Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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»Ganz sicherlich,« sagte der Geistliche, »das tät ich, und zwar ohne Zeitverlust. Ein kräftiger Bursche wie du, müßte in zwei Tagesmärschen in Cramond sein (das ist nicht weit über Edinburgh). Käme das Schlimmste zum Schlimmen, und deine hohen Angehörigen (denn ich muß wohl annehmen, daß sie irgendwie deine Blutsverwandten sind) versperrten dir ihre Tür, so müßtest du eben diese beiden Tagereisen wieder zurückgehen und an die Tür des Pfarrhauses klopfen. Aber ich will eher hoffen, daß du gut empfangen wirst, wie dein armer Vater annahm, und soweit ich es überblicken kann, mit der Zeit ein großer Mann werden wirst. Und jetzt, Davie, mein Jungchen,« schloß er, »liegt es mir sehr am Herzen, diese Abschiedsstunde würdig zu nützen und dich vor allen Gefahren der Welt ernstlich zu warnen.«
Hier sah er sich nach einer bequemen Sitzgelegenheit um, wählte dann einen großen Stein unter einer Birke am Rande der Straße, setzte sich hin, machte eine sehr lange, ernste Oberlippe und breitete, da die Sonne nun zwischen zwei Berggipfeln hell auf uns schien, ein Taschentuch über seinen krämpenlosen Hut, um sich zu schützen. So begann er nun mich mit erhobenem Zeigefinger erst vor einer beträchtlichen Anzahl von Irrlehren zu warnen, zu denen ich keinerlei Neigungen hatte, und beschwor mich, beständig zu bleiben in meinen Gebeten und im Lesen der Bibel. Dies getan, entwarf er ein Bild des großen Hauses, in das ich kommen werde und wie ich mich gegen die Bewohner benehmen sollte.
»Sei nachgiebig, Davie, in gleichgültigen Dingen«, sagte er. »Halte es dir stets vor Augen, daß du, obgleich edel geboren, nur auf dem Lande erzogen wurdest. Beschäm' uns nicht, Davie, beschäm' uns nicht. In jenem großen Haus mit all den Bedienten oben und unten, zeig' dich so höflich, so umsichtig, so schnell im Begreifen und so langsam im Sprechen wie irgend einer. Und was den Gutsherrn betrifft – vergiß nicht, er ist der Gutsherr; ich sage nicht mehr. Ehre, wem Ehre gebührt. Es ist ein Vergnügen, seinem Gutsherrn zu gehorchen oder sollte es sein, für junge Menschen.«
»Gut, Herr,« sagte ich, »es mag so sein, und ich versprech' Euch, mich zu bemühen, es so zu machen.«
»Sehr gut gesagt«, antwortete Herr Campbell herzlich. »Und nun, um zur Sache zu kommen oder (um ein Wortspiel zu machen) zur Nebensache. Ich habe hier ein kleines Päckchen, das vier Dinge enthält.« Er zog es bei diesen Worten nicht ohne Schwierigkeiten aus der Brusttasche seines Mantels hervor. »Von diesen vier Dingen ist das erste dein gesetzliches Erbteil: das bißchen Geld für deines Vaters Bücher und Einrichtungsgegenstände, die ich gekauft habe (wie ich von Anfang an erklärte), um sie mit Gewinn dem zukünftigen Schullehrer wieder zu verkaufen. Die anderen drei Gaben sind von Frau Campbell und mir und wir würden uns freuen, wenn du sie annehmen wolltest. Das erste ist rund und wird dir wohl fürs erste am besten gefallen; aber, o Davie, mein Junge, es ist nur wie ein Tropfen Wasser im Meer; es wird dir nur einen Schritt weit helfen und dahinschwinden wie der Morgen. Das zweite ist flach und viereckig und beschrieben; es wird dir dein ganzes Leben lang beistehen wie ein guter Stock auf der Landstraße oder ein gutes Kissen unterm Kopf auf dem Krankenlager. Und was das letzte betrifft, das kubisch ist, das wird dich hoffentlich – ich will Gott darum in meinen Gebeten bitten – in ein besseres Land begleiten.«
Mit diesen Worten stand er auf, nahm seinen Hut ab und betete ein Weilchen laut und in rührenden Worten für einen jungen Mann, der im Begriffe stand in die weite Welt zu ziehen. Dann schloß er mich plötzlich in seine Arme und küßte mich sehr fest; dann hielt er mich mit ausgestrecktem Arme vor sich und sah mich mit schmerzlich zuckendem Gesicht an, dann drehte er sich schnell um und rief mir ein Lebewohl zu und setzte in einer Art Trab davon, den Weg zurück, den wir gekommen waren. Einem anderen hätte es lächerlich vorkommen mögen, aber mir war nicht zum Lachen zu Mute. Ich blickte ihm nach, solange er noch zu sehen war; er blieb auch nicht einen Augenblick stehen und sah sich nicht ein einziges Mal um. Da wurde es mir mit einem Male klar, daß all dies nur sein Schmerz über meine Abreise war und ich empfand heftige Gewissensbisse, weil ich für mein Teil nur allzu glücklich war, fortzukommen aus diesem stillen Dorfwinkel und in ein großes, bewegtes Haus zu gehen unter reiche und angesehene, vornehme Leute meines eigenen Namens und Blutes.
