Die Erde. Emile Zola

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Die Erde - Emile Zola

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      Emile Zola

      Die Erde

      Übersetzt

       Hans Balzer

      Saga

      Die Erde ÜbersetztHans Balzer

      Original

      La terre

      Coverbild/Illustration: Shutterstock

       Copyright © 1887, 2020 Emile Zola und SAGA Egmont

       All rights reserved

       ISBN: 9788726683325

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

ERSTER TEIL

      KAPITEL I

      An jenem Morgen hatte Jean über dem Bauch ein Sätuch aus blauer Leinwand zusammengeknüpft, dessen Beutel er mit der linken Hand offen hielt, und mit der rechten nahm er daraus alle drei Schritte eine Handvoll Getreide, das er mit weitausholender Gebärde aufs Feld warf. Im rhythmischen Wiegen seines Körpers traten seine schweren Schuhe Löcher in die fette Erde und schleppten sie mit sich fort, während man bei jedem Wurf inmitten der unaufhörlich fliegenden blonden Saat die beiden roten Tressen eines Soldatenrocks schimmern sah, den er abtrug. Wie er so allein vorausschritt, schien er gleichsam größer geworden; und hinter ihm rollte, um das Saatkorn zu verscharren, langsam eine Egge, mit zwei Pferden bespannt, die ein Fuhrknecht mit langgezogenen, regelmäßigen, über ihren Ohren knallenden Peitschenhieben antrieb.

      Das bei dem Flurabschnitt Les Cornailles gelegene Ackerstück von kaum einigen fünfzig Ar war so unbedeutend, daß Herr Hourdequin, der Besitzer von La Borderie, die anderswo eingesetzte Sämaschine nicht hatte dort hinschicken wollen. Jean, der das Feld wieder von Süden nach Norden hinaufging, hatte die zwei Kilometer entfernten Gebäude des Gehöfts genau vor sich. Am Ende der Furche angelangt, blickte er auf, schaute hin, ohne etwas zu sehen, und verschnaufte eine Minute.

      Niedrige Mauern waren das, ein brauner Fleck aus alten Schieferdächern, verloren an der Schwelle der Beauce 1 , deren Ebene sich in Richtung Chartres erstreckte. Unter dem weiten Himmel, dem bedeckten Himmel eines Spätoktobertages, breiteten zehn Meilen Ackerland die zu dieser Jahreszeit kahlen, gelben und schweren Äcker aus, große Sturzackervierecke, die mit den grünen Tüchern der Luzerne- und Kleefelder abwechselten, und das ohne einen Hügel, ohne einen Baum, unabsehbar, ineinander verschwimmend, absinkend hinter der Horizontlinie, die klar und gleichmäßig war wie auf einem Meer. Im Westen säumte allein ein Wäldchen den Himmel mit einem rotbraunen Band. In der Mitte verlief vier Meilen weit schnurgerade eine kreideweiße Landstraße, die Landstraße von Châteaudun nach Orleans, mit ihren in haargenau gleichen Abständen wie zur Parade aufgereihten Telegrafenstangen. Und nichts weiter, außer drei oder vier hölzernen Windmühlen auf ihrem Bockgerüst mit reglosen Flügeln. Dörfer bildeten Inselchen aus Stein, ein Glockenturm tauchte in der Ferne aus einer Geländefalte auf, ohne daß man die Kirche in den weichen Wellenlinien dieser getreidebringenden Erde sah.

      Aber Jean drehte um und schritt von neuem aus mit seinem wiegenden Gang, diesmal von Norden nach Süden, wobei die linke Hand das Sätuch hielt und die rechte mit dem steten Schwung des Säens die Luft peitschte. Nun hatte er ganz dicht vor sich die schmale Talsenke des Aigre, die die Ebene wie ein Graben durchschnitt und hinter der wieder die Beauce begann, unermeßlich, bis Orleans. Man erriet die Wiesen und das Laubwerk nur an einer Linie großer Pappeln, von denen allein die gelb gewordenen Wipfel über die Ränder des Loches herausragten und so niedrigen Büschen glichen. Von dem auf dem Abhang erbauten Dörfchen Rognes waren einzig ein paar Dächer zu sehen, am Fuß der Kirche, die ihren von uralten Rabenfamilien bewohnten Glockenturm aus grauen Steinen hochreckte. Und im Osten, jenseits des Loir-Tals, in dem sich, zwei Meilen entfernt, Cloyes verbarg, der Hauptort des Cantons, hoben sich die im schieferfarbenen Tageslicht blaßvioletten fernen Hügel des Perche ab. Man war hier im ehemaligen Dunois, dem heutigen Arrondissement Châteaudun, zwischen dem Perche und der Beauce, und zwar unmittelbar am Saume der Beauce, dort, wo die weniger fruchtbaren Äcker ihr den Namen „lausige Beauce“ eintragen. Als Jean am Ende des Feldes war, blieb er nochmals stehen und blickte kurz hinunter, den Aigre-Bach entlang, der rasch und hell durch das Gras fließt und dem die Landstraße nach Cloyes folgt, die an diesem Sonnabend von den Wägelchen der zum Markt fahrenden Bauern durchfurcht wurde. Dann zog er das Feld wieder hinauf.

