Briefe aus Krähwinkel. Thilo Koch
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In Tokio bekam ich auch einmal Tee im Auswärtigen Amt; aber in Tokio bekommst Du überall Tee. Und die herrlichen kleinen heißen Tücher für Gesicht und Hände. Ich warb überall in Bonn dafür, diesen ostasiatischen Brauch flugs zu übernehmen, des Klimas wegen: feuchte Wärme. Also mindestens insofern doch Treibhaus. Und es fällt auch leichter, das Gesicht zu wahren, wenn es immer schön frisch aussieht. Und es fällt auch leichter zu lächeln, mit frischem Gesicht. Keep smiling. Kein Mensch lächelt in Bonn. Doch einer. Er heißt Katsushiro Narita und ist seine Exzellenz, der japanische Botschafter.
Hab’ Dich, wieder einmal, vermißt bei einer kleinen Partie (nicht Party) auf dem Rhein. Da gibt’s dies rührende alte Bild Überfahrt am Schreckenstein. Find mal raus, wer’s gemalt hat. (Frag, meinetwegen, das Riemenschneider-Antlitz mit den »edlen Händen« — und füge gleich hinzu: Vater weiß alles. Und dann beschreib mir, was er für’n Gesicht gezogen hat.) Glücklicherweise brach keine rheinische Fröhlichkeit aus: warum ist es am Rhein so schön, Schnetterätäng. Die Berliner Stachelschweine machten mal diesen Witz: »Da jibt et Fraaren, uf die jibt et keene Antwort; zum Beispiel: Warum ist es am Rhein so schön?«
Nichts gegen hystrix cristata (wie steht’s eigentlich um Dein anglisiertes Latein —
Cäsar gleich Sßiesaar?), aber sie haben offenbar leider nie das tannengrüne Siebengebirge im taubenblauen Abenddunst verdämmern sehn. Und wie diese lustigen, langen, bunten, schweren Schleppkähne stromauf tukkern. »Und bis zum Sinken überladen, entfernt sich dieser letzte Kahn . . .« Ärgert Dich eigentlich, daß ich so gerne zitiere? Fühlst Du Dich erzogen? Oder gar abgehört? Dann laß ich’s.
Übrigens, was liest Du gerade? Soll ich Dir schicken How much is that in Dollars? Art Buchwald traf ich mal im Bus, trägt gern komische, karierte Hüte, ist dick und pudellustig — bemer-kenswert, denn Humoristen sind ja meistens Melancholiker. Nein? Doch. Nimm Wilhelm Busch, unseren einzigen. Großartig, aber seine Lebensphilosophie: Essig. Feinster Essig, zugegeben, aber sauer — brrr. »Wo er sich auch hinverfüge, Angst verkläret seine Züge« (Knoop). Übrigens die beste WB-Ausgabe machte ein gewisser Rolf Hochhuth in Gütersloh, bei Mohn. Jawohl, der Stellvertreter-Hochhuth, bevor er berühmt wurde. Da kannste sehn, Busch muß man haben.
Und ich wollte Dir erzählen, daß oder wie ich Bonn kenne. Ist ja nicht viel geworden, was? Liegt’s an Bonn oder an mir? Wahrscheinlich an mir, denn Bonn — Bonn ist eine schöne Stadt. Wäre eine schöne Stadt: Hofgarten, Uni, Marktplatz, Beethoven (Elise!). Aber nun dieser bundeshauptstädtische Verkehr in dem Blinddarm. Armer Hahlbohm. Strauß übrigens — das ist in Deinem Bayern der christlich-soziale Vorsitzende — kommt wieder. Nach Bonn. Sagt Bonn. Frag ihn mal. In München. Und was er von der Besten aller Welten hielte: Sepp und Barry, Schwank in fünf Jahren — Bundeskanzler Strauß und US-Präsident Goldwater.
Fällt mir ein: wie steht’s eigentlich um Dein »politisches Bewußtsein«? Männer allein sind auch nicht abendfüllend. Sag ich Dir.
Adieu,
Du siehst süß aus mit der schwarzen Samtschleife im Haar. Ich find’ das ja einen ganz reizenden Einfall der zeitgenössischen Mode. Dank für das Photo. Habe es an den kleinen Elfenbeinrahmen gelehnt, in dem oval das Kinderbild Deiner Mutter ist, Du weißt. Sie trägt da auch ein Schleifchen, was sage ich, einen kolossalen Propeller aus schwarzem Taft: süß.
Süß? Ein dummes Wort. Was sagen eigentlich Deine Kavaliere zu Dir, wenn sie Deinen Liebreiz »in Worte kleiden« möchten? Wie geht Eure Umgangssprache? Sagt ER zu IHR: Ich mag Dich? Ich finde Dich nett? Oder dufte? — Gesteht gar einer: Ich bin verknallt in Dich? Das große, schwere: Ich liebe Dich — das ist, vermute ich, für Euch Literatur oder Schnulze.
