sinnvoll, sie zu kennen, weil sie helfen, die Wahrnehmung von Geschichte zu strukturieren. Nebenbei: Wenn ich hier im Weiteren von „Mustern“ rede, dann meine ich damit prägnante gesellschaftliche Entwicklungsprozesse, die beschreibbaren Gesetzen gehorchen.

      All diese Muster verhalten sich nach dem bekannten Grundsatz von „Aktion und Reaktion“. Was ist damit gemeint? Nun: Eine historische „Aktion“, etwa ein Veränderungsprozess, reagiert immer auf bestimmte, vorhandene Umstände. Das heißt konkret: Ein „Zeitenwandel“ geschieht nicht spontan und aus heiterem Himmel, sondern wird durch irgendetwas ausgelöst. Es gibt einen guten Grund dafür, dass sich etwas ändert. Sprich: Jede Aktion basiert auf einer Reaktion. Ein Beispiel: Oftmals erleben wir am Ende einer Epoche eine massive Unzufriedenheit in einigen Bevölkerungsgruppen, die so mächtig wird, dass die alten Zustände nicht mehr aufrecht erhalten werden können. Dann reagieren innovative Vordenker mit neuen Lebensmodellen und lösen dadurch „Bewegungen“ aus, die im Weiteren zu einer neuen Epoche führen. (Die allerdings ihrerseits wiederum nach kurzer Zeit für Gegenreaktionen sorgen. Und so weiter.) Weil diese großen Entwicklungsprozesse das eigentlich Spannende an der Geschichte sind, ist es wichtig, nicht nur zu wissen, was zu einer bestimmten Zeit geschehen ist, sondern auch warum. Und es ist dabei hochinteressant zu sehen, wie bestimmte gesellschaftliche Ausprägungen einander quasi abwechseln. Ja, es gibt einige Themen, die seit Jahrhunderten zwischen zwei gegenüberliegenden „Polen“ hin und her schwenken. Immer und immer wieder.

      Die frühen Christen etwa waren in den ersten Jahrhunderten sehr gemeinschaftsorientiert, weil sie als unterdrückte Minderheit im Römischen Reich ihre Stärke vor allem aus

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