      Und immer wieder, mit dem gleichen Schritt, mit der gleichen Gebärde, ging er nach Norden hinauf und kam nach Süden zurück, in den lebenden Staub des Saatkorns gehüllt, während hinten die Egge unter dem Knallen der Peitsche im selben gemächlichen und gleichsam bedächtigen Trott den Samen begrub. Lange Regengüsse hatten die Herbstaussaat verzögert; im August hatte man noch gedüngt, und die Äcker lagen seit langem bereit, tief gepflügt, von verunreinigendem Unkraut gesäubert, tauglich, nach dem Klee und dem Hafer im dreijährigen Fruchtwechsel wieder Getreide zu geben. Daher trieb die Angst vor den nahen Frösten, die nach diesen Sintfluten bedrohlich waren, die Landwirte zur Eile an. Das Wetter war jäh kalt geworden, ein rußfarbenes Wetter ohne einen Windhauch, mit gleichmäßigem und düsterem Licht über diesem reglosen Erdenmeer. Überall wurde gesät; ein anderer Sämann ging dreihundert Meter weiter links, zur Rechten, weiter entfernt, noch einer; und andere, noch viele andere gingen dort drüben ein in die fliehende Perspektive des flachen Landes. Kleine Schattenrisse waren das, einfache, dünner und dünner werdende Striche, die sich meilenentfernt verloren. Aber alle machten die gleiche Gebärde, ließen die Saat auffliegen, die man wie eine Lebenswoge rings um sie ahnte. Die Ebene erschauerte davon bis in die ertränkten Fernen, wo die einzelnen Säer nicht mehr zu erkennen waren.

      Jean ging zum letztenmal hinunter, als er auf dem Weg von Rognes eine große fuchsrot und weiß gescheckte Kuh erblickte, die von einem jungen Mädchen, fast noch einem Kind, am Strick geführt wurde. Die kleine Bäuerin und das Tier folgten dem Pfad, der längs der Talsenke, am Rande der höher gelegenen Flächen verlief; beiden den Rücken zugekehrt, war er wieder hinaufgezogen, und er hatte gerade die Aussaat beendet, als das Geräusch hastender Schritte und halb erstickte Schreie ihn abermals den Kopf heben ließen, während er gerade sein Sätuch aufknotete, um aufzubrechen. Die Kuh war durchgegangen und galoppierte in ein Luzernefeld, hinterdrein das Mädchen, das sich abmühte, sie zurückzuhalten. Er befürchtete ein Unglück, er rief:

      „Laß sie doch los!“

      Sie ließ aber nicht los, sie keuchte, schimpfte mit zorniger und schreckerfüllter Stimme auf ihre Kuh:

      „Coliche! Wirst du wohl, Coliche! – Ah, du Biest! – Ah, verfluchtes Mistvieh!“

      Bis jetzt hatte sie ihr noch folgen können, rennend und springend, was ihre kleinen Beine hergaben. Aber sie strauchelte, fiel ein erstes Mal, raffte sich auf, fiel aber etwas weiter wieder hin, und da das Tier wie toll davonrannte, wurde sie mitgeschleift. Nun heulte sie. Ihr Körper hinterließ in der Luzerne eine Furche.

      „Laß sie doch los, Himmelsakrament!“ rief Jean immerzu. „Laß sie doch los!“

      Und er rief das mechanisch, vor Schreck, denn auch er rannte, als er endlich begriff: der Strick mußte sich ums Handgelenk geschlungen und bei jeder neuen Anstrengung fester zusammengezogen haben. Zum Glück kürzte

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