Die Nacht der Schakale. Will Berthold

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Die Nacht der Schakale - Will Berthold

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sie Liebesgestöhn und Orgasmusgekeuche längst langweilten. Es war dem Genossen Kammgarn gleichgültig, denn er galt als unersetzlich; er fürchtete die privaten Nachforschungen seiner gealterten eifersüchtigen Ehefrau mehr als die Wanzen sämtlicher Geheimdienste zusammen.

      Lipsky war erst in sowjetischer Kriegsgefangenschaft über das Nationalkomitee Freies Deutschland – mehr hungrig als freiwillig – zum Kommunisten herangereift, seitdem aber voll in das sozialistische Lager integriert. Gelbrich hatte den Spitzbart ein paarmal verbal angerempelt, aber Ulbricht war schon vor seinem Ableben tot gewesen, und so verwandelte sich die Rüpelei später für Gelbrich sogar noch in einen Bonus.

      Konopka erreichte das Ende des Niemandslandes, und der Volkspolizist auf dem Wachturm ließ ihn aus Blick und Visier. Der späte Besucher schritt zügig auf die Willkommensschilder des Freien Berlin zu. Da er öfter durch die Mauer kam und seinen Gegenspielern das Rätsel aufgab, ob er sich nur die Haare schneiden ließ oder seinen V-Leuten Befehle geben wollte (es war ziemlich eindeutig, daß die Ost-Diplomaten mehr oder weniger für ihre Nachrichtendienste arbeiteten), bot für ihn der Westen noch mehr Attraktion als Sensation.

      Auf der Neonseite der Stadt hieß der Übergang Prinzenstraße. Der Kontrollbeamte hatte den späten Besucher bereits erkannt, bevor dieser seinen Paß mit der vorschriftsmäßig aufgeschlagenen Lichtbildseite präsentierte.

      Achtung, sagte sich der Uniformierte: Konopka steht auf der Liste der 97, bei denen Maßnahme A (Anruf) auszulösen ist.

      Verlegenheit im Ost-West-Verkehr überspielt man am besten mit Höflichkeit: »Guten Abend, Herr Konopka«, begrüßte ihn der Polizist und reichte den Ausweis zurück. »Sie kommen zu Fuß?«

      »Wie Sie sehen«, erwiderte der Mann von drüben und setzte dann humorig hinzu: »Bei euch im Westen wird man ja immer zum Trinken genötigt.«

      »Dann Prost, Herr Konopka!« ging der Polizeibeamte auf den Ton ein. »Brauchen Sie ein Taxi?«

      »Vielen Dank«, versetzte der Besucher. »Ich kenn mich hier aus.«

      Der Polizist sah ihm nach, bis die Dunkelheit seine Konturen geschluckt hatte, ging ans Telefon, wählte sechs Ziffern hintereinander. Eine Geheimnummer. Vermutlich eine Außenstelle des Bundesnachrichtendienstes, genau wußte er es selbst nicht. Es war weder üblich, solcherlei Fragen zu stellen, noch sie zu beantworten. Der Anrufer nannte Standort und Namen und setzte dann hinzu: »Max Konopka, er hat um 21 Uhr 58 den Kontrollpunkt passiert.«

      »Mit dem Wagen?«

      »Nein, zu Fuß«, antwortete der Grenzbeamte.

      »Vielen Dank«, schloß die Stimme am anderen Ende und klang nicht mehr schläfrig.

      Obwohl Konopka gewohnt war, sich anzupassen, sah er nicht aus wie einer, der nach Kreuzberg gehört. Er ging gemächlich, ein Herr über Zeit und Geld, der offensichtlich im falschen Stadtteil sein Abenteuer pflücken wollte. Er ließ den Taxistand links liegen und schlenderte weiter. Er sicherte vorsichtig nach allen Seiten, aber es würde wohl noch eine Weile dauern, bis sie ihm Schatten anhängten. Sicher hatte der Grenzbeamte inzwischen einen der vielen westlichen Geheimdienste angerufen, die mehr oder weniger nach dem Schema arbeiteten: getrennt marschieren, gemeinsam schlafen.

      Er hörte den Omnibus heranrollen, drehte sich nicht nach ihm um, ging langsam weiter und ließ durch nichts erkennen, daß er im letzten Moment noch aufspringen würde. Das zweistöckige Ungetüm war schon im Anfahren. Der Fahrer öffnete noch einmal die Tür, und der garantiert letzte Fahrgast mogelte sich hinein. Die erste Station war geschafft – die primitivsten Methoden sind in diesem Metier häufig die besten.

      Er fuhr vier Haltestellen weit in die Gegenrichtung seines Ziels. Scheinbar zerstreut, wie er eingestiegen war, verließ er wieder den Bus. So konnte er sicher sein, daß nach ihm auch kein Fahrgast ausgestiegen war.