Wir redeten seinerzeit auch schon recht unterkühlt. Zum Teil wohl aus Opposition gegen den Bombast der öffentlichen Sprache 1933—1945. Hemingway, negativer Held einer lost generation, wurde ja verschlungen von den intellektuellen jungen Deutschen meiner Generation. Uns faszinierte dies Trocken-Knappe, das abgewürgte Pathos, der »tapfere Pessimismus«; auch die Todessehnsucht, die nicht agressiv herauskam wie bei den braunen Tramplern, sondern nach innen gekehrt, gegen das eigene Ich gerichtet war.
Deine Briefe, Tochter, werden deutscher. Weniger amerikanische Wendungen, mehr Dunkelheit und Umwege. Die innere Unsicherheit, die Du registrierst, sie tritt natürlich auch in Deinem Ausdruck zutage. Soll ich Dir was gestehen? Es gab in meinen vierundvierzig Jahren keinen einzigen bewußt erlebten Tag ohne innere Unsicherheit. Blick Dich um im schönen München: Wem gehören die höchsten und teuersten Häuser? Es steht dran: Lebensversicherung XY. Du kannst den Menschen geradezu definieren als das Wesen, das immer Sicherheit sucht und sich nie sicher fühlt.
Krähwinkel ist heute wie in Watte gepackt. Nebel wallen ums Haus. Mag sein, dies ist der Grund, daß mir mein Hindenken zu Dir diesmal etwas, na sagen wir, »dunkelgrau« gerät. Ihr blickt mich aber auch beide so ernst an unter Euren schwarzen Haarschleifen, Du und Deine Mutter. Ich werde, entschuldige einen Moment, mir ein anderes Gläschen einschenken. R. H. brachte neulich einen wunderbar »süßen« Portwein aus Portugal mit. Soweit ist es also schon mit mir gekommen Portwein.
So, ich hab auch gleich ein paar Buchenscheite hereingeholt und aufgelegt. Du siehst nicht von der Tür bis zum Holzstapel an der Garage. Kaminfeuer, Du weißt ja, mein liebstes Hobby.
Da fällt mir ein, das könnte auf Dich recht spießbürgerlich wirken: Portwein, Pantoffeln, Kamin. Täte mir leid, würde es aber nicht ändern. In meinem Alter darf man anfangen zu tun, was einem liegt, auch wenn es lächerlich oder subaltern oder sogar fatal ist. Gemütlichkeit, die deutsche — jawohl, ich mag sie, brauche sie, suche sie, mache sie mir. Als Festung gegen jene Unsicherheit? Festung klingt zu sicher. Sagen wir: als Zelt, als Unterschlupf, als Fluchtstation.
Übrigens R. H., der Dichter. Ich hatte ihn Jahr und Tag nicht gesehen. Er ist etwas älter als ich. Das hat früher mehr Abstand zwischen uns bedeutet als diesmal. Auch politisch fand ich ihn viel näher an mich herangerückt. Es gab einen interessanten Abend, denn wir hatten einen veritablen Ministerpräsidenten bei uns zu Gast, einen der Granden der zur Zeit stärksten deutschen Partei; sie heißt CDU, mußt Du wissen.
R. H. galt immer als rather conservative. So war ich nicht wenig erstaunt, als er dem großen Mann beharrlich, fest und treu widersprach. Du, es war eine richtig gute Debatte — am Kamin. Beide blieben sachlich und respektvoll und klug, und beide hatten sie zur Hälfte recht. Worum’s denn ging? Oh, wieder einmal um unsere Ostgrenze. R. H. war gerade in Rußland gewesen und meinte: wir Deutschen hätten den Polen gegenüber, die mehr als alle europäischen Völker unter uns gelitten haben, kein moralisches Recht, eine Revision der Grenze zu fordern.
Der Berufspolitiker begründete brillant, warum es eine politische Torheit wäre, freiwillig auf diese Trumpfkarte (die politisch-historisch ungerechte Grenze) zu verzichten — sowohl außenpolitisch, wie auch mit Rücksicht auf die Heimatvertriebenen (Wählerstimmen). Dein Vater konnte es nicht lassen und schwang sich zu einer gewagten Synthese auf: Nur durch ein größeres Europa, sagte er, ein Europa mit Einschluß Osteuropas, kann dieses Problem, ebenso wie das der Wiedervereinigung Deutschlands, gelöst werden. Nur in einer solchen Völker-Gemeinschaft, auf der Ebene dieser Vereinigten Staaten von Europa werden dann auch die Deutschen und die Polen nicht mehr um historisches Unrecht, nationales Prestige oder »Lebensraum« miteinander ringen müssen, ringen dürfen.