Jeder Mann liebt Ursula. Robert Heymann

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Jeder Mann liebt Ursula - Robert Heymann

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bitte, zahle für mich — und für dich.“

      „Auf keinen Fall, Ussi, kommt gar nicht in Frage.“

      „Nein, bitte Peter, spiel’ hier nicht den Kavalier! Machen wir uns doch nichts vor! Ich will aus dieser Bude ohne Aufsehen heraus! Also tue mir den Gefallen!“

      Ussis Ton duldete diesmal keinen Widerspruch. Zögernd griff Peter nach dem Taler, winkte den Kellner nochmals heran.

      „Na, du wirst doch von det Mä’chen kein Geld nehmen!“ sagte eine harte Stimme. Ein breiter Kopf, bösartig wie ein Raubfisch, mit breitem Maul, stechenden Augen, ekelhafter Lache, beugte sich zum Tisch nieder.

      Ussi schaute erst verwundert, dann zornig in dieses schwammige Gesicht. Peter strich mit der Hand über den Tisch, als ob er den unbequemen Menschen fortwischen könnte. Der Mann schob Peter beiseite. Mit einer seiner Elefantenschultern machte er das, setzte sich neben Ussi, Peter wurde an die Wand gedrückt. Ein böses Leuchten machte Ussis Augen groß und heiß.

      „Kenn’ uns doch?“ sagte Stemmerkarl. „Auch wieder hiesig in die Jejend? Bist ’n affiget Mä’chen geworden, Ussi ...“

      Jetzt erkannte sie ihn! Stemmerkarl! Ein brutaler Schuft ist er, ein gemeiner Kerl! Er hatte damals im gleichen Hause gewohnt wie sie, bis er rausgeworfen wurde wegen seiner Zuhälterei.

      Bei der Eisenbahnerwitwe über der Wohnung von Ussis Mutter hatte er eine Schlafstelle. Sie war noch ein halbes Kind gewesen und hatte ihn erst nicht beachtet, hatte sich nur manchmal mit einem Gefühl des Schauderns über sein dreistes Lächeln geärgert. Dann sah sie ihn mal wieder auf dem Rummelplatz, an dem die ersten großen Eindrücke ihrer Kindheit haften. In der Bude „der schwersten Männer Deutschlands“ war er Ringkämpfer. Jeden Abend rangen diese fetten Männer keuchend mit einem scheinbar unerhörten Kräfteaufwand um imaginäre Meisterschaften. Das Publikum verfolgte eigentlich mit mehr Interesse ihre Kunstgriffe, als es sich sachlich für die jeweiligen Sieger interessierte. Dann und wann kam es vor, daß ein ahnungsloser Portokassenjüngling einen Preis stiftete. Dann rangen sie um den Taler — manchmal waren es sogar zehn Mark und mehr. Als das Geschäft nicht mehr ging, hatte sich Stemmerkarl als Artist in Vergnügungslokalen versucht, aus dieser Zeit stammte sein Spitzname. Er hatte Gewichte gehoben, war mit einer Kraftmeßmaschine gereist, später mit Schiffsschaukeln, dann war er nach Tegel gekommen. Man hatte damals viel von dem Verbrechen gesprochen, daß er begangen hatte, denn in dem Hause Ussis war er ja noch immer bekannt. Ussi hatte nicht so recht verstanden, was er getan hatte, sie hörte nur: Sittlichkeitsverbrechen, ohne eine rechte Vorstellung damit zu verbinden. Nur Grauen empfand sie. Dann vergaß sie ihn. Bis sie eines Tages Vater aus der Kneipe holte — wen sah sie an Vaters Tisch? Stemmerkarl. Wieder begrüßte er sie mit seiner schleimigen Freundlichkeit. Sie machte, daß sie fortkam. Schließlich fiel sein Name nur noch einmal, als der Bruder erzählte, Stemmerkarl habe im Norden einen Bouillonkeller aufgemacht.

      „Geh weg“, sagte Ussi. „Ich kenn dich nicht! Das ist lange her, und im übrigen sind Sie mir reichlich unsympathisch!“

      Die Freunde am Nebentisch brüllten vor Lachen.

      „Mensch, Stemmerkarl,“ riefen sie durcheinander, „da schlag doch einer lang hin ... setz den Leierkastenmann raus, die kann auch anders ...“

      Stemmerkarl schaute Peter unschlüssig an. Auf Peter hatte er keinen Haß. Aber das Mädchen sollte ihn hier nicht umsonst blamiert haben.

      Ohne zu fragen, packte er ihre Hand. Die verschwand in der seinen wie ein kleiner Vogel, und schon zog er Ussi halb über den Tisch.

