Quintus Fixlein. Jean Paul
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Er blieb absichtlich seine eigne Ausgabe auf sonntägigem Velinpapier; ich meine, er zog den Sonntagsrock sogar unter dem Gebetläuten nicht aus: denn er hatte noch viel vor. Nach dem Essen wolltʼ er zum Fräulein, als er sie wie eine Lilie in die rote Dämmerung getaucht zu sehen bekam. Fixlein hüpfte wie ein Irrlicht in den Garten, dessen Blumendampf an seinen Suppendampf anstieß. Niemand bückte sich tiefer vor einem Edelmann als er, nicht aus pöbelhafter Demut noch aus gewinnsüchtiger Selbsterniedrigung, sondern weil er dachte: „Ein Edelmann bleibe doch immer das, was er ist.“ Aber sein Bückling fiel (anstatt vorwärts) in die Quere rechts hinaus, gleichsam dem Hute nach: denn er hatte nicht gewagt, einen Stock mitzunehmen; Hut und Stock aber waren das Druckwerk und die Balancierstange, kurz das Bücklingsgetriebe, ohne das er sich in keine höfliche Bewegung zu setzen vermochte, und hätte man ihn dafür in das Hamburger Hauptpastorat votiert. Thiennettens Lustigkeit spannte seine zusammengerollte Seele bald wieder gerade und in den rechten Ton. Er hielt an sie eine lange nette Dank- und Erntepredigt für den schuppigen Kuchen, die ihr gut und langweilig zugleich vorkam. Mädchen ohne große Welt rechnen langweilige Pedanterie bloß wie das Schnupfen zu den notwendigen Ingredienzien eines Mannes. — Und so gingen beide zufrieden zwischen roten Bohnenblüten, roten Maikäfern, vor der immer tiefer am Horizonte niederbrennenden Abendröte den Garten auf und ab und kehrten allemal lächelnd vor dem Kopfe der Gärtnerin um, der wie ein Scheibenbild in das kleine Schiebfenster eingesetzt stand, das wieder in ein größeres gefaßt war.
Mir istʼs unbegreiflich, daß er sich nicht verliebte. Ich weiß zwar seine Gründe: erstlich hatte sie nichts; zweitens er nichts und Schuldenlast dazu; drittens war ihr Stammbaum ein Grenzbaum; viertens band ihm noch ein edlerer Gedanke die Hände, der aus guten Gründen dem Leser noch verhalten wird. Gleichwohl — Fixlein! hättʼ ich nicht an deinem Platze sein dürfen! Ich hätte sie angesehen und mich an ihre Tugenden und an unsere Schuljahre erinnert und dann mein weichflüssiges Herz hervorgezogen und es ihr wie einen Wechselbrief präsentiert. Denn ich hätte erwogen, daß sie es einer Nonne in zweierlei nachtue, im guten Herz und im guten Backwerk — daß sie mehr ihrem Geschlechte als unserem zu gefallen suche — daß sie ein zerfließendes Herz in Tränen zeige, deren sie sich aus Unschuld mehr schämt als rühmt. — Schon vor der dritten Rabatte wärʼ ich bei solchen Gründen dagewesen mit der Spende meines Herzens. — Hättʼ ich vollends bedacht, Quinte! daß ich sie kenne wie mich selber, daß ihr und mir (wärʼ ich nämlich du gewesen) von demselben Senior die Hände zum Schreiben geführt worden sind — daß wir uns als unschuldige Kinder vor dem Spiegel geküßt, um zu sehen, ob es die beiden Vexierkinder im Spiegel nachmachen — daß wir oft die Hände beiderlei Geschlechts in einen Muff geschoben und sie darin Versteckens spielen lassen, — hättʼ ich endlich überdacht, daß wir ja gerade vor dem in der Schmelzmalerei des Abends glimmenden Glashause ständen, an dessen kalten Scheiben wir beide (sie innen, ich außen) die heißen Wangen, bloß durch den gläsernen Ofenschirm gespalten, einander entgegengepreßt hatten: so hättʼ ich die arme vom Schicksal gedrückte Seele an meine gezogen und sie an meinem Herzen erwärmt und mit meinen Armen umgürtet . . .
Wahrlich: der Quintus hättʼ es auch getan, hättʼ es der oben gedachte edlere Gedanke, den ich verhalte, erlaubt! — Weich, ohne die Ursache zu wissen — daher er seine Mutter küßte — und selig, ohne ein gelehrtes Gespräch geführt zu haben, und mit einer Fracht von untertänigen Empfehlungen entlassen, die er morgen vor der Dragonerrittmeisterin abzuladen hat, kam er im kleinen Häuschen an und sah noch so lange aus seinen dunkeln Fenstern an die leuchtenden des Schlosses. — Und noch als schon das erste Viertel des Mondes im Untergehen war, um zwölf Uhr: schloß er vor dem kühlen Anwehen eines milden, duftenden, feuchten und das Herz beim Namen rufenden Nachtlüftchens noch einmal die Augenlider eines schon träumenden Blickes auf . . .
