Christuslegenden. Selma Lagerlöf

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Christuslegenden - Selma Lagerlöf

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zu sehen. Sie fühlten sich erfrischt, als ob sie ein durch den Raum streifender Wind liebkosen würde; köstliche Düfte strömten um sie herum; Bäume wiegten sich; der Tiber begann zu rauschen, die Sterne zu funkeln, und plötzlich ragte der Mond am Himmel hervor und erleuchtete die Welt. Und aus den Wolken kamen kreisend die beiden Tauben herab und landeten auf den Schultern des Kaisers.

      Als dieses Wunder geschah, stand Augustus stolz und glücklich auf, aber seine Freunde und seine Sklaven fielen auf die Knie.

      "Heil dir, Cäsar!", riefen sie. "Die Götter haben dir geantwortet. Du bist der Gott, der auf dem Kapitol angebetet werden soll!"

      Und dieser Huldigungsruf, den die Männer ihrem Kaiser als Tribut zollten, war so laut, dass die alte Hexe ihn hörte. Er weckte sie aus ihren Visionen. Sie stand von ihrem Platz am Rande des Felsens auf und ging herab zu den Leuten. Es war, als wäre eine dunkle Wolke aus dem Abgrund aufgetaucht, die nun über den Berghang auf sie herabkam. Ihr extremes Alter ließ sie furchteinflößend aussehen! Verfilzte Haarfetzen hingen um ihren Kopf herum, ihre Gelenke waren verknöchert, und die dunkle Haut, hart wie die Rinde eines Baumes, bedeckte ihren Körper, Furche auf Furche folgend.

      Mächtig und ehrfurchtgebietend kam sie dem Kaiser entgegen. Mit einer Hand packte sie sein Handgelenk, mit der anderen zeigte sie auf den fernen Osten.

      "Schau!", befahl sie, und der Kaiser erhob die Augen und schaute. Das Himmelsgewölbe öffnete sich vor seinen Augen, und sein Blick wanderte in den fernen Orient. Er sah einen niedrigen Stall hinter einer steilen Felswand, und in der offenen Tür knieten ein paar Hirten. Im Stall sah er eine junge Mutter, die vor einem kleinen Kind kniete, das auf einem Strohbündel auf dem Boden lag.

      Und die großen, knorrigen Finger der Hexe zeigten auf das arme Baby. "Heil, Caesar!", rief sie, ein Ausbruch verächtlichen Gelächters. "Da ist der Gott, der auf dem Kapitol verehrt werden soll!"

      Da wich Augustus vor ihr zurück, als sei sie eine Wahnsinnige. Aber die Hexe wurde vom mächtigen Geist der Prophezeiung ergriffen. Ihre trüben Augen begannen zu brennen, ihre Hände waren zum Himmel gestreckt, ihre Stimme so verändert, dass es nicht mehr ihre eigene zu sein schien; sie erklang mit solcher Resonanz und Kraft, dass sie auf der ganzen Welt zu hören war. Und sie sprach Worte, die sie unter den Sternen zu lesen schien.

      "Auf dem Kapitol soll der Erlöser der Welt verehrt werden – Christus – , aber nicht sterbliche Menschen."

      Als sie das gesagt hatte, ging sie an den vor Schreck starren Männern vorbei, langsam den Berg hinunter und verschwand.

      Am nächsten Tag verbot Augustus dem Volk strengstens, ihm auf dem Kapitol einen Tempel zu bauen. An seiner Stelle baute er ein Heiligtum für das neugeborene Gotteskind und nannte es den "Himmelsaltar" – Ara Cœli.

      DER BRUNNEN DER WEISEN

      Im alten Judäa kroch die Dürre, hager und mit hohlen Augen, zwischen verdorrten Disteln und vergilbtem Gras umher.

      Es war Sommerzeit. Die Sonne brannte auf den Rücken unbeschatteter Hügel nieder, und der kleinste Windhauch entriss dem grauweißen Boden dicke Wolken aus Kalkstaub. Die Herden standen zusammengedrängt in den Tälern, an den ausgetrockneten Bächen.

      Die Dürre ging überall herum und betrachtete die Wasservorräte. Sie wanderte hinüber zu den Teichen des Salomo und seufzte, als sie sah, dass sich darin immer noch eine kleine Menge Wasser aus ihren Bergquellen befand. Dann ging sie weiter zum berühmten Davidsbrunnen, in der Nähe von Bethlehem, und fand selbst dort noch Wasser. Schließlich trampelte sie schlurfend die große Fernstraße hinauf, die von Bethlehem nach Jerusalem führte.

