Der Untertan. Roman. Heinrich Mann

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Der Untertan. Roman - Heinrich Mann Reclams Universal-Bibliothek

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bedeckt und zum Glück nicht abgeschickt hatte.

      Eine Woche später aber, wie er in der Nacht heimkam, hörte er hinter sich Schritte, die besonders klangen. Er fuhr herum: eine Gestalt blieb stehen, die Hände ein wenig erhoben und leer vor sich hingehalten. Noch während er das Haustor aufschloß und eintrat, sah er sie im Halbdunkel dastehen. Im Zimmer machte er kein Licht. Er schämte sich, indes sie aus dem Dunkel hinaufspähte, das Zimmer zu beleuchten, das ihr gehört hatte. Es regnete. Wieviele Stunden hatte sie gewartet? Gewiß stand sie noch immer dort, mit ihrer letzten Hoffnung. Das war nicht auszuhalten! Er wollte das Fenster aufreißen – und wich zurück. Einmal fand er sich plötzlich auf der Treppe, mit dem Hausschlüssel in der Hand. Grade gelang es ihm noch, [103]umzukehren. Darauf schloß er ab und zog sich aus. »Mehr Haltung, mein Lieber!« Denn diesmal wäre man aus der Sache nicht mehr leicht herausgekommen. Das Mädel war zweifellos zu bedauern, aber schließlich hatte sie es gewollt. »Vor allem habe ich Pflichten gegen mich selbst.« – Am Morgen, schlecht ausgeschlafen, nahm er es ihr sogar sehr übel, daß sie noch einmal versucht hatte, ihn aus seiner Bahn zu reißen. Jetzt, da sie wußte, daß die Prüfung bevorstand! Solche Gewissenlosigkeit sah ihr ähnlich. Und durch die nächtliche Szene, diese Bettlerrolle im Regen, hatte ihre Gestalt nachträglich etwas Verdächtiges und Unheimliches bekommen. Er betrachtete sie als endgültig gesunken. »Auf keinen Fall mehr das Geringste!« beteuerte er sich, und er beschloß, noch für den kurzen Rest seines Aufenthaltes die Wohnung zu wechseln: »selbst wenn es mit einem Geldopfer verbunden sein sollte.« Glücklicherweise suchte ein Kollege grade ein Zimmer; Diederich verlor nichts und zog sofort um, weit hinauf nach dem Norden. Kurz darauf bestand er sein Examen. Die Neuteutonia feierte ihn mit einem Frühschoppen, der bis gegen Abend dauerte. Zu Hause ward ihm gesagt, daß in seinem Zimmer ein Herr auf ihn warte. »Es wird Wiebel sein«, dachte Diederich, »er muß mir doch Glück wünschen.« Und von Hoffnung geschwellt: »Vielleicht ist es der Assessor von Barnim?« Er öffnete, und er prallte zurück. Denn da stand Herr Göppel.

      Auch er fand nicht gleich Worte. »Nanu, im Frack?« sagte er dann, und zögernd: »Waren Sie vielleicht bei mir?«

      »Nein«, sagte Diederich und erschrak aufs neue. »Ich habe nur meine Doktorprüfung gemacht.«

      Göppel erwiderte: »Ach so, ich gratuliere.« Dann brachte Diederich hervor: »Wie haben Sie denn meine neue [104]Adresse gefunden?« Und Göppel antwortete: »Ihrer früheren Wirtin haben Sie sie allerdings nicht gesagt. Aber es gibt ja auch sonst noch Mittel.« Darauf sahen sie einander an. Göppels Stimme war ruhig gewesen, aber Diederich fühlte schreckliche Drohungen darin. Er hatte den Gedanken an die Katastrophe immer hinausgeschoben, und jetzt war sie da. Er mußte sich setzen.

      »Nämlich«, begann Göppel, »ich komme, weil es Agnes gar nicht gut geht.«

      »Oh!« machte Diederich mit verzweifelter Heuchelei. »Was fehlt ihr denn?« Herr Göppel wiegte bekümmert den Kopf. »Das Herz will nicht; aber es sind natürlich nur die Nerven … Natürlich«, wiederholte er, nachdem er vergeblich gewartet hatte, daß Diederich es wiederhole. »Und nun wird sie mir melancholisch vor Langeweile, und ich möchte sie aufheitern. Ausgehen darf sie nicht. Aber kommen Sie doch mal wieder zu uns, morgen ist Sonntag.«

      »Gerettet!« fühlte Diederich. »Er weiß nichts.« Vor Freude ward er zum Diplomaten, er kratzte sich den Kopf. »Ich hatte es mir schon fest vorgenommen. Aber jetzt muß ich dringend nach Haus, unser alter Geschäftsführer ist krank. Nicht mal meinen Professoren kann ich Abschiedsbesuche machen, morgen früh reise ich gleich ab.«

