Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Aber das war noch nicht alles: auf flachen Felsvorsprüngen sah ich ungeheuer große, schleimige Ungeheuer kriechen – Weichschnecken von unglaublicher Größe, mindestens vierzig bis fünfzig an der Zahl, deren bellendes Geheul den Widerhall der Felsen weckte.
Ich habe später erfahren, daß es Seelöwen waren – vollkommen harmlose Tiere. Aber der Anblick dieser Ungeheuer in Verbindung mit der tosenden Brandung war mehr als genug, um mich von einem Landungsversuche an dieser Stelle abzuhalten. Lieber wollte ich auf dem Wasser verhungern, als es mit solchen Gefahren aufnehmen.
Übrigens hatte ich noch eine andere und bessere Aussicht auf Rettung vor mir. Nach Norden zu erstreckt sich eine lange ebene Fläche, die bei tiefem Wasserstande einen Streifen gelben Sandes zutage treten läßt. Und noch weiter nördlich davon befindet sich ein anderes Vorgebirge – das Waldkap, wie es auf der Karte bezeichnet war – mit hohen grünen Fichten, die bis an den Strand heranreichten.
Ich erinnerte mich, was Silver von der Strömung gesagt hatte, die längs der ganzen Westküste der Schatzinsel nach Norden fließt; da ich an meiner Lage erkannte, daß ich bereits in diese Strömung hineingeraten war, so zog ich es vor, alle meine Kraft auf einen Versuch zu verwenden, das freundlicher aussehende Waldkap zu erreichen.
Ich befand mich in einer großen sanften Dünung. Da der Wind beständig und nicht stark nach Süden blies, so fand kein Kampf zwischen ihm und der Strömung statt, und die Wogen hoben und senkten sich, ohne sich zu brechen.
Wäre es anders gewesen, so hätte ich längst umkommen müssen; aber unter diesen günstigen Umständen erwies mein kleines, leichtes Boot sich als überraschend sicher. Ich lag immer noch auf dem Boden ausgestreckt, und wenn ich einmal ein Auge über das Dollbord hob, sah ich oft eine gewaltige, blaue Höhe dicht über mir; aber das Korakel machte nur einen kleinen Sprung, tanzte wie auf Sprungfedern und glitt auf der anderen Seite, leicht wie ein Wasservogel, in das Wellental hinab.
Nach einer kleinen Weile wurde ich sehr kühn und richtete mich auf, um meine Geschicklichkeit im Paddeln zu versuchen. Aber selbst eine kleine Veränderung in der Verteilung des Gewichtes macht für ein Korakel sehr viel aus. Kaum hatte ich die Bewegung gemacht, so gab das Boot sofort seine sanfte, hüpfende Bewegung auf und fuhr in einen so steilen Wellenabgrund hinunter, daß mir schwindlig wurde. Dann bohrte es seinen Bug tief in die Seite der nächsten Woge, daß das Wasser um mich herumspritzte. Ich wurde völlig durchnäßt und bekam einen großen Schreck. Sofort nahm ich meine alte Lage auf dem Boden des Bootes wieder ein, woraufhin das Korakel offenbar wieder zur Besinnung kam und mich so sachte wie zuvor durch die Wellen trug. Es war klar, daß man es nicht stören durfte; da ich aber auf diese Weise den Kurs meines Bootes nicht lenken konnte, was für eine Hoffnung blieb mir da noch, das Land zu erreichen?
Ich begann eine entsetzliche Furcht zu bekommen; aber ich behielt trotzdem noch meinen Kopf oben. Zunächst schöpfte ich, mit Anwendung aller Vorsicht, das Wasser aus dem Korakel mit Hilfe meiner Mütze aus; dann blinzelte ich wieder über das Dollbord hinüber und fing an darüber nachzudenken, wie mein Boot es anfinge, so ruhig durch die hohen Wogen zu schlüpfen.
Ich fand, daß jede Woge keineswegs ein großer, glatter Berg ist, wie es vom Lande oder vom Deck eines Schiffes aus den Anschein hat, sondern daß eine ruhige Dünung genau einer Reihe von Hügeln auf dem trockenen Lande gleicht, wo es Höhen und Tiefen gibt. Wenn das Korakel sich selber überlassen wurde, suchte es sich sozusagen seinen Weg durch diese tieferen Stellen und vermied die steilen Abhänge und die hohen Gipfel der Wogen.
Nun, dachte ich bei mir selber, es ist klar, daß ich ruhig liegenbleiben muß und das Gleichgewicht nicht stören darf; ebenso klar ist es aber, daß ich mit dem Paddelruder von Zeit zu Zeit und an geeigneten Stellen dem Boot einen kleinen Stoß geben könnte, der es dem Lande näher bringt.
