Klima|x. Andreas Malm
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Wir haben einen Feind da draußen
»Ich will, dass ihr in Panik geratet«, mahnte Greta Thunberg wieder und wieder, als sie 2019 durch die Hallen der Weltpolitik tingelte. Führende Persönlichkeiten verschiedener Couleur – aber keineswegs alle – sonnten sich im Glanz ihrer Rechtschaffenheit und versuchten, sie für ein gemeinsames Selfie zu gewinnen. Das eine aber, was sie unter keinen Umständen taten, war, in Panik zu geraten. Und genauso wenig beherzigten sie die Aussage, die Klimakrise stelle eine dem Krieg vergleichbare Notlage dar. Seit Jahren schon handelt es sich hierbei um einen Eckpfeiler der klimawissenschaftlichen und -aktivistischen Agitation, welche die Kriegsanstrengungen der Alliierten gerne als einen faktischen Beleg für eine Gesellschaft anführt, die dem Tode ins Auge geblickt, ihre Überlebenskräfte gebündelt, sich ausschließlich einem Ziel gewidmet und es so geschafft hat, den Feind unter extremem Zeitdruck zu besiegen. Der meistzitierte Aufsatz darüber, wie die US-amerikanische Wirtschaft fossile Brennstoffe zu hundert Prozent durch erneuerbare Energien ersetzen könne, verwies auf die Hundertausenden Flugzeuge, die während des Zweiten Weltkriegs von GMs und Fords Fabriken bereitgestellt wurden. Warum also nicht auch Windturbinen und Solarkollektoren? 2011, das heißt in jenem Jahr, in dem dieser Aufsatz publiziert wurde, drängten NGOs aus allen Bereichen der Umweltschutzbewegung die Führungskräfte der Vereinigten Staaten und Chinas dazu, endlich den Kriegszustand auszurufen – schließlich bezifferte die WHO, die höchste Behörde in Fragen menschlicher Gesundheit, die Zahl der durch die Erwärmung Getöteten auf mehr als 150 000 Menschen pro Jahr.
Nur den wenigsten Minister*innen und hochrangingen »politischen Entscheidungsträger*innen« im Globalen Norden dürfte es gelungen sein, nichts über die Parallele zwischen Klimakrise und Krieg zu vernehmen. In der bis dato detailliertesten Gegenüberstellung Strategies for Rapid Climate Mitigation. Wartime mobilisation as a model for action? analysiert Laurence Delina, ein mittlerweile in Hongkong lebender Nachhaltigkeitsforscher, wie Staaten ihre Ressourcen – Geld, Arbeit, Technologie – bündeln und fossile Treibstoffe mit der erforderlichen Geschwindigkeit abwickeln könnten. Ein Leser dieses Buches, der vor Greta Thunbergs Streik wohl berühmteste Klimaaktivist, Bill McKibben, verbreitete in seinem 2016 erschienenen Essay »A World at War« auf glanzvolle Weise diese Analogie, indem er die jüngste Saison der arktischen Eisschmelze als eine verheerende feindliche Offensive sowie die Feuerstürme und Dürren, über die damals in den Nachrichten berichtet wurde, als überwältigende Attacken beschrieb, nur um im nächsten Moment die Metapher in sich selbst einstürzen zu lassen: »Es ist nicht so, dass die Erderwärmung wie ein Weltkrieg ist. Sie ist ein Weltkrieg. Zu ihren ersten Opfern zählen paradoxerweise diejenigen, die am wenigsten zu der Krise beigetragen haben. Und dennoch muss man von einem Weltkrieg sprechen, der gegen uns alle gerichtet ist«, schrieb er, um im gleichen Atemzug dafür zu plädieren, wie auch im vorangegangenen Weltkrieg den Produktionsapparat umzurüsten.
McKibben war ein wichtiger Unterstützer der Kampagne von Bernie Sanders im Präsidentschaftswahlkampf 2016, der vorschlug, die USA solle die Klimakrise »so angehen, als befänden wir uns im Krieg« – »Wir haben einen Feind da draußen« –, und obwohl er an der Nominierung zum Kandidaten scheiterte, adoptierte die demokratische Partei vor der Wahl offiziell seine Forderung nach einer kriegsähnlichen Mobilisierung. Hillary Clinton versprach, im Weißen Haus einen »Kontrollraum ausschließlich für den Klimawandel« einzurichten, der dem Kartenraum von Franklin D. Roosevelt nachempfunden sein sollte, von dem aus er den Kriegsfeldzug leitete. Ein Ableger der US-Klimaschutzbewegung entwickelte einen »Siegesplan« mit der ikonischen Silhouette amerikanischer Soldaten, die statt einer Flagge eine Windturbine hissten; Demonstrationszüge waren zu sehen, die Frontbanner mit der Aufschrift »Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, CO2-Weltkrieg« und dem ernsten Gesicht von Uncle Sam trugen. Jene Aktivist*innengeneration – darunter Alexandria Ocasio-Cortez –, die 2019 vermehrt auf der Bildfläche erschien, hielt weiterhin an dieser Trope fest und sorgte wiederum auch dafür, dass etablierte Persönlichkeiten wie Joseph Stiglitz und Ed Miliband noch im gleichen Jahr eine kriegszeitenähnliche Reaktion forderten. Und tatsächlich galten der Klimanotstand und das Bedürfnis, in Panik zu geraten, als die Leitmotive des Jahres 2019, dem letzten Jahr v. C., wie sich spätestens bestätigte, als das Time Magazine Greta Thunberg zur »Person des Jahres« kürte und sie auf dem Cover der Ausgabe vom 23. Dezember auf einer von Wellen umbrandeten Klippe stehend porträtierte. An diesem Tag lag der 41-jährige Mann, der auf dem Markt in Wuhan arbeitete, bereits fiebrig und hustend zu Hause.
