Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Читать онлайн книгу Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson - Robert Louis Stevenson страница 56
Aber es war nicht seine gewaltige Größe, was auf die Piraten Eindruck machte, sondern die Gewißheit, daß siebenhunderttausend Pfund Sterling in Gold irgendwo in seinem Schatten vergraben lagen. Der Gedanke an das Geld verschlang alle ihre früheren Ängste, als sie näher kamen. Ihre Augen funkelten; ihre Füße wurden leichter und schneller; ihre ganze Seele ging in diesem Schatz auf, in diesem Vermögen, das jeder von ihnen erwartete und das ihm die Mittel gewähren mußte, bis an sein Lebensende mit vollen Händen Geld auszugeben und sich jeden Genuß zu leisten.
Silver humpelte fluchend an seiner Krücke; seine Nüstern waren weit gebläht und zuckten; er schimpfte wie ein Rasender, wenn die Fliegen sich auf sein heißes, von Schweiß glänzendes Gesicht setzten; er zerrte wütend an der Leine, die mich und ihn verband, und sah sich von Zeit zu Zeit mit einem mörderischen Blick nach mir um. Er gab sich keine Mühe, seine Gedanken zu verbergen, und ich las sie auf seinem Gesicht so deutlich wie gedruckte Schrift. In der unmittelbaren Nähe des Goldes war alles andere vergessen: sein Versprechen und des Doktors Warnung waren vergangene Dinge. Unzweifelhaft hoffte er, den Schatz zu heben, die Hispaniola zu finden und im Dunkel der Nacht zu besetzen, allen ehrlichen Menschen auf der Insel die Kehle abzuschneiden und mit Verbrechen und Reichtümern beladen davonzusegeln, wie er es von Anfang an geplant hatte.
Diese Gedanken beunruhigten mich so, daß mir die Beine zitterten und daß ich den schnellaufenden Schatzsuchern kaum folgen konnte. Ab und zu strauchelte ich, und dann zerrte Silver rücksichtslos an dem Strick und warf mir seine mörderischen Blicke zu.
Dick, der noch hinter uns zurückgeblieben war, sprach in seinem steigenden Fieber abwechselnd Gebete und Flüche vor sich hin. Auch dies trug dazu bei, daß ich mich elend fühlte, und um allem die Krone aufzusetzen, verfolgte mich unablässig der Gedanke an die Tragödie, die sich einstmals an diesem Ort abgespielt hatte, als der teuflische Seeräuberhauptmann mit dem blauen Gesicht – der dann singend und nach Branntwein schreiend vor Savannah starb – hier mit eigener Hand seine sechs Helfershelfer niedergemacht hatte. Dieser Wald, der jetzt so friedlich still war, mußte damals von Geschrei widergehallt haben, und es kam mir so vor, als ob ich das Geschrei in diesem Augenblick hörte.
Wir hatten jetzt den Saum des Dickichts erreicht; da rief Merry:
»Hurra, Maate! Alle Mann drauf!«
Und in großen Sprüngen lief er den anderen voran.
Und plötzlich, sie hatten keine zehn Schritte zurückgelegt, sahen wir sie stillstehen. Ein gedämpfter Schrei klang zu uns herüber.
Silver verdoppelte seine Schritte, indem er wie ein Besessener seine Krücke vorwärts schwang; und im nächsten Augenblick standen auch er und ich bei den übrigen.
Vor uns war eine tiefe Grube; sie war offenbar nicht in der allerletzten Zeit ausgehöhlt worden, denn ihre Ränder waren eingesunken, und auf dem Boden war Gras gewachsen. In dieser Grube lagen der zerbrochene Schaft einer Picke und die Bretter von mehreren zerschlagenen Kisten herum. Auf einem dieser Bretter sah ich, mit einem glühenden Eisen eingebrannt, das Wort »Walroß«. So hieß Flints Schiff.
Alles war klar. Das Versteck war aufgefunden und geplündert worden: die siebenhunderttausend Pfund waren weg!