      Ussi schrie kurz auf, ihre Augen wurden ganz groß, hilflos, der Schrecken schrie aus ihnen, ein blinder Schrecken vor tausendfachem, nicht gewolltem Schicksal, das andere Mädchen ereilt hatte.

      „Mensch, Ussi“, sagte Stemmerkarl, „nich so jroßartig, vastehste?“

      Er verstummte. Ein heftiger Schlag hatte ihm die Zähne in die Lippen gestoßen.

      Peter hatte von der Seite her zugeschlagen. Stand da und schlug ihm zum zweitenmal die Faust in die Fresse, daß es nur so knallte. Schrie unverständliche Worte dabei und schlug immer weiter, seitwärts an der Wand stehend, bis dem Stemmerkarl das Blut aus dem Mund lief und er rot sah.

      Da schlug er zurück. Peter taumelte und sank vornüber auf den Tisch. „Noch eins,“ sagte Stemmerkarl, „dann stehste im Hemde!“ Er wollte Peter den Rest geben, aber da entstand Tumult im Lokal. Die Freunde warfen sich auf ihn. Ussi hatte einen Schreikampf bekommen und war dem Kerl mit ihren zehn Fingern ins Gesicht gefahren. Beinahe hätte sie ihm ein Auge ausgekratzt. Die Wirtin war von rückwärts gekommen und räumte mit ihren drallen Armen aus. Alles schrie und quirlte durcheinander, und plötzlich waren Ussi und Peter auf der Straße. Ussi hörte noch, wie einer sagte: „Det wird dir heimjezahlt, du Jammerlappen!“

      Sie sah den blutspuckenden Peter neben sich: wie sein Skelett aus dem armseligen Mantel wuchs. Das ist also Peter, der einmal so ein hübscher, eleganter Mann war, und der jetzt aussah wie ein ganz armer, armer Junge.

      „Die Sache war das Theater nicht wert“, murmelte sie.

      Peter schwankte. Sie schob ihren Arm unter den seinen und zog ihn mit sich fort. Auf ihrem Mantel waren blutige Spritzer, aber sie achtete nicht darauf.

      „Mach’ dir nichts daraus, Peter! Hörst du, Peter? Lieber Junge —“

      Peter war noch so benommen, daß er sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte. Der Kiefer schmerzte unerträglich. Wenn Stemmerkarl seinen Schwinger austeilte, ging jeder Gegner nieder. Peter hielt sich mit äußerster Energie aufrecht. Ihm war übel, alles drehte sich, aber neben ihm war Ussi, er hörte ihre süße Stimme, das war der reine Balsam.

      „Peterchen! Nimm dich zusammen! Wir treffen uns auch wieder. Hörst du? Wir treffen uns wieder!“

      Da wurden die grauen Augensterne in Peters hohlem Gesicht unter der gelblichen Stirn mit den eingefallenen Schläfen ganz groß.

      Ursula wischte mit dem parfümierten Taschentuch das Blut aus seinem Gesicht.

      „Regt dich denn die Geschichte noch immer so auf?“

      „Nein! Aber ich bin glücklich, Ussi. Die ganze Welt könnte ich umarmen. Wir treffen uns wieder? Wenn du etwas von mir willst, Ussi, du brauchst nur zu reden. Nur zu sagen brauchst du es. Ich springe in den Landwehrkanal und hol ein Goldstück herauf!“

      „Es gibt ja jetzt gar keine Goldstücke, du dummer Peter. Ich kann nicht mal eines reinwerfen!“

      „Ja, es ist dummes Zeug, was ich sage, aber meinen Kopf würde ich hergeben für dich ... weil ich dich lieb habe, Ussi! Nie habe ich dich vergessen ... und ... arbeiten werde ich wieder ... suchen werde ich die Arbeit ... und wenn ich sie vom Mond holen muß! — Hör’ doch, Ussi, wo willst du denn hin? Da drüben ist die U.-Bahn — wo treffen wir uns denn, Ussi? So warte doch! Wo wollen wir uns denn treffen? Wann? Morgen? Ja? Hast du morgen Zeit? Ich mache dir einen Vorschlag! Morgen in dem Kino Koppenstraße. Um neun Uhr warte ich. Ich mache mich auch wieder fein, Mädel, ganz wie ehedem, du brauchst dich nicht mit mir zu schämen! Du mußt nicht denken, daß ich so wie heute kommen werde!“

      Er war neben Ussi hergerannt. Nun redete er in den Wind. Wie graues Tuch lag es über dem Platz, es rieselte Feuchtigkeit. Zäh und undurchsichtig wie das ewige Unglück lastete die Nacht, noch trostloser war das Leben für die Menschen, die der Straße gehörten.

      Aber

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