Unterschiede zwischen Corona und Klima: erster Schnitt
Innerhalb dieser Echo- und Analogiekammer musste eine Frage unweigerlich zutage treten: Wie kam es, dass die Staaten des Globalen Nordens auf das Coronavirus reagiert haben, nicht aber auf die Klimakrise? Oder genauer gesagt: Warum legten sie hinsichtlich des Ideals, etwas gegen die Emissionen zu tun, allenfalls Lippenbekenntnisse ab, während sie im nächsten Moment keinerlei Maßnahme scheuten – nicht einmal ihre Bevölkerungen unter Hausarrest zu stellen –, um der von der WHO offiziell als Covid-19 bezeichneten und mit dem Coronavirus einhergehenden Krankheit Einhalt zu gebieten? Diese Frage wurde in den Onlineforen, auf die sich die Menschheit im März beschränkt fand, eingehend diskutiert. Reihenweise Erklärungen hinsichtlich dieses Missverhältnisses wurden gepostet. Sie alle aber – die Unwirklichkeit der Klimakrise, ihr vergleichsweise ungefährlicher Charakter oder ihre Ungewissheit, Nichtgreifbarkeit, Komplexität, ihre Verstiegenheit oder ihr Mangel an Frontlinien – sollten in der Rubrik Ideologie verbucht werden. Sie beziehen sich nicht auf die faktischen Eigenschaften des Phänomens, sondern auf dessen verzerrte Wahrnehmung. Ihr Wahrheitsgehalt besteht darin, Facetten jener Ideologie zur Sprache zu bringen, die bereits an sich jegliche Aktion wider den Klimanotstand erschwert: Es ist keineswegs so, dass es keinen Feind gibt, doch der Glaube an seine Abwesenheit trägt zur Passivität bei. Gleiches gilt für die Ansicht, »die Zukunft wird übel sein, unabhängig davon, welche Schritte wir nun unternehmen, um den Klimawandel anzugehen. Dies kann Gefühle der Hilflosigkeit hervorrufen. Beim Coronavirus fühlt es sich hingegen so an, als zeitigten die heutigen Maßnahmen reale und nachweisbare Konsequenzen« – ganz offensichtlich handelt es sich hier um das Resultat der Maßnahmenergreifung, nicht um ihre Ursache. Denn hätten die Regierungen zugunsten des Klimas entschlossener gehandelt, wäre die Hoffnung noch groß; hätten sie das Virus Amok laufen lassen, wäre mit Sicherheit Verzweiflung eingetreten. Die aus der historischen Abdankung von Staaten im Angesicht der Gefahr resultierende Hoffnungslosigkeit speist sich dann aus sich selbst und muss sich ihrem Schicksal fügen – jedoch nur, wenn immer wieder aktiv bejaht und bekräftigt wird, dass man nichts tun könne. Jahrzehnte harter Arbeit der gegnerischen Seite haben zu diesen Eindrücken geführt.
Dann wiederum finden sich aber auch Hypothesen, die es wert sind, einer näheren Betrachtung unterzogen zu werden, etwa jene, dass der Klimawandel graduell sei, wohingegen sich Covid-19 gleich einer überraschenden Explosion vollzogen habe, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Diese Erklärung zählte zu den populäreren im März 2020, dem Monat der großen Divergenz. An dieser Stelle sei eine faktische Eigenschaft der globalen Erwärmung angemerkt: Sie erscheint nicht aus heiterem Himmel, um sich anschließend wieder still und heimlich in irgendein Loch zurückzuziehen, wie es von Covid-19 zunächst zumindest erwartet wurde. Gradualität mag sich für dieses Charakteristikum jedoch nicht unbedingt als geeigneter Begriff erweisen. Eher ließe sich der Klimakollaps als ein Erdrutsch begreifen, der durch das gesamte Erdsystem rollt, Material aufwirbelt und an Geschwindigkeit gewinnt, und jedes Mal, wenn er auf Menschen trifft, die ihm im Weg stehen, sind seine Auswirkungen alles andere als graduell – sofern wir unter »graduell« eine langsame, stufenweise Zunahme von Faktoren verstehen, die es erschweren, auf einer Zeitachse den Moment X vom Moment Y zu unterscheiden. Folgt man dieser Definition, dann hat ein Hurrikan, der die gesamte Infrastruktur einer Insel niederwalzt, nichts Graduelles an sich. Und auch ein australisches Feuerinferno oder der Angriff von Heuschrecken in Kenia fühlen sich nicht so oder so ähnlich wie jeder andere Tag an. Die Unvermitteltheit kann regelrecht erschütternd sein. Und auch