Pferdeglück auf Ravensmoor. Ursula Isbel-Dotzler
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Vielleicht hätte Stevie noch länger geschwiegen, wenn Kim nicht gewesen wäre. Sie überfiel ihn sofort damit, dass er sich schleunigst nach einem neuen Gefährten für Cinnamon umsehen sollte.
»Es gibt doch Vereine, die alten und ausgemusterten Pferden helfen«, sagte sie. »Niko soll im Internet ein paar Adressen heraussuchen. Dann rufen wir an und fragen, wie man so ein armes Kerlchen vom Schlachttransport freikaufen kann.«
Von der Seite beobachtete ich Stevies Gesicht. Seine dunklen Augenbrauen trafen sich über der Nasenwurzel, was ihm einen finsteren Ausdruck verlieh.
»Okay, wenn du bereit bist alle Kosten zu übernehmen«, erwiderte er zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Kim warf ihm einen erschrockenen Blick zu. »He, warum sagst du so was? Du weißt doch genau, dass meine Eltern Flora beinahe verkauft hätten, weil wir kein Geld hatten, zwei Pferde zu halten!«
Stevie nickte. »Genau. Und wie soll ich deiner Meinung nach die Kohle auftreiben? Soll ich eine Bank überfallen oder wie?«
Wir starrten ihn an. Kim fiel beinahe die Kinnlade herunter.
Eine Weile herrschte betretenes Schweigen. Schlagartig wurde mir klar, dass ich mir kaum Gedanken darüber gemacht hatte, wie Stevie das alles hier finanzierte, woher er das Geld nahm, um fünfzehn Schafe, zwölf Katzen, drei Hunde, zwei Pferde, ein Reh, zwei Rabenkrähen, ein Eichhörnchen und eine ständig wechselnde Anzahl von verletzten Möwen, Rotkehlchen, Schwalben und Lerchen zu füttern.
Auch er selbst brauchte ja Geld für Essen, Heizmaterial und Kleidung, auch wenn er noch so bescheiden lebte. Und sein Job in der Seevogelstation brachte nichts ein; er arbeitete dort ehrenamtlich.
Kim war es, die schließlich das Schweigen brach. Sie stotterte beinahe, als sie sagte: »O Mann … Mist … Ich meine, das ist echt be … bescheiden von mir. Aber ich hab ganz vergessen …«
Stevie unterbrach sie. »Ja«, erwiderte er, jetzt schon nicht mehr ganz so unfreundlich wie vorher. »Genau das ist es! Keiner denkt sich was. Alle meinen, das Geld fällt bei mir wie Manna vom Himmel oder so.« Er stockte. »Aber nein, nicht alle. Es gibt schon ein paar Leute, die mir ab und zu helfen. Kathis Mutter zum Beispiel. Sonst hätte ich den Laden hier längst dichtmachen müssen.«
Mama, ja. Ich begriff plötzlich, dass sie Stevie neben dem Futter für die Pferde und Hunde sicher auch gelegentlich einen Scheck zusteckte, stillschweigend und ohne Aufhebens davon zu machen.
Ich spürte, dass ich rot wurde, so sehr schämte ich mich, weil ich Stevies Sorgen nicht bemerkt hatte. Und ich beschloss, mein Taschengeld in Zukunft nicht mehr für mich zu verbrauchen, sondern davon regelmäßig Futter für die Tiere von Little Eden zu kaufen.
»Aber dein Vater?«, fragte Kim in meine Gedanken hinein. »Gibt er dir denn kein Geld?«
Stevies Vater fuhr zur See und kam nur selten nach Hause. »Doch, er bezahlt die Rechnungen für Reparaturen am Haus und die Heizkosten und überweist mir jeden Monat etwas Geld zum Leben. Aber für die Tiere muss ich selbst sorgen, dafür kommt er nicht auf. Und das ist auch total in Ordnung so.«
Stevie sah auf seine Hände nieder, die er zwischen die Knie geklemmt hatte. Seine schmalen, feingliedrigen Finger waren rot und verarbeitet und voller Schwielen. Bestimmt war es ihm überaus peinlich, über seine Geldsorgen zu reden. Er hatte sie schließlich lange genug für sich behalten.
Hinter Kims Stirn arbeitete es. Wie es ihre Art war, suchte sie schon nach einer Lösung für Stevies Problem, das sah man ihr an der Nasenspitze an.