      Als sie etwa auf halbem Weg war, sah sie den Brunnen der Weisen, der in der Nähe des Straßenrandes stand. Sie sah auf einen Blick, dass er fast trocken war. Dann setzte sie sich auf die Umrandung, die aus einem einzigen, ausgehöhlten Stein bestand, und blickte in den Brunnen. Der glänzende Wasserspiegel, den man normalerweise oben an der Öffnung sah, war tief hinab gesunken, und der Schmutz und der Schlick am Boden des Brunnens machten ihn schlammig und dreckig.

      Als der Brunnen das bronzefarbene Gesicht der Dürre sah, das sich in seinem eingetrübten Wasser widerspiegelte, zitterte er vor Angst.

      "Ich frage mich, wann du leer sein wirst", sagte die Dürre. "Sicherlich erwartest du nicht, dort unten in der Tiefe eine Süßwasserquelle zu finden, die dir neues Leben einhauchen wird; und was den Regen betrifft – gelobt sei Gott!, davon wird in den nächsten zwei oder drei Monaten keine Rede sein."

      "Du kannst dich zufrieden geben", seufzte der Brunnen, "denn nichts kann mir jetzt noch helfen. Es würde nichts weniger als eine Quelle aus dem Paradies brauchen, um mich zu retten!"

      "Dann will ich dich nicht im Stich lassen, bis der letzte Tropfen versiegt ist", sagte die Dürre. Sie sah, dass sich der alte Brunnen seinem Ende näherte, und wollte das Vergnügen haben, ihn Tropfen für Tropfen sterben zu sehen.

      Sie setzte sich bequem auf den Rand des Brunnens und freute sich zu hören, wie dieser dort unten in der Tiefe seufzte. Es freute sie auch sehr, den durstigen Reisenden zuzusehen, die zum Rand des Brunnens kamen, den Eimer herunterließen und ihn mit nur wenigen Tropfen schlammigen Wassers wieder heraufzogen.

      So verging der ganze Tag; und als sich die Dunkelheit herabsenkte, schaute die Dürre erneut in den Brunnen. Da unten schimmerte noch etwas Wasser. "Ich werde die ganze Nacht hier bleiben", rief sie, "also keine Eile! Wenn es wieder so hell wird, dass ich noch einmal herunterschauen kann, bin ich sicher, dass dein Ende gekommen sein wird."

      Die Dürre machte es sich am Rande des Brunnens gemütlich, während sich die heiße Nacht, die noch grausamer und quälender war als der Tag, auf Judäa legte. Hunde und Schakale heulten unaufhörlich, und durstige Kühe und Esel antworteten ihnen aus ihren muffigen Ställen.

      Als die Brise ab und zu ein wenig auflebte, brachte sie keine Erfrischung mit sich, sondern war so heiß und erstickend wie der keuchende Atem eines großen, schlafenden Monsters. Die Sterne strahlten so prächtig wie nie, und ein kleiner, silbriger Neumond warf ein hübsches blaugrünes Licht über die grauen Hügel. Und in diesem Licht sah die Dürre eine große Karawane kommen, die auf den Hügel zusteuerte, wo sich der Brunnen der Weisen befand.

      Die Dürre saß da, betrachtete die lange Prozession und erfreute sich erneut an dem Gedanken an all den Durst, der zum Brunnen kommen und keinen einzigen Tropfen Wasser finden würde, mit dem man ihn löschen konnte. Da waren so viele Tiere und Treiber, dass sie den Brunnen leicht hätten leeren können, selbst wenn er ziemlich voll gewesen wäre. Plötzlich fiel ihr auf, dass diese Karawane, die in der Nacht vorwärts marschierte, etwas Ungewöhnliches, etwas Geisterhaftes an sich hatte. Zuerst kamen auf einem Hügel, der hoch und deutlich am Horizont aufragte, alle Kamele in Sicht; es war, als wären sie direkt vom Himmel herabgekommen. Sie schienen auch größer zu sein als gewöhnliche Kamele und trugen die enormen Lasten, die auf ihnen lagen, mit großer Leichtigkeit.

      Dennoch verstand die Dürre nichts von dem, was sie sah – außer, dass die Tiere absolut echt waren, denn für sie waren sie so schlicht, wie Kamele eben sind. Sie konnte sogar erkennen, dass die drei vordersten Tiere Dromedare mit grauer, glänzender Haut waren, prächtiges Zaumzeug und herrliche Sättel trugen, mit Fransen gesäumt, und von stattlichen, edel aussehenden Rittern geritten wurden.

      Die ganze Prozession hielt am Brunnen an. Mit drei kurzen Rucken legten sich die Dromedare auf den Boden, und ihre Reiter stiegen ab. Die Lastenkamele blieben stehen, und als sie sich versammelten, schienen sie eine lange Reihe von Hälsen,

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