Ungeduld des Herzens. Stefan Zweig

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Ungeduld des Herzens - Stefan Zweig

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schon hatte der Ferencz das neue Etui bemerkt – in unserem engen Klüngel wird ja auch die kleinste Kleinigkeit zum Ereignis.

      »Hallo, was ist das?« brummt er. »Ein neues Ausrüstungsstück!« Er nimmt mir die Zigarettendose einfach aus der Hand (was kann ich dagegen tun?), betastet, beschaut und wiegt sie schließlich auf der Handfläche. »Du, mir scheint«, wendet er sich hinüber zum Regimentsarzt, »die ist sogar echt. Geh, schau dir die einmal gut an – dein würdiger Erzeuger soll ja mit derlei handeln, da wirst dich doch auch einigermaßen auskennen.«

      Der Regimentsarzt Goldbaum, wirklich Sohn eines Goldschmieds in Drohobycz, stülpt den Zwicker auf die etwas dickliche Nase, nimmt die Tabatière, wiegt sie, beschaut sie von allen Seiten und klopft sie geschult mit dem Knöchel ab.

      »Echt«, diagnostiziert er endlich. »Echtes Gold, punziert und verdammt schwer. Damit könnt man dem ganzen Regiment die Zähne plombieren. Preislage etwa siebenhundert bis achthundert Kronen.«

      Nach diesem Verdikt, das mich selbst überrascht (ich hatte sie wirklich nur für vergoldet gehalten), gibt er die Dose an Jozsi weiter, der sie schon viel ehrfürchtiger anfaßt als die beiden andern (ach, was für Respekt wir jungen Kerle doch vor allem Kostbaren haben!). Er beschaut, bespiegelt, betastet sie, klappt sie schließlich am Rubin auf und stutzt:

      »Hallo – eine Inschrift! Hört, hört! Unserem lieben Kameraden Anton Hofmiller zum Geburtstag. Ilona. Edith.«

      Alle drei starren mich jetzt an. »Donnerwetter«, schnauft schließlich Ferencz, »du suchst dir aber deine Kameraden neuestens gut aus! Alle Hochachtung! Von mir hättst höchstens eine tombakene Zündholzdosen statt so was bekommen.«

      Ein Krampf sitzt mir in der Kehle. Morgen weiß prompt das ganze Regiment die peinliche Neuigkeit von der goldenen Zigarettendose, die ich von den Kekesfalvas zum Präsent gekriegt habe, und kennt die Inschrift auswendig. »Zeig sie einmal her, deine noble Dosen«, wird der Ferencz bei der Offiziersmesse sagen, um mit mir zu protzen, und gehorsamst werde ich sie dem Herrn Rittmeister, gehorsamst dem Herrn Major, gehorsamst vielleicht sogar dem Herrn Oberst vorweisen müssen. Alle werden sie in der Hand wiegen, abschätzen, die Inschrift ironisch anschmunzeln, und dann kommt unvermeidlich das Gefrage und Gewitzel, und ich darf angesichts der Vorgesetzten nicht unhöflich werden.

      In meiner Verlegenheit, rasch dem Gespräch ein Ende zu bereiten, frage ich: »Na – habt’s noch Lust auf einen Tarock?«

      Aber sofort, wird ihr gutmütiges Schmunzeln zu breitem Lachen. »Hast schon so was g’hört, Ferencz?« stupft ihn der Jozsi an, »jetzt um halber eins, wo die Bude schließt, möcht er noch einen Tarock anfangen!«

      Und der Regimentsarzt lehnt sich zurück, faul und gemütlich: »Ja, ja, dem Glücklichen schlägt keine Stunde.«

      Sie lachen und schmatzen noch ein bißchen an dem schalen Witz herum. Doch schon ist mit bescheidenem Drängen der Markeur Eugen herangetreten: Polizeistunde! Wir gehen – der Regen hat nachgelassen – zusammen bis zur Kaserne und schütteln dort einander zum Abschied die Hand. Ferencz klopft mir auf die Schulter. »Brav, daß d’ wieder einmal eingerüdct bist«, und ich spüre, es kommt ihm vom Herzen. Warum war ich eigentlich so wütend auf sie? Sind doch einer wie der andere kreuzbrave, anständige Kerle ohne eine Spur von Neid und Unfreundlichkeit. Und wenn sie ein bissei Spaß mit mir machten, so haben sie’s nicht bös gemeint.