»Davie, Davie,« dachte ich, »hat man schon je solch schwarzen Undank gesehen? Kannst du beim bloßen Klang eines Namens gleich alte Wohltaten und alte Freunde vergessen? Pfui, pfui! Denk' welche Schande!«
Und ich setzte mich an eben der Stelle nieder, von wo der gute Mann gerade aufgestanden war und öffnete das Päckchen, um meine Gaben zu besehen. Das, was er kubisch genannt hatte, war natürlich – ich war darüber keinen Augenblick im Zweifel gewesen – eine kleine Taschenbibel. Das, was er rund genannt hatte, war, wie sich herausstellte, ein Schillingstück und das dritte, das mir so wunderbar, ob gesund, ob krank, all mein Lebtag helfen sollte, war ein kleines, gewöhnliches, gelbes Stückchen Papier, auf dem mit roter Tinte folgendes geschrieben stand:
»Bereitung von Maiglöckchenwasser.
Man nehme die Blüten von Maiglöckchen, destilliere sie in Säckchen und trinke ein oder zwei Löffel davon, je nach Bedarf. Es gibt den Stummen die Sprache wieder. Es ist gut gegen die Gicht. Es stärkt das Herz und schärft das Gedächtnis. Die Blüten gebe man in ein fest verschlossenes Glas und setze dieses für einen Monat in einen beliebigen Ameisenhaufen, dann nehme man es wieder heraus und man wird einen Saft finden, der von den Blüten stammt und den man in einem Fläschchen aufbewahren muß. Er ist gut für Mann und Weib, ob gesund, ob krank.« Und dann von des Geistlichen eigener Hand:
»Ebenso für Verstauchungen, damit einzureiben; und für Koliken, ein großer Löffel stündlich.«
Darüber nun habe ich natürlich gelacht. Aber es war mehr ein zitterndes Lachen und ich war froh, mein Bündel an das Ende meines Stockes zu hängen; so setzte ich über den Fluß und dann, auf der anderen Seite, den Hügel hinauf. Bis ich, gerade als ich zur großen Herdenstraße kam, die breit durch die Heide lief, den Blick auf Kirk Essendean warf, auf die Bäume, die ums Pfarrhaus standen und auf den Friedhof, wo mein Vater und meine Mutter lagen.
Kapitel II
Ich gelange an das Endziel meiner Reise
Am Vormittag des zweiten Tages sah ich, als ich auf die Spitze eines Hügels kam, das Land rings vor mir zum Meere hin abfallen; und inmitten dieses Abhanges, auf einem langen Grat rauchte die Stadt Edinburgh wie ein Riesenofen. Eine Flagge wehte auf dem Schloß, und Schiffe bewegten sich auf dem Meer oder lagen in der Bucht verankert. Ich konnte beides genau sehen, so weit entfernt ich auch stand, und beides bewog mich, mein Landrattenmaul weit aufzusperren.
Kurz nachher kam ich an einem Haus vorbei, in dem ein Hirt wohnte und der gab mir ungefähr die Richtung an, wie ich in die Gegend von Cramond käme; und so arbeitete ich mich von einem zum anderen durch, bis ich über Colinton westlich von der Hauptstadt auf der Straße von Glasgow herauskam. Dort erblickte ich zu meiner großen Freude und Verwunderung ein Regiment Soldaten, die im Takt zum Klange der Pfeifen marschierten, ein alter rotwangiger General auf einem grauen Pferde an einem Ende und eine Kompagnie Grenadiere mit ihren Bischofsmützen am anderen. Aller Lebensmut schien mir beim Anblick der Rotröcke und beim Klang der fröhlichen Musik zu Kopfe zu steigen.
Ein Stückchen weiter sagte man mir, daß ich im Gemeindebezirk von Cramond wäre, und ich fing nun an, mich in meinen Fragen nach dem Hause der Shaws zu erkundigen. Das schien jene, von denen ich meinen Weg zu erfragen suchte, in Erstaunen zu setzen. Zuerst glaubte ich, daß die Einfachheit meiner Erscheinung – in meinem Bauernanzug, der noch dazu von der Landstraße ganz staubig war – schlecht zu der Größe des Ortes paßte, zu dem ich gelangen wollte. Aber nachdem ich von zweien oder auch dreien