Der Ursprung des Christentums (Eine historische Untersuchung in 4 Bänden). Karl Kautsky
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Читать онлайн книгу Der Ursprung des Christentums (Eine historische Untersuchung in 4 Bänden) - Karl Kautsky страница 21
In Griechenland finden wir zahlreiche derartige Stadtstaaten, von denen der mächtigste der athenische wurde. Aber keine der siegreichen Städte war stark genug, auf die Dauer alle anderen zu unterjochen, mit allen Rivalen fertig zu werden. So zeigt die Geschichte Griechenlands nichts als ewigen Krieg der einzelnen Städte und Stadtstaaten untereinander, der nur selten durch gemeinsame Abwehr eines gemeinsamen Feindes unterbrochen wird. Diese Kriege haben den Verfall Griechenlands ungemein beschleunigt, sobald sich einmal die schon geschilderten Folgen der Sklavenwirtschaft geltend machten. Aber es ist lächerlich, sich nach Art maucher unserer Professoren darüber sittlich zu entrüsten. Die Bekämpfung des Konkurrenten ist mit dem Handel naturnotwendig gegeben. Die Formen dieses Kampfes wechseln, er nimmt aber unvermeidlich die Form des Krieges an, wo souveräne Handelsstädte einander gegenüberstehen. Die Selbstzerfleischung Griechenlands war daher unvermeidlich, sobald der Handel anfing, seine Städte groß und mächtig zu machen.
Das Endziel jedes Konkurrenzkampfes ist aber der Ausschluß oder die Erdrückung der Konkurrenten, das Monopol. Dazu bekam keine Stadt Griechenlands die Kraft, auch nicht das so gewaltige Athen. Es gelang einer Stadt Italiens. Rom wurde zum Beherrscher der ganzen Kulturwelt um das Mittelmeer herum.
b. Patrizier und Plebejer
Die Konkurrenz mit den Nebenbuhlern ist jedoch nicht die einzige Kriegsursache für eine große Handelsstadt. Wo ihr Gebiet an das kräftiger Bauern grenzt, namentlich viehzüchtender Bauern im Gebirge, die in der Regel ärmer sind als Ackerbauern in fruchtbaren Ebenen, aber auch weniger an die Scholle gebunden, mehr an Blutvergießen und Jagd, diese Schule des Krieges, gewöhnt, da erregt der Reichtum der Großstadt leicht die Beutegier der Bauern. An kleinen Landstädten, die nur dem lokalen Handel einer beschränkten Landschaft dienen und daneben ein paar kleine Handwerker bergen, mögen sie achtlos vorbeigehen, die Schätze eines großen Handelszentrums müssen sie dagegen aufs äußerste reizen und verlocken, sich in Massen zu einem räuberischen Angriff auf das reiche Gemeinwesen zusammenzuscharen. Andererseits trachtet dieses wieder, sein Landgebiet und die Menge seiner Untertanen zu erweitern. Wir haben ja gesehen, wie durch das Anwachsen der Stadt in dieser ein ausgedehnter Markt für Produkte der Landwirtschaft entsteht, und der Grund und Boden, der für die Stadt Waren produziert, selbst einen Wert erhält, wie auf diese Weise der Hunger nach mehr Land und nach Arbeitskräften erwächst, die das neugewonnene Land für seine Eroberer bebauen sollen. Daher steter Kampf zwischen der Großstadt und den sie umgebenden Bauernvölkern. Siegen die letzteren, dann wird die Stadt geplündert und muß ihre Laufbahn wieder von vorn anfangen. Siegt dagegen die Stadt, dann nimmt sie den unterliegenden Bauern einen größeren oder geringeren Teil ihrer Mark ab, um ihn ihren eigenen Grundbesitzern zuzuwenden, die mitunter landlose Söhne dort ansiedeln, meist aber das gewonnene Land durch Zwangsarbeiter für sich bebauen lassen, die auch das eroberte Land zu liefern hat, entweder in der Form von Pächtern oder Hörigen oder Sklaven. Mitunter tritt aber auch ein milderes Verfahren ein, die unterworfene Bevölkerung wird nicht nur nicht geknechtet, sondern sogar unter die Bürger der siegreichen Stadt aufgenommen, allerdings nicht Ämter die Vollbürger, deren Versammlung die Stadt und den Staat regiert, sondern unter die Bürger zweiten Ranges, die volle Freiheit und allen gesetzlichen Schutz des Staates genießen, an seiner Regierung aber keinen Anteil haben. Solche Neubürger brauchte die Stadt so mehr, je größer mit dem Wachsen ihres Reichtums ihre kriegerischen Lasten wurden, je weniger die Familien der Altbürger ausreichten, die nötige Zahl von Bürgersoldaten zu stellen. Kriegspflicht und Bürgerrecht sind aber ursprünglich eng miteinander verbunden. Wollte man die Zahl der Krieger rasch vermehren, mußte man neue Bürger in den Staatsverband aufnehmen. Rom ist nicht zum mindesten dadurch groß geworden, daß es mit der Verleihung des Bürgerrechtes an Zuziehende wie auch an benachbarte unterworfene Gemeinden sehr freigiebig war.
