Die kleine Stadt. Heinrich Mann

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Die kleine Stadt - Heinrich Mann

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Die Stadt steht vor Ereignissen, die . . .“

      „— nicht eintreten“, schloß der Gemeindesekretär und lehnte sich zurück, um seine Taille zu zeigen.

      „Wer sagt Ihnen das?“

      Der Advokat fuchtelte, bevor er sprechen konnte.

      „Bin nicht etwa ich der Vorsitzende des Komitees und muß ich nicht als erster wissen, ob etwas geschieht, ob etwas, sage ich, geschehen kann?“

      „Bevor die Post da ist?“

      „Die Post! Die Post, mein Herr, war schon öfter da. Die Post hat zum Beispiel mir: verstehen Sie wohl, mein Herr, mir dem Vorsitzenden des Komitees, einen Brief ihrer Exzellenz der Frau Fürstin Cipolla gebracht, mit der gütigen Erlaubnis der Frau Fürstin, das Schloßtheater zu benutzen für die Vorstellungen der Truppe, die wir, das Komitee, hierher zu verschreiben gedächten. Und das war bereits kein geringer Erfolg, wenn Sie bedenken —“

      Der Advokat wendete sich zum Reisenden; einen seiner mürben Finger, die ihn älter machten als sein Gesicht, reckte er hinter sich, wo die Treppengasse zum Kastell hinaufbog.

      „— daß das Theater seit fünfzig: seien wir genau, seit achtundvierzig und dreiviertel Jahren unbenutzt steht, nämlich seit der Vermählung des armen Fürsten . . .“

      „War die Vorstellung gut, Advokat?“ fragte beißend der Gemeindesekretär. „Sie haben doch schon damals den Impresario gemacht? Denn wann waren Sie untätig? Gewiß nicht einmal in den Windeln.“

      Und der Advokat, mit verächtlichem Achselzucken:

      „Des armen Fürsten, um den ihre Exzellenz noch trauert. Darum darf ich auch die Bewilligung unseres Gesuchs mir ganz persönlich zuschreiben und dem Umstande, daß ich der Sachwalter der Frau Fürstin bin.“

      „Aber der Kapellmeister?“ fragte sein Gegner. „Sollte nicht auch er einiges Verdienst haben? Alfò, sage unserm Freunde, ob du und die andern alle in der ‚Armen Tonietta‘ eure Instrumente spielen könntet, wenn nicht unser Maestro Dorlenghi wäre!“

      „Wer leugnet seine Tüchtigkeit? Übrigens zahlt die Gemeinde ihm hundert Lire monatlich und die Kirche fünfzig. Aber scheint es den Herren nicht, daß wir auf die Künstler, die er uns verschaffen wollte, recht lange warten müssen?“

      „Ich wette, daß sie heute in der Post sitzen werden!“ rief der Apotheker. Der Advokat bezweifelte es.

      „Vielleicht werde ich als Vorsitzender des Komitees mich noch selbst nach ihnen umsehen müssen. Wer weiß, wohin ich fahren werde: bis nach Rom vielleicht.“

      „Aber Advokat,“ sagte der Gemeindesekretär, „was verstehen Sie vom Theater?“

      „Ich? Sie vergessen, Herr Camuzzi, daß ich in einer Stadt wie Perugia studiert habe. Dort hatten wir oft genug eine Truppe von Komödianten, und wir Studenten verkehrten mit ihnen, kann ich den Herren sagen, nicht anders, als ich mit Ihnen verkehre. Die Choristinnen: ah! ich sage nur dies Wort, die Choristinnen . . . Natürlich hatte auch die Primadonna den ihren, aber man mußte reich sein, sehr reich; ich erinnere mich, ein Herr aus der Stadt gab ihr dreihundert Lire im Monat. Begreifen Sie das? Dreihundert Lire für eine Frau!“

      Da der Advokat in lauter achtungsvolle Gesichter sah, blühte er auf. Er öffnete seinen schwarzen Rock, obwohl keine Weste darunter war. Die Arme in der Luft gerundet, mit rauhen gelben Manschetten, die bis über die Korallenknöpfe herausfielen, und mit einer Flüsterstimme, aus der manchmal ein heiseres Bellen brach:

      „Aber so ist die große Welt: man muß sie kennen. Die Herren Künstler sind die großartigsten von allen. Man hat keinen Begriff von dem Leben, das diese Schauspieler und Literaten führen. Jede Nacht Champagner, schöne Weiber, soviel sie mögen, und nie vor zwölf aus dem Bett.“

      „Als ich in Forlì stand,“ sagte der Leutnant der Carabinieri, „zeigte man mir einen Maler, der zwei Fiaschi trinken konnte. Freilich war er ein Deutscher.“

      „Wozu auch,“ schloß der Advokat, „da sie spielend mehr Geld verdienen, als sie brauchen, und keine Sorgen haben. Für uns Bürger ists anders eingerichtet auf der Welt. Aber es ist nicht übel, daß es auch Menschen gibt, die ein so leichtes Leben haben, nach Herzenslust über die Stränge schlagen dürfen und immer guter Laune sind. Haben wir erst einige der Art hier bei uns, wird es lustig werden.“

      „Das kann nicht schaden!“ rief der Apotheker. Gleich darauf hielt er sich den Mund zu und schielte nach seinem Hause hinauf. Man lächelte. Er entschuldigte sich.

      „Immer sind Leute in der Nähe, die es mit den Priestern halten.“

      Der Advokat behauptete:

      „Wenn wir uns die Komödianten nicht zu unserm Vergnügen kommen ließen, sollten wir es tun, um die Priester zu ärgern.“ Der Gemeindesekretär hob die Schultern, der Wirt aber sagte dröhnend:

      „Sind wir denn noch immer unter dem Papst?“

      Man schrie: „Bravo, Achille!“ — und dahinten sah man aus der Kathedrale über den Corso und in den Palazzo Torroni eine schwarze Gestalt huschen. Der Apotheker seufzte.

      „Armer Baron! Auch ihn halten sie mittelst der Frau. Da kann man sich dann nicht rühren, ohne daß es weh tut. Glaubt mir, ihr Jungen, nehmt nie eine Frau, die es mit den Priestern hat!“

      Der Advokat stellte die Hand an den Mund.

      „Und dennoch ist Don Taddeo betrogen, und der Baron hat mir heimlich, Sie verstehen: unter einem Decknamen seinen Beitrag geschickt für das Theater.“

      Funkelnd betrachtete er seine Wirkung, legte sich den Finger auf die Lippen und machte eine Pause. Dann:

      „Der Beitrag ist sogar bedeutend genug, daß wir den des alten Nardini verschmerzen können.“

      „Eine schöne Familie, die Nardini“ — und der Apotheker stieß den Stock aufs Pflaster.

      „Ihre Mitbürger halten sie ihres Verkehrs nicht würdig, nie wollten sie dem Klub beitreten, und die Enkelin stecken sie ins Kloster!“

      „Noch ist sie nicht darin“, sagte der junge Savezzo, mit plumper Eleganz an das Haus gelehnt. „Und als ich im Klub meinen Vortrag über die Freundschaft hielt, hat sie ihre Magd hingeschickt und sich darüber berichten lassen.“

      „Ah, Totò möchte sie draußen behalten.“

      Unter den spöttischen Blicken begann das linke Auge des jungen Menschen auf seine pockennarbige Nase zu schielen. Der schöne Alfò, des Wirtes Sohn, sagte:

      „Ist sie schön, die Alba!“

      Dann sah er unbeirrt und eitel umher.

      „Ihr beide werdet keinen Erfolg haben“ — und der Gemeindesekretär lachte auf. „Hat doch nicht einmal der Severino Salvatori sie bekommen, obwohl er mit einem Korbwagen umherfährt. Vielleicht, wenn ihr keine Mitgift verlangt. Denn der Alte will sie billig los sein. Er ist noch geiziger als fromm.“

      „Auch fromm ist er“, versicherte Savezzo. „Und wohltätig. Der alte Brabrà lebt ganz vom Nardini, seit dreißig Jahren bald. Jeden Sonntag nach der Messe wird dort unten in Villascura den Armen das

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