Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson

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Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson - Robert Louis Stevenson

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Stück, ein Geschenk von Mrs. Clem, in deutlicher, altmodischer Schrift auf einem Papier gedruckt, das vom langen Lagern auf dem Speicher – nicht vom Gebrauch – vergilbt war, und Christina war gewohnt, es allsonntäglich nach dem Gottesdienst in ein Taschentuch zu hüllen und es zuoberst in ihrem Koffer wegzulegen. Als sie es jetzt in die Hand nahm, öffnete es sich an der Stelle, an der das Blatt zerrissen war, und sie blieb stehen und betrachtete sinnend diesen Beweis ihrer früheren Aufregung. Da tauchten vor ihr zwei braune Augen auf, die sie, leuchtend und sehr intensiv, aus einem dunklen Kirchenwinkel anstarrten. Beim Anblick des zerfetzten Blattes sah sie blitzartig die ganze Erscheinung vor sich, die Haltung, das Lächeln, die angedeutete Geste des jungen Hermiston. »Wahrhaftig, bei mir hat’s heute gespukt!« sagte sie, Dandies Worte wiederholend, und bei dem Gedanken an ein unnatürliches, vorausbestimmtes Geschick wich ihre freudige Stimmung. Sie warf sich der Länge nach auf ihr Bett und lag dort stundenlang, das Gesangbuch in der Hand, die meiste Zeit in starrem, gelähmtem Widerstreit sich sträubender Freude und unvernünftiger Furcht. Diese Furcht war abergläubisch; wieder und wieder stieg die Erinnerung an Dandies unheilvolles Wort auf, und hundert düstere, unheimliche Geschichten aus der nächsten Nachbarschaft bestätigten ihr dessen Sinn. Die Freude drang nicht bis in ihr Bewußtsein vor. Vielmehr waren es die einzelnen Glieder ihres Körpers, welche dachten und sich erinnerten und froh waren, während ihr wahres Ich im Mittelpunkt ihres Bewußtseins fieberhaft von anderen Dingen redete, gleich einem nervösen Menschen bei einem Feuer. Das Bild, bei dem sie am liebsten verweilte, war das Fräulein Christina in ihrer Eigenschaft als hübsches Mädchen von Cauldstaneslap, das in strohfarbenem Kleid, violetter Mantille und gelben Spinnwebstrümpfen alle Herzen im Sturm eroberte. Archies Bildnis dagegen wurde, wenn es auftauchte, nicht willkommen geheißen, viel weniger mit Inbrunst begrüßt; ja mitunter mußte es erbarmungsloser Kritik standhalten. Im Laufe der langen, verschwommenen Dialoge, die sie in Gedanken häufig mit allerlei Bildern, häufig auch mit schattenhaften Fragestellern hielt, mußte Archie, falls er überhaupt erwähnt wurde, die rauheste Behandlung erdulden. Da hieß es, »daß er der reinste Storch wäre«, »geglotzt hätte wie ein Kalb«; »ein Gesicht wie ein Gespenst besäße« usw. »Überhaupt, was sind das für Manieren?« fragte sie; oder: »Ich hab’ ihn aber gehörig zurechtgewiesen«. »›Jungfer Christina, bitte, Mr. Weir‹, hab’ ich gesagt und meine Röcke aufgerafft und damit gut.« Mit dergleichen verworrenem Geschwätz unterhielt sie sich ununterbrochen lange Zeit; dann fiel ihr Blick auf das zerrissene Blatt, und die Augen Archies sprangen aus dem Dunkel der Mauer heraus, und die geläufigen Worte stockten, und sie lag still und stumpf und dachte hingegeben an nichts und seufzte mitunter nur leise. Wäre ein Doktor der Medizin in jene Dachkammer gestiegen, er hätte sie als ein gesundes, gutentwickeltes, lebenssprühendes Mädchen diagnostiziert, das sich in momentaner Schmollstimmung auf ihr Bett geworfen hatte, und durchaus nicht als einen Menschen, der soeben erst von einer tödlichen Krankheit des Gemüts, die ihn dem Tode und der Verzweiflung nahebringen konnte, befallen war oder befallen wurde. Wäre er ein Doktor der Psychologie gewesen, er hätte in dem Mädchen eine bis zur Leidenschaft gesteigerte kindische Eitelkeit, eine Selbstliebe in excelsis entdeckt und auch verziehen, sonst aber nichts. Es ist jedoch zu bedenken, daß ich hier das Chaos schildere, das Unfaßbare in Worte fasse. Keine Linie, die nicht zu deutlich, kein Ausdruck, der nicht zu stark wäre. Man denke sich einen Wegweiser in den Bergen an einem Tage brauender Nebel; ich habe lediglich die Namen auf jenem Schilde kopiert, die Namen bestimmter, bekannter und zur Zeit vielleicht im Sonnenschein sich badender Städte, während Christina all diese Stunden gleichsam am Fuße des Zeigers weilte, bewegungslos und in fließende, blinde Nebelschwaden gehüllt.

