Heidis Lehr- und Wanderjahre. Johanna Spyri
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Nun wurde sie aber unwillig, weil die Frauen von allen Seiten ihr zuriefen: „Wie kannst du so etwas tun!“ und „Das arme Tröpfli!“ und: „So ein kleines Hilfloses da droben lassen!“ und dann wieder und wieder: „Das arme Tröpfli!“ Die Dete lief, so schnell sie konnte, immer weiter, und war froh, als sie nichts mehr hörte; denn es war ihr nicht wohl bei der Sache; ihre Mutter hatte ihr beim Sterben das Kind noch übergeben. Aber sie sagte sich zur Beruhigung, sie könne dann ja eher wieder etwas für das Kind tun, wenn sie nun viel Geld verdiene, und so war sie sehr froh, dass sie bald weit von allen Leuten, die ihr dreinredeten, weg und zu einem schönen Verdienst kommen konnte.
Beim Grossvater
Nachdem die Dete verschwunden war, hatte der Öhi sich wieder auf die Bank hingesetzt und blies nun grosse Wolken aus seiner Pfeife; dabei starrte er auf den Boden und sagte kein Wort. Derweilen schaute das Heidi vergnüglich um sich, entdeckte den Geissenstall, der an die Hütte angebaut war, und guckte hinein. Es war nichts darin. Das Kind setzte seine Untersuchungen fort und kam hinter die Hütte zu den alten Tannen. Da blies der Wind so stark durch die Äste, dass es oben in den Wipfeln sauste und brauste. Heidi blieb stehen und hörte zu. Als es ein wenig stiller wurde, ging das Kind um die andere Ecke der Hütte herum und kam vorn wieder zum Grossvater zurück. Als es diesen noch in derselben Stellung erblickte, wie es ihn verlassen hatte, stellte es sich vor ihn hin, legte die Hände auf den Rücken und betrachtete ihn. Der Grossvater schaute auf. „Was willst jetzt tun?“ fragte er, als das Kind immer noch unbeweglich vor ihm stand.
„Ich will sehen, was du drinnen in der Hütte hast“, sagte Heidi.
„So komm!“ Und der Grossvater stand auf und ging voran in die Hütte hinein.
„Nimm dort dein Bündel Kleider noch mit!“ befahl er im Hereintreten.
„Das brauch ich nicht mehr!“ erklärte Heidi.
Der Alte kehrte sich um und schaute. durchdringend auf das Kind, dessen schwarze Augen in Erwartung der Dinge glühten, die da drinnen sein konnten. „Es kann ihm nicht an Verstand fehlen“, sagte er halblaut. „Warum brauchst du’s nicht mehr?“ setzte er laut hinzu.
„Ich will am liebsten gehen wie die Geissen, die haben ganz leichte Beinchen.“
„So, das kannst du, aber hol das Zeug!“ befahl der Grossvater, „es kommt in den Kasten.“ Heidi gehorchte. Jetzt machte der Alte die Tür auf, und Heidi trat hinter ihm her in einen ziemlich grossen Raum ein, es war der Umfang der ganzen Hütte. Da stand ein Tisch und ein Stuhl darin. In einer Ecke war des Grossvaters Schlaflager, in einer anderen hing der grosse Kessel über dem Herd, und auf der anderen Seite war eine grosse Tür in der Wand; die machte der Grossvater auf, es war der Schrank. Da hingen seine Kleider drin, und auf einem Gestell lagen ein paar Hemden, Strümpfe und Tücher, und auf einem anderen standen einige Teller und Tassen und Gläser und auf dem obersten ein rundes Brot und geräuchertes Fleisch und Käse; denn in dem Kasten war alles enthalten, was der Alm-Öhi besass und zu seinem Lebensunterhalt gebrauchte. Wie er nun den Schrank aufgemacht hatte, kam das Heidi schnell heran und stiess sein Zeug hinein, soweit hinter des Grossvaters Kleider wie möglich, damit es nicht so leicht wiederzufinden sei. Nun sah es sich aufmerksam in dem Raum um und sagte dann: „Wo soll ich schlafen, Grossvater?“
„Wo du willst!“ gab dieser zur Antwort.
Das war dem Heidi eben recht. Nun fuhr es in alle Winkel hinein und schaute nach jedem Plätzchen aus, wo am schönsten zu schlafen wäre. In der Ecke vorüber an des Grossvaters Lagerstätte war eine kleine Leiter aufgerichtet; Heidi kletterte hinauf und langte auf dem Heuboden an. Da lag ein frischer, duftender Heuhaufen oben, und durch eine runde Luke sah man weit ins Tal hinab.