Die Zahl dieser Neubürger konnte man beliebig erweitern. Für sie bestanden die Grenzen nicht, die die Zahl der Altbürger beschränkten. Diese Grenzen waren zum Teil technischer Natur. Wurde die Staatsverwaltung in der Versammlung der Altbürger geregelt, dann durfte diese Versammlung nicht so groß werden, daß sie jede Verhandlung unmöglich machte. Die Bürger durften aber auch nicht so weit vom Versammlungsort entfernt wohnen, daß sie ihn nicht ohne Beschwerde und Vernachlässigung ihrer Wirtschaft zu bestimmten Zeiten erreichen konnten. Solche Bedenken bestanden für die Neubürger nicht. Auch wo man ihnen einige politische Rechte, selbst (was allerdings selten von vornherein geschah) das Stimmrecht in den Bürgerschaftsversammlungen, einräumten war es – wenigstens vom Standpunkt der Altbürgerschaft aus – durchaus nicht notwendig, daß sie stets die Möglichkeit besaßen, an diesen Versammlungen teilzunehmen. Je mehr die Altbürger unter sich blieben, desto lieber war es ihnen.
Die Schranken, die die Zahl dieser einengten, bestanden also nicht für die Zahl der Neubürger.
Die Zahl der Bürger letzterer Art konnte beliebig erweitert werden, sie fand ihre Grenzen nur in der Größe des Staates und in dem Bedarf des Staates an zuverlässigen Soldaten. Denn auch dort, wo von den unterworfenen Provinzen Truppen zu stellen waren, bedurfte das Heer eines Kernes, der ihre Zuverlässigkeit sicherte, und der konnte nur durch ein starkes Kontingent von Bürgersoldaten gebildet werden.
Auf diese Weise ersteht aber mit dem Anwachsen der Stadt eine zweite Form undemokratischer Organisation für den Staat. Wird auf der einen Seite die große Stadtgemeinde zur absoluten Herrin zahlreicher Gemeinden und Provinzen, so bildet sich andererseits innerhalb der Bürgerschaft der Gemeinde, die sich nun weit über das Gebiet der alten Stadtmark hinaus erstreckt, der Gegensatz zwischen Voll- oder Altbürgern (Patriziern) und Neubürgern (Plebejern). Auf diesem wie auf jenem Wege wird aus der Demokratie eine Aristokratie, nicht durch Verengerung des Kreises der vollberechtigten Bürger, nicht durch Erhebung einiger Bevorrechteten über diese, sondern dadurch, daß der Staat wächst, indes jener Kreis der gleiche bleibt, so daß alle zur alten Gemeinde oder Markgenossenschaft neu hinzukommenden Elemente minderberechtigt oder gar rechtlos bleiben.
Aber diese beiden Wege der Entwicklung der Aristokratie aus der Demokratie verfolgen nicht die gleiche Richtung. Die eine Art der Ausbeutung und Beherrschung des Staates durch eine privilegierte Minderheit, die Herrschaft einer Gemeinde über ein ganzes Reich, kann, wie uns das Beispiel Roms zeigt, an Umfang stets wachsen; und sie muß wachsen, solange der Staat lebenskräftig ist und nicht vor einer überlegenen Macht zusammenbricht. Anders dagegen steht es mit der politischen Rechtlosigkeit der Neubürger. Solange diese fast ausschließlich Bauern sind, nehmen sie ihren Mangel an Rechten mehr oder weniger ruhig hin. Sie sind ja, bei der großen Entfernung ihrer Betriebe von der Stadt, meist gar nicht in der Lage, wenn sie morgens von ihrem Heim fortgehen, mittags bei der Bürgerversammlung auf dem Marktplatz der Stadt anwesend zu sein und abends wieder zu Hause einzutreffen. Und mit dem Wachstum des Staates werden dessen inneren wie äußeren Verhältnisse immer komplizierter, wird die Politik und auch die Kriegführung ein Geschäft, das Vorkenntnisse erfordert, die dem Bauern unerreichbar sind. Er versteht also doch nichts von allen den persönlichen und sachlichen Fragen, die in den politischen Versammlungen der Stadt entschieden werden, hat daher kein großes Bedürfnis, sich das Recht zu erobern, an ihnen teilnehmen zu dürfen.
Aber die Neubürgerschaft bleibt nicht auf Bauern beschränkt. Fremde, die in die Stadt ziehen und ihr nützlich werden, erhalten das Bürgerrecht. Die eroberten und mit dem Bürgerrecht begabten Landstriche umfassen auch nicht bloß Dörfer, sondern Städte mit Handwerkern und Kaufleuten, sowie Großgrundbesitzern, die neben ihrem Landhaus ein Stadthaus besitzen. Sobald sie das römische Bürgerrecht gewinnen, bekommen sie dadurch einen starken Anreiz, aus der kleineren Stadt in die größere zu ziehen, in der sie nicht bloß geduldet sind, und wohin sie leichterer Verdienst und mehr Kurzweil lockt. Gleichzeitig aber werden in der von uns schon gekennzeichneten Weise durch Krieg und Sklavenwirtschaft immer mehr Bauern expropriiert. Die beste Zuflucht solcher an die Luft gesetzten