Die kleine Stadt. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die kleine Stadt - Heinrich Mann страница 21
„Wir sind da“, sagte Flora Garlinda.
Die Bühne lag vor ihnen. Im Halbdunkel schien sie endlos; der Schein der Blechlampe auf dem Klavier verlor sich, die vier menschlichen Schattenrisse sahen weithin verstreut aus. Der Kapellmeister stand in der Mitte des Lichtkreises und stieß die Faust in die Luft.
„Ich kann keinen Widerstand dulden, auch von Ihnen nicht, Cavaliere. Sie sind, der Sie sind. Aber ich bin hier der Maestro.“
„Das ist immerhin etwas“, bemerkte der Bariton Gaddi, rittlings auf einem Stuhl. Italia Molesin kam zur Tür.
„Was für ein schlecht erzogener Mann!“ sagte sie. „Mich hat er bereits Idiotin genannt.“
Flora Garlinda trat ins Helle. Ihre Augen funkelten, ihr höhnischer Triumph kniff ihr die Winkel der schmalen Lippen.
„Maestro,“ — ganz sanft — „ich bitte Sie für meinen Freund, den Advokaten Belotti. Er möchte uns zuhören.“
Der Kapellmeister fuhr auf.
„Noch immer er? Wenn ich ihn doch hinausgeworfen habe!“
„Man wirft einen Mann wie mich nicht hinaus,“ — und der Advokat trat mit Würde vor.
„Also nochmals,“ schrie der junge Musiker zitternd, „der Herr bin hier ich. Wer nicht gehorchen will —“
„Nun?“ — und Flora Garlinda sah ihm grausam lächelnd in die Augen.
„Kann gehen“, ergänzte er viel leiser. Sie nickte.
„Sie haben zweifellos eine andere Primadonna.“
„Erst gestern“, stieß er hervor, „hat mir die Fusinati geschrieben.“
„Weil sie nämlich in anderen Umständen ist. Da kommt man schwer unter. Sie aber, Maestro, der Sie kein Kind erwarten, Sie fänden natürlich sofort ein andres Engagement, wenn die Herren vom Komitee sich entschließen würden —“
„O bitte, Fräulein Garlinda, davon ist nicht die Rede,“ — und der Advokat trat von einem Fuß auf den andern. „Sind wir nicht alle Freunde?“
„Das kommt darauf an. Ich bin die Primadonna, mir muß es erlaubt sein, zu singen, vor wem ich will.“
„Es liegt mir fern —. Wir haben uns mißverstanden —.“
Ihr grausames Lächeln war noch immer da: er schwieg, eingezogen und auf Schreckliches gefaßt.
„Überdies“, begann sie wieder, „bin ich gewohnt, nur mit dem Regisseur zu verhandeln.“
„Sehr richtig“, sagte der Cavaliere Giordano und schleuderte ein Heft auf das Klavier. „Von wem lasse ich mir hier sagen, daß meine Stimme nicht genüge? Dieser junge Mann hat an meinem Geronimo auszusetzen, und dabei singe ich ihn aus Gefälligkeit, denn jedermann in Italien und draußen weiß, daß meine Partie der Piero wäre!“
„Kurz: was will man von mir?“
Der Kapellmeister breitete die Arme aus und hatte rote Lider.
„Man will einen Regisseur, beim Bacchus“, sagte der Bariton.
„Der bin ich! Der bin ich!“
„Meine Herren,“ stammelte der Advokat und beschwor sie mit den Händen, „ich möchte um nichts in der Welt, daß meinetwegen —“
„Maestro!“
Flora Garlinda legte den Kopf auf die Schulter.
„Sie waren noch bei keiner Bühne. O! Sie haben nicht nötig, es zu gestehen: diese ganze Szene beweist es. Tun Sie uns und sich einen Dienst und bescheiden sich! Wir machen unsern Gaddi zum Regisseur. Ohnedies ist er es, der die Ausstattung beschafft hat.“
Italia Molesin und der Cavaliere Giordano beglückwünschten schon den Bariton.
„Und ich,“ klagte der Kapellmeister, „ich habe den Chor zusammengebracht und Sie selbst. Ich habe den Gedanken der Aufführung gehabt und die Bürger für ihn gewonnen, habe alles möglich gemacht, alles ins Werk gesetzt. Das ist nichts, das ist augenscheinlich nichts.“
Er ging, eine Hand vor der Stirn, wankend um das Klavier herum.
„Wer sagt das?“ — und Flora Garlinda folgte ihm. „Aber weil Sie ein Mann von Verdienst sind, sollten Sie das Nebensächliche fahren lassen.“
„Aber ich verlange fünfzig Lire Zuschuß“, hörte man den Bariton sagen.
„Er verlangt fünfzig Lire“, wiederholte Flora Garlinda mit gesenkten Mundwinkeln. Und in einem plötzlichen Blick des Einverständnisses:
„Wer kommt denn hier in Betracht, Maestro? . . . Sie haben eine Oper geschrieben, nicht? Wenn ich Ihre Heldin sänge?“
Da er den Atem einzog und anhielt:
„Mit mir oder ohne mich: vielleicht sieht schon das nächste Jahr Sie in Mailand. Wir —“
Sie knixte tief.
„— sind für Sie nur Staffeln.“
„O!“ machte er, aufgeblüht und gütig. „Sie nicht, Flora Garlinda: Sie nicht. Sie werden größer werden als ich.“
„Glauben Sie?“ fragte sie mit herabgelassenen Lidern und zog sich zurück.
„Aber solange ich Dirigent bin,“ rief er den anderen zu, „darf ich vielleicht verlangen, daß wir wiederholen, bis ich mich für befriedigt erkläre?“
Man beeilte sich, es ihm zuzugeben. Der Advokat verwahrte sich.
„Nie, Maestro, habe ich an Ihrem großen Talent gezweifelt.“
„Dann also, Cavaliere,“ rief der Kapellmeister, „noch einmal von vorn, bitte: ‚Seid fruchtbar, meine Kinder . . .‘“
Der alte Tenor stellte sich wütend auf und begann, hohle, zitternde Töne von sich zu geben.
„Seid fruchtbar, meine Kinder! Das Feld, das meine Väter bebaut haben, auch meine Enkel sollen es bebauen.“
„Hören Sie ihn etwa?“ — und der Kapellmeister warf sich, die Stirn trocknend, auf seinem Sitz umher. „Und dies ist nur ein Klavier! Was wird das Orchester von seiner Stimme übriglassen?“
Das Gesicht des Alten war von Entrüstung so sehr verzerrt, als sollte es weinen. Sein Kiefer arbeitete an Worten, die nicht kamen.
„Ich habe doch alles verstanden“, versicherte Italia Molesin mitleidig und sah Flora Garlinda an, die schwieg und beobachtete. Der Bariton stellte fest:
„Ich als Regisseur finde den Cavaliere ganz auf seiner alten Höhe.“
„Wie