„Hier will ich schlafen“, rief Heidi hinunter, „hier ist’s schön! Komm und sieh einmal, wie schön es hier ist, Grossvater!“
„Weiss schon!“ tönte es von unten herauf.
„Ich mache jetzt das Bett!“ rief das Kind wieder, indem es oben geschäftig hin- und herfuhr; aber du musst heraufkommen und mir ein Leintuch mitbringen; denn auf ein Bett kommt auch ein Leintuch, und darauf liegt man.“
„So, so“, sagte unten der Grossvater, und nach einer Weile ging er an den Schrank und kramte ein wenig darin herum; dann zog er unter seinen Hemden ein langes, grobes Tuch hervor, das musste so etwas wie ein Leintuch sein. Er kam damit die Leiter herauf. Da war auf dem Heuboden ein ganz artiges Bettlein zugerichtet; oben, wo der Kopf liegen musste, war das Heu hoch aufgeschichtet, und das Gesicht kam so zu liegen, dass es gerade auf das offene runde Loch traf.
„Das ist recht gemacht“, sagte der Grossvater, „jetzt wird das Tuch kommen, aber wart noch“ — und damit nahm er einen guten Wisch Heu von dem Haufen und machte das Lager doppelt so dick, damit der harte Boden nicht durchgefühlt werden konnte; „so, jetzt komm her damit!“ Heidi hatte das Leintuch schnell zur Hand genommen, konnte es aber fast nicht tragen, so schwer war’s; aber das war sehr gut; denn durch das setzte Zeug konnten die spissen Heuhalme nicht durchstechen. Jetzt breiteten die beiden miteinander das Tuch über das Heu, und wo es zu breit und zu lang war, stopfte Heidi die Enden eilfertig unter das Lager. Nun sah es recht gut und reinlich aus, und Heidi stellte sich davor und betrachtete es nachdenklich.
„Wir haben noch etwas vergessen, Grossvater“, sagte es dann.
„Was denn?“ fragte er.
„Eine Decke; denn wenn man ins Bett geht, kriecht man zwifchen das Leintuch und die Decke hinein.“
„So, meinst du? Wenn ich aber keine habe?“ sagte der Alte.
„Oh, dann ist’s gleich, Grossvater“, beruhigte Heidi; „dann nimmt man wieder Heu zur Decke“, und eilfertig wollte es gleich wieder an den Heustock gehen; aber der Grossvater wehrte es ihm.
„Wart einen Augenblick“, sagte er, stieg die Leiter hinab und ging an sein Lager hin. Dann kam er wieder und legte einen grossen, schweren leinenen Sack auf den Heuboden.
„Ist das nicht besser als Heu?“ fragte er. Heidi zog aus Leibeskräften an dem Sacke hin und her, um ihn auseinanderzulegen; aber die kleinen Hände konnten das schwere Zeug nicht bewältigen. Der Grossvater half, und wie es nun ausgebreitet auf dem Bette lag, da sah alles sehr gut und haltbar aus, und Heidi stand staunend vor seinem neuen Lager und sagte: „Das ist eine prächtige Decke, und das ganze Lager ist schön! Jetzt wollt ich, es wäre schon Nacht, so könnte ich mich hineinlegen.“
„Ich meine, wir könnten erst einmal etwas essen“, sagte der Grossvater, „oder was meinst du?“ Heidi hatte über dem Eifer des Bettmachens alles andere vergessen; nun ihm aber der Gedanke ans Essen kam, stieg ein grosser Hunger in ihm auf; denn es hatte heute noch gar nichts weiter bekommen als früh am Morgen sein Stück Brot und ein Tässchen dünnen Kaffee, und nachher hatte es die lange Reise gemacht. So sagte Heidi ganz zustimmend: „Ja, ich meine es auch.“
„So geh hinunter, wenn wir denn einig sind“, sagte der Alte und folgte dem Kinde auf dem Fusse nach. Dann ging er zum Kessel hin, schob den grossen weg und drehte den kleinen heran, der an der Kette hing, setzte sich auf den hölzernen Dreifuss mit dem runden Sitz davor hin und blies ein helles Feuer an. Im Kessel fing es an zu sieden, und unten hielt der Alte an einer langen Eisengabel ein grosses Stück Käse über das Feuer und drehte es hin und her, bis es auf allen Seiten goldgelb war. Heidi hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugesehen.
Jetzt