Dreiunddreißigstes Kapitel
Der Sturz eines Piratenhäuptlings
Jeder einzelne von den sechs Piraten war betäubt, wie wenn er einen Schlag vor den Kopf bekommen hätte. Es war allerdings eine Überraschung, wie sie auf der Welt selten vorkommt. Aber Silver hatte sich beinahe augenblicklich von dem Schlage erholt. Jeder Gedanke seiner Seele hatte nur diesem Gelde gegolten – und trotzdem: in einer einzigen Sekunde wußte er, was er zu tun hatte! Er behielt seinen Kopf oben, hatte wieder frischen Mut und änderte seinen Plan, bevor den anderen Piraten ihre Enttäuschung noch so richtig zum Bewußtsein gekommen war.
»Jim,« flüsterte er, »nimm dies und paß auf, wenn’s los geht!«
Und er reichte mir eine doppelläufige Pistole.
Gleichzeitig begann er langsam nach Norden zu gehen, und mit wenigen Schritten hatte er die Grube zwischen uns zwei und die anderen fünf gebracht. Dann sah er mich an und nickte, wie wenn er sagen wollte:
»Hier sitzen wir schön in der Patsche!«
Und das war allerdings auch meine Meinung. Er sah mich jetzt ganz freundlich an, aber ich war so empört darüber, daß er fortwährend die Partei wechselte, daß ich mich nicht enthalten konnte, ihm zuzuflüstern:
»Also steht Ihr wieder mal auf einer anderen Seite!«
Er hatte keine Zeit, mir darauf zu antworten. Die Meuterer sprangen mit Fluchen und Schreien einer nach dem anderen in die Grube hinunter, warfen die Kistenbretter heraus und wühlten mit den Händen in der Erde. Morgan fand ein Goldstück. Er hielt es mit einem Schwall von Flüchen empor. Es war eine doppelte Guinee und ging eine viertel Minute lang aus einer Hand in die andere. Morgan schüttelte die Faust, worin er das Goldstück hielt, und brüllte Silver an:
»Zwei Guineen! sind das deine siebenhunderttausend Pfund? Du bist ja wohl der Mann, der sich aufs Tauschen versteht! Du bist der, der niemals was verpfuscht hat, du Schafskopf du!«
»Grabt nur, Jungens,« sagte Silver mit der kaltblütigsten Frechheit; »es sollte mich gar nicht wundern, wenn ihr nicht ein paar Trüffeln fändet.«
»Trüffeln,« wiederholte Merry kreischend. »Hört ihr das, Maate? Ich sage euch, der Mann hat es längst gewußt! Seht ihm bloß ins Gesicht – da steht’s geschrieben!«
»So, Merry?« sagte Silver; »mal wieder auf dem Sprung, Käpp’n zu werden? Du bist ein ehrgeiziger Junge, das ist gewiß.«
Aber diesmal standen sie alle miteinander auf Merrys Seite. Mit wütenden Blicken kletterten sie aus der Grube heraus. Aber ich bemerkte dabei eins, was für uns günstig war: sie kletterten alle auf der anderen Seite heraus. So standen wir also da: zwei auf der einen Seite, fünf auf der andern, zwischen uns die Grube. Aber keiner hatte den Mut, den ersten Streich zu tun. Silver stand unbeweglich, hoch aufgerichtet auf seine Krücke gestützt; er beobachtete sie und sah so kühl aus, wie ich ihn nur je gesehen hatte. Tapfer war er, daran gab’s keinen Zweifel.
Schließlich schien Merry zu denken, daß es vielleicht gut sein könnte, eine Ansprache an seine Leute zu halten.
»Maate!« rief er, »da stehen zwei – der eine ist der alte Krüppel, der uns hierher gebracht hat und alles verpfuscht hat; der andere ist der Bengel, dem ich das Herz aus dem Leibe reißen will. Auf, Maate – –«
Er erhob Arm und Stimme und wollte offenbar zum Angriff schreiten. Aber gerade in diesem Augenblick ging es: Krack! Krack! Krack! – drei Musketenschüsse blitzten im Dickicht auf.
Merry fiel kopfüber in die Grube; der Mann mit dem verbundenen Kopf drehte sich wie ein Kreisel um sich selber und fiel, so lang er war, auf die Seite. Er zuckte noch ein paarmal – aber er war tot.
Die anderen drei Piraten machten kehrt und liefen davon, so schnell sie konnten.
Im Nu hatte Long John die