Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Der Tag ging zur Neige, die Sonnenstrahlen wurden lang und schräge, als sie sich plötzlich aufraffte und das Gesangbuch, das in dem ersten Kapitel ihrer Liebesgeschichte bereits eine so wichtige Rolle gespielt, in das Taschentuch wickelte und wegschloß. Es wird behauptet, daß mangels des Auges des Mesmeristen auch ein leuchtender Nagelkopf als Ersatz dienen könne, vorausgesetzt, daß man ihn nur recht inständig betrachte. So hatte jene zerrissene Seite ihre Aufmerksamkeit an eine Sache gefesselt, die ihr andernfalls nur unbedeutend erschienen wäre und die sie sonst vielleicht bald vergessen hätte, während die unheilschwangeren Worte Dandies – vernommen, doch nicht beachtet und dennoch haften geblieben – ihren Gedanken oder besser ihrer Stimmung eine gewisse Feierlichkeit und Schicksalhaftigkeit verliehen: das Bewußtsein heidnischen Fatums, keiner christlichen Gottheit unterworfen, dunkel, gesetzlos, erhaben und unerbittlich in die Schicksale der Christenheit eingreifend. So läßt sich selbst das seltene Phänomen der Liebe auf den ersten Blick, das so einfach und so zwingend, ja einer Erschütterung unserer Lebensfundamente vergleichbar erscheint, in eine Folge zufälliger Ereignisse auflösen. Sie legte ein graues Kleid mit rosa Fichu an, betrachtete sich einen Augenblick wohlgefällig in dem kleinen, viereckigen Glas, das ihr als Toilettenspiegel diente, und schlich sich leise die Treppe hinunter und durch das schlafende Haus, das von nachmittäglichem Schnarchen widerhallte. Unmittelbar vor der Tür saß Dandie mit einem Buch in der Hand; er las jedoch nicht, sondern ehrte den Sabbat lediglich durch vollkommene Gedankenleere. Sie trat zu ihm und blieb stehen.
»Ich will ins Moor hinaus, Dandie«, sagte sie. Ihr Ton war ungewöhnlich weich, und er blickte auf. Sie war blaß, ihre Augen strahlten dunkel; nirgends mehr eine Spur von ihrer früheren Ausgelassenheit.
»Ist’s wahr, Mädel? Bei dir geht’s auch immer bergauf und bergab, akkurat wie bei mir«, bemerkte er.
»Was meinst du damit?« erkundigte sie sich.
»Oh, nichts Besonderes«, sagte Dandie. »Ich meine nur, du bist mir ähnlicher als die andern alle. Hast mehr von dem poetischen Temperament, wenn auch nichts von der Begabung, weiß der liebe Herrgott. Nun, ‘s ist im besten Fall ein heikles Geschenk. Sieh dich selber an. Beim Essen warst du ganz Sonnenschein und Blumen und Lachen, und jetzt bist du wie der Abendstern über einem See.«
Sie trank das abgedroschene Kompliment gleich Wein; es glühte in ihren Adern.
»Ich sagte schon, Dand« – sie trat näher –, »ich will hinaus ins Moor. Ich muß mal Luft schöpfen. Wenn Clem nach mir fragt, stopf ihm den Mund, nicht wahr?«
»Wie denn?« fragte Dandie. »Ich kenn’ nur eine Methode, und die heißt lügen. Ich werd’ ihm sagen, daß du Kopfschmerzen gehabt hättest, wenn du willst.«
»Ich hab’ aber keine«, wandte sie ein.
»Schon recht«, entgegnete er, »ich sagte ja auch nur, ich würde behaupten, daß du welche gehabt hättest; und wenn du’s mir hinterher abstreiten willst, bleibt’s auch so ziemlich gleich; mein Ruf ist sowieso ein für allemal hin.«
»O Dand, bist du denn ein Lügner?« fragte sie und zögerte noch immer.
»Die Leut’ behaupten es«, entgegnete der Barde.
»Wer behauptet es?« fuhr sie fort.
»Die, welche mich am besten kennen«, erwiderte er. »Die Mädels, zum Beispiel.«
»Aber Dand, mich würdest du doch nie belügen?« forschte sie.
»Das will ich dir überlassen, Katzel«, meinte er. »Wirst mich schon rasch genug beschwindeln, wenn du erst einen Schatz hast. Das sag ich dir, und es ist die Wahrheit; wenn du erst ‘n Schatz hast, hast du ihn für gute und schlechte Tage, komme, was da will. Ich kenn’ mich aus: war auch einmal so, aber der Teufel hat mir reingepatzt. Und jetzt mach, daß du fortkommst, und laß mich in Ruh; bist akkurat in meine poetische Stunde reingefahren, du unruhiger Aff.« Aber sie klammerte sich an ihres Bruders Gesellschaft, weshalb, wußte sie selbst nicht.
»Willst mir nicht einen Kuß geben, Dand?« bat sie. »Hab’ dich immer so gern gehabt.«
Er küßte sie und musterte sie einen Augenblick; etwas an ihr mutete ihn fremd an. Aber er war durch und durch Frauenjäger, hegte für das ganze Weibervolk nur Verachtung, gleichmäßig mit