Wohin des Wegs, Deutschland?. Thilo Koch

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Wohin des Wegs, Deutschland? - Thilo Koch

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Schuldgefühlen gegenüber den Russen. Aber wo wäre, als Resultat, eine Kreuzzugsstimmung, wo wäre Revanchismus?

      Selbst unter dem konservativen Feigenblatt der CSU, das Ludwig Erhard jetzt so überraschend lüftete, kann ich nichts dergleichen entdecken. Auch der Ritter Franz Josef ist doch viel zu dick und wohlstandslustig, als daß er sich ernsthaft aufs schlecht gefütterte, lahmende, längst nicht mehr beschlagene nationale Roß schwänge, um gen Ostland zu reiten. Nicht einmal er streckt den Finger nach dem atomaren Drücker aus, um seinen zweifellos militanten Antikommunismus »vorwärts zu verteidigen«.

      Sich schützen, ja, das wollen alle – die einen lieber mit Hilfe der Amerikaner, die anderen lieber mit Hilfe europäischer oder sogar – aber nur als letzten Ausweg – eigener Atomwaffen. Stalin, Stalinismus – in Deutschland ist der Schrecken davor natürlich lebendiger als in Frankreich oder England und fast so lebendig wie in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei. Man traut dem System nicht, hält einen Rückschlag für denkbar, möchte sich wappnen.

      Es ist nicht mehr »der Russe«, gegen den man die Faust in der Tasche ballt, während man feierliche Nichtangriffserklärungen abgibt. Es ist die sture Deutschlandpolitik Moskaus, mit der ein Mann wie Schröder ganz nüchtern rechnet. Freilich hängt sich auch die flexiblere Ostpolitik des Brentano-Nachfolgers erstaunlich gern künstliche Gewichte an die Füße. Wandlung durch Annäherung – die Formel wird von Brandt und Schröder und Mende (und infolgedessen auch von Erhard) akzeptiert. Aber schikken sie den besten Mann an unsere Botschaft in Moskau? Schaffen sie Verhandlungsrunden, in denen ohne Aufgabe irgendeines Rechtsstandpunktes auch Bonn und Ostberlin miteinander reden könnten?

      Die Amerikaner verabscheuen Mao Tse-tung mindestens so wie wir Ulbricht. Aber ein veritabler US-Botschafter ist jahrelang mit einem hohen Funktionär Maos regelmäßig zusammengekommen – in Warschau. Niemand in Washington hat jemals darin eine Anerkennung Pekings gesehen oder eine Aufwertung Rotchinas. Mit jedem Bundespersonalausweis, der einem Volkspolizisten vorgewiesen wird, wird täglich die De-facto-Anerkennung der DDR durch Bonn vollzogen. Und da sollen Verhandlungen, Unterschriften über Brückenbauten, Grenzkontrollformalitäten in Berlin, Häftlingsaustausch »unerträgliche Aufwertungen« sein, die »über die Grenze des Zumutbaren« hinausgehen?

      Mehr Angst als Vaterlandsliebe – weiß Gott, das könnte über all der erbarmungswürdigen Zaghaftigkeit stehen, mit der unsere Regierung und die beiden großen Parteien den frommen Wunsch »Wandel durch Annäherung« praktizieren. Einzig in der FDP züngelt noch manchmal ein Flämmlein gesamtdeutschen, recht verstandenen Patriotismus auf; aber sogleich muß der arme Erich Mende wieder die Asche der längst ausgebrannten Vorbehalte drüber streuen. Das allgemeine Tauwetter im Ostblock kommt auch deshalb so schwer über die Oder nach Westen, weil wir über die Elbe nach Osten nichts als Kaltluft blasen. Ulbricht wird von zwei Seiten im Sattel gehalten.

      Keine Vorleistungen, heißt es kategorisch imperativ. Aber es kommt einem, nach einigen Jahren Abstand, unwahrscheinlich kleinkariert vor, wenn etwa in einigen konservativen Zeitungen die Vereinbarungen über den Aufbau der Saalebrücke so oft nach Aufwertungsadjektiven durchröntgt werden, bis eine schmähliche Kapitulation der Bundesrepublik sich daraus aufblasen läßt. Mir scheint, in dem tiefen Brustton des ökonomischen Stolzes auf den ersten Platz im Weltexport piepst ganz kläglich ein politischer Minderwertigkeitskomplex nach.

      Man weiß überhaupt noch nicht, wie stark man ist. Vorleistungen – sei’s drum. Der mißglückte Artikelaustausch Die Zeit/ Neues Deutschland müsse auch den hartnäckigsten »Wandel-durch-Annäherungsidealisten« belehrt haben? Aber wer wollte wohl fordern, das Experimentieren zur Erforschung der Krebskrankheiten aufzugeben, weil kürzlich wieder ein Versuch fehlschlug? Täglich neue Versuche, auch Vorleistungen – nur so wird es gelingen, den Virus der Teilung zu lokalisieren, zu treffen, zu besiegen. Nur so. Nichts tun, nein sagen, ist zwar bequem, aber auch feige.