      Es war ein erstaunlicher Aufwand für einen Mann, der ernsthaft weder westliche noch östliche Verfolger zu fürchten hatte. Konopka, Nutznießer eines Diplomatenpasses war einfach gewohnt, seine Wege zu verschlüsseln. Erstens haßte er Pfusch, und verschlungene Pfade reizten ihn ohnedies; er empfand dabei die diebische Freude des Ehemanns, der Frau und Freundin zugleich hintergeht.

      Wenn ihn trotz aller Vorsicht volksdemokratische oder kapitalistische Schnüffler bis zum Blauen Haus verfolgen sollten, gäbe es keine plausiblere Erklärung für einen Besuch in Westberlin als diese Grunewaldvilla. Für wenige Eingeweihte war es ein Klub, der an Diskretion, Exklusivität und Frivolität nicht zu schlagen war. Hier gab es keine Erotik als Eintagsmenü, sondern Sex à la carte. Keinen Hausfrauenstrich und keine Schülerinnenkuppelei. Man zahlte mit Verschwiegenheit und brachte gewissermaßen sich selbst als Eintrittsgeld mit. Die Erotik wurde im Blauen Haus wieder auf ihren Ursprung zurückgebracht und verfeinert. Für alle Teilnehmer der gewagten Spiele war sie wieder Selbstzweck und nicht Geschäftsbasis – eine Nostalgie der Sinnlichkeit.

      Im Osten wie im Westen galt Konopka als Ausnahmeerscheinung. Seine Manieren machten seinen BRD-Gegenspielern den Umgang mit ihm leicht, noch dazu, da der Spitzenmann des DDR-Ministeriums für Außenwirtschaft und ›volkseigene Casanova‹ eine Schlüsselfigur war, die bei Laune gehalten werden sollte. Mit Sicherheit kam bei den Verhandlungen um den Freikauf kein Häftling in DDR-Gewahrsam auf die Transferliste, wenn es der stets im Hintergrund agierende Konopka nicht wollte.

      Der Osten ließ seinem Paradiesvogel ziemliche Ungewöhnlichkeiten durchgehen, da er schließlich die Ost-Mark durch westliche Devisen aufwertete und einer der wenigen war, die hinter die Kulissen der BRD-Industrie sehen konnten. Man wußte, daß er sich unter vier Augen mit General Lupus duzte. Es war aber auch bekannt geworden – und ungerügt geblieben –, daß der Spionage- und Handelsspezialist im Gespräch mit einem Hamburger Journalisten über den Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus gewitzelt hatte: »Im Kapitalismus beutet der Mensch den Menschen aus – im Sozialismus ist es genau umgekehrt.«

      Konopka hatte lachend, der Reporter verblüfft reagiert. Und dann war der rote Diplomat zur nächsten Klassifizierung gekommen: »Der Kapitalismus macht soziale Fehler und der Sozialismus kapitale.«

      »Und warum kommen Sie dann nicht zu uns in den Westen, Herr Konopka?« hatte der Journalist erwidert und die Antwort erhalten: »Weil ich diese Fehler abstellen möchte.«

      In Raten, auf Umwegen erreichte Konopka den Kudamm, gegen 22 Uhr 37. Auf Höhe des Hotels Kempinski stand ein grauer VW-Käfer, dessen rechte Türe unverschlossen war. Der Mann aus Ostberlin stieg ein, rutschte nach links, schaltete Zündung und Scheinwerfer ein, löste die Handbremse. Er fädelte sich in den Verkehrsstrom, reihte sich kurz vor der nächsten Ampel links ein und wählte mit Richtung Gedächtniskirche den denkbar längsten Weg zum Grunewald.

      Er fuhr langsam, hatte das Autoradio eingeschaltet. Die in den Fond brodelnde Musik konnte das Richtmikrofon nicht stören, aber unerwünschte Zuhörer ausschließen, während der Mann aus dem Osten die Minispüle besprach:

      »Achtung!« begann er. »geheimhaltestufe i. anweisung ausser der reihe.« Während Konopka sprach, fuhr er langsam. Das Mikrofon war nicht zu sehen. Er hatte beide Hände am Steuer, den Blick auf der Straße. Falls er wirklich von außen beobachtet würde, wirkte er wie ein Mann, der vor sich hinfluchte oder Selbstgespräche führte. Nach knapp zwei Minuten hatte er das Miniband mit Befehlen munitioniert. Während der Fahrt schob er die Kassette in die Jackentasche. Tote Briefkästen gab es in Berlin wie Sand am Meer, aber in diesem Sonderfall zog Konopka ausnahmsweise einen lebenden vor.

      Das Band würde sich automatisch löschen, wenn es Unbefugten in die Hände fiel. Der Aufwand war nicht übertrieben. Es stand einiges auf dem Spiel, und

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