Gedacht, getan. Ich stützte mich auf die Ellenbogen und tat ab und zu einen kleinen Schlag, der das Boot der Küste näher brachte.
Es war eine sehr ermüdende und langwierige Arbeit, aber ich gewann sichtbar Raum; als wir uns dem Waldkap näherten, sah ich zwar, daß ich dieses auf keinen Fall erreichen konnte, aber doch mehrere hundert Ellen weiter nach Osten gekommen war. Ich befand mich in der Tat dicht am Lande. Ich konnte die kühlen, grünen Baumwipfel sehen, wie sie in der Brise schwankten, und ich war überzeugt, daß ich das nächste Vorgebirge unfehlbar erreichen würde.
Es war höchste Zeit; denn jetzt begann der Durst mich zu quälen und brennende Sonnenglut von oben, die tausendfache Widerspiegelung ihrer Strahlen von den Wellen, das Meerwasser, das auf meiner Haut trocknete, so daß sogar meine Lippen mit einer Salzkruste überzogen waren – alle diese Umstände im Verein machten, daß mir die Kehle brannte und der Kopf schmerzte. Der Anblick der so nahen Bäume hatte mich beinahe krank vor Sehnsucht gemacht; aber die Strömung hatte mich bald an der Landspitze vorbeigetragen, und als ich wieder in das offene Wasser hinauskam, hatte ich einen Anblick, der meinen Gedanken eine ganz neue Richtung gab.
Gerade vor mir, keine halbe Meile entfernt, sah ich die Hispaniola unter Segel. Ich war sofort überzeugt, daß die Piraten mich jetzt fangen würden; aber infolge des Wassermangels war mir so schlimm zumute, daß ich kaum wußte, ob diese Gedanken mich freuten oder betrübten. Aber bevor ich zu einem Entschluß kam, war ich so voll Verwunderung, daß ich nur immer das Schiff anstarren konnte.
Die Hispaniola fuhr unter ihrem Hauptsegel und zwei Klüversegeln, und die schöne weiße Leinwand glänzte in der Sonne wie Schnee oder wie Silber. Als ich den Schoner zuerst erblickte, waren alle Segel gebläht; er fuhr ungefähr nordwestlich, und ich nahm an, daß die beiden Leute an Bord um die Insel herum nach dem Ankergrund zurückfahren wollten. Plötzlich begann das Schiff immer mehr nach Westen abzufallen, so daß ich dachte, sie hätten mich gesehen und machten auf mein Korakel Jagd. Schließlich aber fuhr die Hispaniola gerade in den Wind hinein und stand eine Weile mit killenden Segeln ganz hilflos still.
»Ungeschickte Kerle!« sagte ich vor mich hin, »sie müssen immer noch betrunken wie Tümpelkröten sein!« Und ich dachte, wie Kapitän Smollett sie an die Arbeit gebracht haben würde.
Mittlerweile fiel der Schoner allmählich wieder ab, dann blähten die Segel sich wieder, das Schiff lief ein paar Minuten in schneller Fahrt, fuhr dann in den Wind hinein und stand still.
Dies wiederholte sich immer und immer wieder. Hin und her, auf und ab, nach Norden, Süden, Osten und Westen segelte die Hispaniola stoßweise, und jedesmal endete es damit, daß die Leinwand gegen den Mast klatschte. Mir wurde klar, das niemand steuerte. Aber wenn es so war – wo waren dann die beiden Piraten? Ich dachte mir, sie müßten entweder sinnlos betrunken sein oder das Schiff verlassen haben, und wenn ich vielleicht an Bord gelangen könnte, wäre ich möglicherweise imstande, das Schiff dem Kapitän zurückzubringen.
Die Strömung trug Korakel und Schoner mit gleicher Geschwindigkeit südwärts. Aber die Hispaniola segelte so wild hin und her und blieb, wenn sie wieder in den Wind hineinfuhr, jedesmal so lange auf einem Fleck, daß sie sicherlich nicht vorwärts kam, wenn sie nicht sogar zurückgetrieben wurde. Ich war sicher, daß ich sie einholen könnte, wenn ich es nur wagen dürfte, mich aufrecht zu setzen und zu paddeln. Der Plan hatte etwas Abenteuerliches an sich, das mich begeisterte, und der Gedanke an die Wassertonne neben der Vorderkajüte verdoppelte meinen wachsenden Mut.
Ich setzte mich aufrecht und wurde sofort von einer neuen Sprühwelle begrüßt; aber diesmal ließ ich mich dadurch nicht abschrecken, sondern begann mit aller Kraft und Vorsicht mich an die steuerlose Hispaniola heranzupaddeln. Einmal schlug eine so schwere Sturzsee in mein Boot, daß ich haltmachen und das Wasser ausschöpfen mußte;