      Ist dieses Nur-keine-Experimente ebenfalls ein Symptom unserer Verschweizerung? Der Habestolz ist natürlicherweise aufs Halten und Bewahren aus; Besitz macht konservativ. Und neidisch. Zu den mancherlei Untugenden der Amerikaner gehört eine nicht: der Neid. Ich hatte schon ganz vergessen, daß doch wohl mit einigem Recht manche Psychologen Liebe und Neid als Haupttriebkräfte der menschlichen Seele bezeichnen. Meine Amerikaner müssen eine besonders kluge Methode herausgefunden haben, den Neid zu sublimieren. In unserer Federal Republic dagegen gibt man sich nicht einmal Mühe, jenes berühmte Erblassen vor Neid zu verbergen oder zu entschuldigen.

      Der Radfahrer beneidet den Mopedbesitzer, dieser den Rollerfahrer, dieser den Kleinwageneigner, dieser den Mann mit »richtigem« Wagen, und dann fängt das große knallgelbe Neiderspiel überhaupt erst richtig an – Kubikzentimeter für Kubikzentimeter, Stundenkilometer-Spitze für Stundenkilometer-Spitze; große Klasse erreicht es, wenn jemand mit seinem Jaguar die Gäste abholen läßt, selbst aber einen alten MG bevorzugt – ich kenne so einen Fall; der Mann fährt auch nicht nach Rhodos oder Marokko, sondern in den Harz, nach Kampen oder aber gleich nach den Bahamas.

      Selbst zum Snobismus entwickeln sie Talent, diese erstaunlich satten Deutschen. Und zeigen sogar nicht wenig Geschmack dabei. Mehr als ihre US-Pendants. Ich bin in deutsche Heime gekommen, wo Palisandertäfelung, Rosenthalporzellan, venezianische Kristall-Lampen, Vorhänge aus Schweden und ein alter Orientteppich ganz wundersam schön aufeinander abgestimmt waren. Junge Damen der besseren Gesellschaft zwischen Düsseldorf und Regensburg sah ich ungezwungen das Cocktailglas halten, zierlichgeziemend twisten, zum Verwechseln ähnlich entsprechenden Altersgenossinnen zwischen San Francisco und Columbus, Ohio. Aber dabei blieben die aufgeklärten Nachfahrinnen Gretchens Gott sei Dank zumeist dennoch liebenswürdig weiblich.

      Jener erschreckende Neid – ist er Ausdruck einer Status-Eifersucht unter Neureichen? Ganz offensichtlich bewahren weder Geist noch Geld, weder Rang noch Geltung davor. Unter den deutschen Intellektuellen scheint mir der gemeine Neid keineswegs weniger schamlos zu grassieren als unter den geheimen Führern der Nation, den Unternehmern. Solidarität? Da waren wir immer schwach auf der Brust. Aber Solidarität der Intellektuellen, Zusammenstehen um eines gemeinsamen Zieles willen, ganz gleich wie einer und wo einer sozial dasteht – das ist in den USA viel eher anzutreffen als hier. Die amerikanische Universität schafft durchaus Gemeinschaft, sogar Brüderlichkeit im Geiste bei allem Individualismus. Der deutsche Geist, wenn es so etwas gibt, schwebt ziellos durch die Lande, hat keinen Ort, kristallisiert sich nicht um katalysatorisch begabte Mitten; Ausnahmen wie Hans Werner Richters »Gruppe 47« machen infolgedessen Epoche, obwohl sie in Wahrheit nur zufällig gedeihende Ersatzlösungen darstellen.

      Opposition aus Eitelkeit und Geltungssucht, Produktivität aus Neid und Statusstreben – das steckt allzu oft hinter vortrefflichen Leistungen. Zu selten mildert Humor oder Selbstironie den üblen Beigeschmack, der so entsteht. In alledem offenbart sich ein Mangel an Freiheit. Innere und äußere Unfreiheit – trotz nie dagewesener politischer Freiheit – verzerren, verkrampfen bei uns auch das Große und Schöne, das durchaus hervorgebracht wird.

      Diese Unfreiheit in der Haltung des einzelnen ist die Ursache dafür, daß wenig Achtung anzutreffen ist und viel Zynismus. Eilig werden niedere Beweggründe unterstellt, wo das Motiv zur Handlung das eigene, unsichere Niveau womöglich übersteigen könnte. Der Materialismus der westlichen Zivilisation, dem sich der deutsche Bundesrepublikaner mit all seinen beängstigenden Energien verschrieben hat, er wird mit schlechtem Gewissen genossen. Da er der deutschen Seele natürlich nicht genügt, dieser Materialismus, wird ihm immer mehr abverlangt. »Das Teuerste und Beste« kommt auf den Tisch und, wo es ohne Skandal möglich ist, – ins Bett. Aber immer neue Modelle werden auf den Markt geworfen: circulus vitiosus.

      Der satte Deutsche ist nett geworden, ein goldiger Epikuräer. »Wir und keen dolce vita organisieren können – wär’ ja gelacht.« Aber der tausendjährige, mißgeleitete Idealismus hat sich nur verkrochen; noch ist er betäubt von den nationalistischen Orgien des Jahrhunderts. Dumpf träumend sinnt er bereits über neue Felder schweifender Betätigung nach. Philosophie und Dichtung und leider

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