      Sie haben es wahrhaftig nicht bös gemeint, die braven Jungen – aber doch, mit ihrem tölpischen Staunen und Raunen haben sie etwas unwiederbringlich in mir zerstört: meine Sicherheit, Denn bisher hatte jene sonderbare Beziehung zu den Kekesfalvas mein Selbstgefühl in einer wunderbaren Weise gesteigert. Ich hatte zum ersten Male in meinem Leben mich als der Gebende, als der Helfende gefühlt; nun wurde ich gewahr, wie die andern diese Beziehung sahen, oder vielmehr, wie man sie von außen, in Unkenntnis all der geheimen Zusammenhänge, unvermeidlich sehen mußte. Was konnten Fremde denn verstehen von dieser subtilen Lust des Mitleidens, der ich – ich kann es nicht anders sagen – wie einer dunklen Leidenschaft verfallen war. Für sie blieb es ausgemacht, daß ich mich einzig deshalb einnistete in dieses üppige, gastliche Haus, um mich reichen Leuten anzubiedern, ein Nachtmahl zu sparen und mir Geschenke zu holen. Dabei meinen sie’s innerlich nicht böse, sie gönnen mir, die guten Jungen, die warme Ecke, die schönen Zigarren; sie sehen zweifellos – und gerade das ärgert mich – nicht das geringste Unehrenhafte oder Unsaubere darin, daß ich mich von diesen »Wurzen« fêtieren und hofieren lasse, weil unsereiner, nach ihrer Auffassung, so einem Pfeffersack doch nur eine Ehre antut, wenn man als Kavallerieoffizier sich an seinen Tisch setzt; nicht die geringste Mißbilligung hatte dabei mitgespielt, wenn der Ferencz und der Jozsi jene goldene Zigarettendose bewunderten – im Gegenteil, es hatte ihnen sogar einen gewissen Respekt eingeflößt, daß ich es verstand, meine Mäzene derart hochzunehmen. Aber was mich jetzt so sehr verdrießt, ist, daß ich selber an mir irre zu werden beginne. Führe ich mich denn nicht wirklich wie ein Schmarotzer auf? Darf ich als Offizier, als erwachsener Mensch mich Abend für Abend freihalten und hofieren lassen? Die goldene Tabatière zum Beispiel, die hätte ich keinesfalls annehmen dürfen und ebensowenig den seidenen Schal, den sie mir jüngst umhängten, als es draußen so stürmte. Man läßt sich als Kavallerieoffizier keine Zigarren für den Nachhauseweg in die Tasche schieben, und – um Gottes willen, das muß ich morgen gleich Kekesfalva ausreden, – das mit dem Reitpferd! Jetzt fällt’s mir erst auf, daß er vorgestern etwas gemurmelt hat, mein brauner Wallach (den ich natürlich auf Raten abzahle) halte nicht gut Form, und damit hat er schließlich recht. Aber daß er mir aus seinem Gestüt einen Dreijährigen leihen will, einen famosen Renner, mit dem ich Ehre einlegen könne, das paßt mir nicht. Ja, »leihen« – ich verstehe schon, was das bei ihm heißt! So wie er Ilona eine Mitgift versprochen hat, nur damit sie bei dem armen Kind als Pflegerin durchhält, will er mich kaufen, mich bar bezahlen für mein Mitleid, für meine Späße, meine Gesellschafterei! Und ich einfältiger Mensch wäre beinahe darauf hereingefallen, ohne zu merken, daß ich mich damit zum Schmarotzer herabwürdige!

      Unsinn, sage ich mir dann wieder und erinnere mich, wie erschüttert der alte Mann meinen Ärmel gestreichelt, wie jedesmal sein Gesicht hell wird, kaum daß ich die Tür hereintrete. Ich erinnere mich an die herzliche, brüderlich-schwesterliche Kameradschaft, die mich mit den beiden Mädchen verbindet; die achten gewiß nicht darauf, ob ich vielleicht ein Glas zuviel trinke, und wenn sie’s merken, so freut sie’s doch nur, daß ich’s mir bei ihnen wohl sein lasse. Unsinn, Irrsinn, wiederhole ich mir immer wieder, Unsinn – dieser alte Mann liebt mich mehr als mein eigener Vater.

      Aber was hilft alles Sichzureden und Sichaufrichten, wenn einmal das innere Gleichgewicht ins Schwanken gekommen ist! Ich spüre: das Schmatzen und Staunen von Jozsi und Ferencz hat mir meine gute, meine leichte Unbefangenheit zerstört. Gehst du wirklich nur aus Mitleid, nur aus Mitgefühl zu diesen reichen Leuten, frage ich mich argwöhnisch? Steckt nicht auch ein gutes Stück Eitelkeit und Genießerei dahinter? Jedenfalls, da muß Klarheit geschaffen werden. Und als erste Maßnahme beschließe ich, von nun ab Pausen in meine Visiten einzuschalten und gleich morgen den üblichen Nachmittagsbesuch bei den Kekesfalvas zu unterlassen.

      Ich bleibe also am nächsten Tage aus. Gleich nach Beendigung des Dienstes bummle ich mit Ferencz und Jozsi hinüber ins Cafe, wir lesen die Zeitung und beginnen dann den unvermeidlichen Tarock. Aber ich spiele verdammt schlecht, denn gerade mir gegenüber ist in der getäfelten Wand eine runde Uhr eingelassen: vier Uhr zwanzig, vier Uhr dreißig, vier Uhr vierzig, vier Uhr fünfzig, anstatt die Tarocke richtig mitzuzählen, zähle ich die Zeit. Halb fünf, da rücke ich gewöhnlich an zum Tee, alles steht gedeckt und bereit, und wenn ich mich einmal um eine Viertelstunde verspäte, so sagen und fragen sie schon: »Was war denn heute los?« So selbstverständlich ist mein pünktliches Kommen bereits geworden, daß sie damit wie mit einer Verpflichtung rechnen; seit zweieinhalb Wochen habe ich keinen Nachmittag versäumt, und wahrscheinlich blicken sie jetzt genau so unruhig wie ich selbst auf die Uhr und warten und warten. Ob sich’s

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