»Es ist nicht so, dass wir einfach angenommen haben, du kämst schon irgendwie zurecht«, sagte sie. »Ganz so bescheuert sind wir doch wieder nicht. Ich hab im Winter mal zu Kathi gesagt, dass wir versuchen sollten, einen Zuschuss für Little Eden von der RSPCA2 zu kriegen. Stimmt’s, Kathi?«
Ich nickte. »Ja, echt, das war Kims Idee. Hast du irgendwann mal versucht Geld vom Tierschutz zu bekommen, Stevie?«
Zögernd erwiderte er: »Daran gedacht hab ich schon. Aber … ich mag nicht betteln. Und ich kann solche Briefe nicht schreiben und schon gar nicht bei Leuten anrufen, die ich nicht kenne und die nicht wissen, was ich hier mache. Sie würden bestimmt denken, ich versuche sie nur abzuzocken.«
»Blödsinn!« Kim funkelte ihn an. »Wir schicken Fotos von deinen Tieren los, und Dr. Muir soll dir so was wie eine Empfehlung schreiben. Und vielleicht kann auch Kathis Mutter sich was ausdenken, eine Art Bestätigung, dass du wirklich tierschützerisch arbeitest. Wenn sie wollen, können sie doch jederzeit jemanden vorbeischicken, der sich Little Eden ansieht. Wo ist da das Problem?«
Stevie sagte, so einfach sei das alles nicht. »Die kriegen bestimmt täglich säckeweise Briefe von Typen, die Geld wollen und sich als Tierschützer ausgeben. Außerdem spenden die Leute immer weniger. Die meisten haben es sowieso schwer genug, jeden Monat ihre Miete zu zahlen und sich was zu essen zu kaufen. Die RSPCA ist bestimmt nicht so reich, wie du denkst, Kim.«
»Ich hab gelesen, dass es immer wieder Tierfreunde gibt, die ihnen ihr ganzes Geld vererben, reiche alte Tanten und so. Wenn ich Geld hätte und steinalt wäre, würde ich mein Vermögen jedenfalls dem Tierschutz vermachen.«
»Ich auch«, sagte ich.
»Leider sieht es nicht danach aus, als würden wir mal zu Geld kommen. Es sei denn, eine von uns heiratet einen alten Knacker mit einem Geldberg wie Dagobert Duck.« Kim kicherte. »Auf eine Erbschaft kann ich bestimmt nicht hoffen. Wir haben zwar Verwandte in London, die reich wie Trolle sind, aber bei denen schlappen schon jede Menge Kinder und Enkel rum. Da müsste schon eine Seuche ausbrechen, damit ich in der Erbfolge drankäme.«
Sie zeigte mit dem Finger auf Stevie. »Oder du suchst dir eine reiche Tussi. Eine wie die wunderbare Grace, die Kathis Bruder so anschmachtet.«
Irgendwie konnte ich ihre Bemerkung nicht lustig finden. Die Vorstellung, dass Stevie sich ein Mädchen aus einer vermögenden Familie suchte und sie des Geldes wegen heiratete, war echt nicht komisch. Überhaupt mochte ich mir nicht ausdenken, dass Stevie eines Tages …
Seine Stimme unterbrach jedoch meine düsteren Überlegungen.
»Hör schon auf, das ist nicht witzig! Wenn ich mal heirate, dann bestimmt nicht aus Geldgier.«
Er sah mich an und senkte den Blick sofort wieder.
»Ich hab mir schon überlegt, ob ich irgendwo einen Halbtagsjob annehme, damit wenigstens jeden Monat ein bisschen Geld aufs Konto kommt. Aber dann müsste ich meine Arbeit in der Seevogelstation aufgeben und die Tiere würden zu kurz kommen.«
Ich sagte: »Nein, du, wir schreiben heute noch an die RSPCA, Kim und ich. Mama wird uns helfen. Und du könntest Dr. Muir anrufen und ihn um eine Art Empfehlungsschreiben bitten. Mehr brauchst du nicht zu tun.«
Stevie gab keine Antwort. Er rutschte vom Balken, öffnete das Gatter und ging zu den Pferden auf die Koppel.
Flora und Smilla hatten Cinnamon in die Mitte genommen. Flora beknabberte den Hals der alten Stute. Es sah zärtlich aus,