Schlafe, denn du hast heute noch nichts Böses getan! — Ich will, während die hängende geschlossene Blumenglocke deines Geistes sich auf das Kopfkissen senkt, hinausschauen in die wehende Nacht auf deinen morgendlichen Fußsteig, der dich nach Schadeck zu deiner Gönnerin führt. Der Rittmeister bricht schon um ein Uhr auf. Du und deine Schutzpatronin sitzen also morgen allein beisammen. Es gelinge dir alles, närrischer Quintus! —
Zweiter Zettelkasten
Frau von Aufhammer — Kindheits-Resonanz — Schriftstellerei
Das frühe Gepiepe nach Atzung, das die gestern vom Quintaner aus dem Neste adoptierte Drossel schon um zwei Uhr anfing, trieb den Quintus bald in die Kleider, deren Glanzpresse die Hände der besorgten Mutter waren, die ihn zur Rittmeisterin nicht wie einen „lüderlichen Hund“ lassen wollte. Der Pudel wurde inkarzeriert, der Quintaner mitgenommen, desgleichen gute Reglements von der Fixleinin, wie er sich gegen die Rittmeisterin aufzuführen habe. Aber der Sohn versetzte: „Mama, wenn man mit der großen Welt umgeht wie ich, mit einer Fräulein von Thiennette: so muß man doch wissen, wen man vor sich hat und was feine Sitten und Sawer di Wiwer (savoir vivre) fordern.“ — Er langte mit dem Quintaner und grünen Fingern (von den Saftfarben des zerdrückten Laubes am Steige) und mit einer abgefressenen Rose zwischen den Zähnen vor den dicken Lakaien in Schadeck an . . . Wenn die Weiber Blumen sind, so war die Frau von Aufhammer eine gefüllte, mit ihrem Fett-Bauchkissen und Speck-Kubus. Durch die Apoplexie schon mit dem halben Körper vom Leben abgeschnitten, lag sie auf ihrem Fettpolster nur wie in ihrem weicheren Grab; gleichwohl war das, was noch von ihr übrig war, zugleich lebhaft, fromm und stolz. Ihr Herz war ein gießendes Fruchthorn gegen alle Menschen, aber nicht aus Menschenliebe, sondern aus strenger Andacht; sie beglückte, beschenkte und verschmähte die Bürgerlichen und achtete an ihnen nichts, als höchstens Frömmigkeit. Sie nahm den nickenden Quintus mit dem zurücknickenden Air einer Patronatsherrin auf und erheiterte sich menschenfreundlich bei der Ausschiffung der Grüße von Thiennetten.
Sie fing das Gespräch an und setzte es lange allein fort und sagte — ohne daß deswegen die Trommelsucht des Stolzes ihr Gesicht verließ: — „sie werde bald sterben, aber sie werde die Pate ihres Gemahls schon in ihrem letzten Willen bedenken.“ — Ferner sagte sie ihm gerade ins Gesicht: „auf eine Versorgung in Hukelum sollʼ er nicht bauen; aber zum Flachsenfinger Konrektorat (das Bürgermeister und Rat besetzt) hoffe sie ihm zu verhelfen, da sie bei dem regierenden Bürgermeister ihren Kaffee und beim Stadtsyndikus die Lichter (er trieb einigen Grossohandel mit Hamburger Lichtern) kaufe.“ —
Nun kam er zum untertänigen Wort, da sie von ihm Krankenberichte über ihren Senior Astmann abforderte, der sich mehr von Luthers Katechismus als vom Gesundheitskatechismus raten ließ. Sie war weniger Astmanns Patronatsherrin als Patronin und gestand sogar, sie würde einem so treuen Seelenhirten bald nachfolgen, wenn sie auf ihrem Gute hier sein Sterbegeläute vernähme.
Gesetzt auch, der Teufel hätte in irgendeiner müßigen Minute eine oder zwei Hände voll Samenkörner des Neides in die Seele des Quintus gesäet: sie wären doch nicht aufgeschossen; und heute vollends nicht, da ihm ein Mann gepriesen wurde, der sein Lehrer und — ein Geistlicher war. Soviel ist freilich nach der Geschichte auch nicht zu leugnen, daß er bei der Edelfrau geradezu mit der Supplik nachkam: „er wolle zwar gern noch einige Jahre sich in der Schule gedulden, aber dann sehnʼ er sich wohl in ein geruhiges