      Der Tag ging zur Neige, die Sonnenstrahlen wurden lang und schräge, als sie sich plötzlich aufraffte und das Gesangbuch, das in dem ersten Kapitel ihrer Liebesgeschichte bereits eine so wichtige Rolle gespielt, in das Taschentuch wickelte und wegschloß. Es wird behauptet, daß mangels des Auges des Mesmeristen auch ein leuchtender Nagelkopf als Ersatz dienen könne, vorausgesetzt, daß man ihn nur recht inständig betrachte. So hatte jene zerrissene Seite ihre Aufmerksamkeit an eine Sache gefesselt, die ihr andernfalls nur unbedeutend erschienen wäre und die sie sonst vielleicht bald vergessen hätte, während die unheilschwangeren Worte Dandies – vernommen, doch nicht beachtet und dennoch haften geblieben – ihren Gedanken oder besser ihrer Stimmung eine gewisse Feierlichkeit und Schicksalhaftigkeit verliehen: das Bewußtsein heidnischen Fatums, keiner christlichen Gottheit unterworfen, dunkel, gesetzlos, erhaben und unerbittlich in die Schicksale der Christenheit eingreifend. So läßt sich selbst das seltene Phänomen der Liebe auf den ersten Blick, das so einfach und so zwingend, ja einer Erschütterung unserer Lebensfundamente vergleichbar erscheint, in eine Folge zufälliger Ereignisse auflösen. Sie legte ein graues Kleid mit rosa Fichu an, betrachtete sich einen Augenblick wohlgefällig in dem kleinen, viereckigen Glas, das ihr als Toilettenspiegel diente, und schlich sich leise die Treppe hinunter und durch das schlafende Haus, das von nachmittäglichem Schnarchen widerhallte. Unmittelbar vor der Tür saß Dandie mit einem Buch in der Hand; er las jedoch nicht, sondern ehrte den Sabbat lediglich durch vollkommene Gedankenleere. Sie trat zu ihm und blieb stehen.

      »Ich will ins Moor hinaus, Dandie«, sagte sie. Ihr Ton war ungewöhnlich weich, und er blickte auf. Sie war blaß, ihre Augen strahlten dunkel; nirgends mehr eine Spur von ihrer früheren Ausgelassenheit.

      »Ist’s wahr, Mädel? Bei dir geht’s auch immer bergauf und bergab, akkurat wie bei mir«, bemerkte er.

      »Was meinst du damit?« erkundigte sie sich.

      »Oh, nichts Besonderes«, sagte Dandie. »Ich meine nur, du bist mir ähnlicher als die andern alle. Hast mehr von dem poetischen Temperament, wenn auch nichts von der Begabung, weiß der liebe Herrgott. Nun, ‘s ist im besten Fall ein heikles Geschenk. Sieh dich selber an. Beim Essen warst du ganz Sonnenschein und Blumen und Lachen, und jetzt bist du wie der Abendstern über einem See.«

      Sie trank das abgedroschene Kompliment gleich Wein; es glühte in ihren Adern.

      »Ich sagte schon, Dand« – sie trat näher –, »ich will hinaus ins Moor. Ich muß mal Luft schöpfen. Wenn Clem nach mir fragt, stopf ihm den Mund, nicht wahr?«

      »Wie denn?« fragte Dandie. »Ich kenn’ nur eine Methode, und die heißt lügen. Ich werd’ ihm sagen, daß du Kopfschmerzen gehabt hättest, wenn du willst.«

      »Ich hab’ aber keine«, wandte sie ein.

      »Schon recht«, entgegnete er, »ich sagte ja auch nur, ich würde behaupten, daß du welche gehabt hättest; und wenn du’s mir hinterher abstreiten willst, bleibt’s auch so ziemlich gleich; mein Ruf ist sowieso ein für allemal hin.«

      »O Dand, bist du denn ein Lügner?« fragte sie und zögerte noch immer.

      »Die Leut’ behaupten es«, entgegnete der Barde.

      »Wer behauptet es?« fuhr sie fort.

      »Die, welche mich am besten kennen«, erwiderte er. »Die Mädels, zum Beispiel.«

      »Aber Dand, mich würdest du doch nie belügen?« forschte sie.

      »Das will ich dir überlassen, Katzel«, meinte er. »Wirst mich schon rasch genug beschwindeln, wenn du erst einen Schatz hast. Das sag ich dir, und es ist die Wahrheit; wenn du erst ‘n Schatz hast, hast du ihn für gute und schlechte Tage, komme, was da will. Ich kenn’ mich aus: war auch einmal so, aber der Teufel hat mir reingepatzt. Und jetzt mach, daß du fortkommst, und laß mich in Ruh; bist akkurat in meine poetische Stunde reingefahren, du unruhiger Aff.« Aber sie klammerte sich an ihres Bruders Gesellschaft, weshalb, wußte sie selbst nicht.

      »Willst mir nicht einen Kuß geben, Dand?« bat sie. »Hab’ dich immer so gern gehabt.«

      Er küßte sie und musterte sie einen Augenblick; etwas an ihr mutete ihn fremd an. Aber er war durch und durch Frauenjäger, hegte für das ganze Weibervolk nur Verachtung, gleichmäßig mit

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