      Göppel legte ihm die Hand auf das Knie. »Sie sollten es sich überlegen, Herr Heßling. Seinen Freunden schuldet man manchmal auch was.«

      Er sprach langsam und hatte einen so eindringlichen Blick, daß Diederich wegsehen mußte. »Wenn ich nur könnte«, stammelte er; Göppel sagte:

      »Sie können. Überhaupt können Sie alles, was hier in Frage kommt.«

      [105]»Wieso?« Diederich erstarrte im Innern. »Sie wissen wohl, wieso«, sagte der Vater; und nachdem er seinen Stuhl ein Stück zurückgeschoben hatte: »Sie denken doch hoffentlich nicht, daß Agnes mich hergeschickt hat? Im Gegenteil, ich hab ihr versprechen müssen, daß ich gar nichts tue und Sie ganz in Ruhe lasse. Aber dann hab ich mir überlegt, daß es doch eigentlich zu dumm wäre, wenn wir beide noch lange um einander herum gehen wollten, so wie wir uns kennen, und wie ich Ihren seligen Vater gekannt habe, und bei unserer Geschäftsverbindung und so weiter.«

      Diederich dachte: »Die Geschäftsverbindung ist gelöst, mein Bester.« Er wappnete sich.

      »Ich gehe gar nicht um Sie herum, Herr Göppel.«

      »Na also. Dann ist ja alles in Ordnung. Ich verstehe wohl: der Sprung in die Ehe, den tut kein junger Mann, besonders heute, ohne erst mal zu scheuen. Aber wenn die Geschichte so glatt liegt wie hier, nicht wahr? Unsere Branchen greifen ineinander, und wenn Sie Ihr väterliches Geschäft ausdehnen wollen, kommt Ihnen Agnes’ Mitgift sehr gelegen.« Und in einem Atem weiter, indes seine Augen abirrten: »Momentan kann ich zwar nur zwölftausend Mark flüssig machen, aber Zellulose kriegen Sie, so viel Sie wollen.«

      »Siehst du wohl?« dachte Diederich. »Und die zwölftausend müßtest du dir auch pumpen, – wenn du sie noch kriegst.« – »Sie haben mich mißverstanden, Herr Göppel«, erklärte er. »Ich denke nicht ans Heiraten. Dazu wären zu große Geldmittel nötig.«

      Herr Göppel sagte mit angstvollen Augen und lachte dabei: »Ich kann noch ein Übriges tun …«

      »Lassen Sie nur«, sagte Diederich, vornehm abwehrend.

      Göppel ward immer ratloser.

      [106]»Ja, was wollen Sie dann überhaupt?«

      »Ich? Gar nichts. Ich dachte, Sie wollten was, weil Sie mich besuchen.«

      Göppel gab sich einen Ruck. »Das geht nicht, lieber Heßling. Nach dem, was nun mal vorgefallen ist. Und besonders, da es schon so lange dauert.«

      Diederich maß den Vater, er zog die Mundwinkel herab. »Sie wußten es also?«

      »Nicht sicher«, murmelte Göppel. Und Diederich, von oben:

      »Das hätte ich auch merkwürdig gefunden.«

      »Ich habe eben Vertrauen gehabt zu meiner Tochter.«

      »So irrt man sich«, sagte Diederich, zu allem entschlossen, womit er sich wehren konnte. Göppels Stirn fing an, sich zu röten. »Zu Ihnen hab ich nämlich auch Vertrauen gehabt.«

      »Das heißt: Sie hielten mich für naiv.« Diederich schob die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich zurück.

      »Nein!« Göppel sprang auf. »Aber ich hielt Sie nicht für den Schubjack, der Sie sind!«

      Diederich erhob sich mit formvoller Ruhe. »Geben Sie Satisfaktion?« fragte er. Göppel schrie:

      »Das möchten Sie wohl! Die Tochter verführen und den Vater abschießen! Dann ist Ihre Ehre komplett!«

      »Davon verstehen Sie nichts!« Auch Diederich fing an, sich aufzuregen. »Ich habe Ihre Tochter nicht verführt. Ich habe getan, was sie wollte, und dann war sie nicht mehr loszuwerden. Das hat sie von Ihnen.« Mit Entrüstung: »Wer sagt mir, daß Sie sich nicht von Anfang an mit ihr verabredet haben. Dies ist eine Falle!«

      Göppel hatte ein Gesicht, als wollte er noch lauter [107]schreien. Plötzlich erschrak er, und mit seiner gewöhnlichen Stimme, nur daß sie

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