Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band). Else Ury

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Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band) - Else Ury

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ungleich schwieriger als die gelehrtesten medizinischen Abhandlungen, die es zu verstehen galt. Wer die »Woche« hatte, mußte die Betten machen und das Waschgeschirr reinigen, denn Frau Kirchmäuser hielt sich keine Bedienung. Der Mietpreis war deshalb mäßiger als anderswo. Dann galt es, Kakao zu bereiten, Einkäufe zu machen und den Abendbrottisch zu versorgen. Das war gar nicht so einfach, wenigstens für Doktors Nesthäkchen nicht, die stets daheim von Hanne und dem Hausmädchen verwöhnt und bedient worden war.

      Hier galt’s nun selbst anzupacken. Als Annemarie zum erstenmal die Betten gerichtet hatte, zeigten dieselben eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der Schwäbischen Alb. Wellenlinien, niedliche Hügel und Anhöhen, dazwischen Täler und Schluchten. Die Freundinnen lachten sie weidlich aus. Die praktische Ilse offenbarte ihr das Geheimnis, wie ein Bett glatt und eben zu richten sei.

      Auch der Einkauf hatte seine Schwierigkeiten. Nesthäkchen war nicht kleinlich. Es kaufte gleich engros, weil man es im ganzen immer ein paar Pfennige preiswerter erhielt. So überraschte es eines Tages die Freundinnen mit zehn Köpfen Blumenkohl, weil es den einen, den es ursprünglich hatte kaufen wollen, dadurch um zwanzig Pfennige billiger bekam. Marlene und Ilse waren entsetzt. Die ganze Woche durch zu sämtlichen Mahlzeiten mußte Blumenkohl gefuttert werden. Er wollte nicht zu Ende gehen. Frau Veronika nahm freundlichst zwei Köpfe ab, immer noch war Blumenkohl da. Der ganze Schwäbische Wanderbund, auch Ziegenhals und Steinbock, mußten sich opfern und einer Blumenkohleinladung folgen. Den gemeinsamen Bemühungen gelang es schließlich, den endlosen Blumenkohl zu vertilgen. Aber während ihres ganzen Studienjahres mochten die Bewohnerinnen des Dreimäderlhauses keinen Blumenkohl mehr sehen.

      Beim Kochen hatte Doktors Nesthäkchen noch die besten Erfolge zu verzeichnen. Dies lag aber weniger an Annemaries Tüchtigkeit, als an Frau Veronikas Hilfsbereitschaft. Die Frau Wirtin hatte nun mal ihren Narren an dem hübschen, lustigen Fräulein gefressen. Nachdem Annemarie gleich zu Beginn ihrer hausfraulichen Bestrebungen ein wenig aufgeregt zu ihr gekommen war: »Liebe, gute Frau Kirchmäuser, sehen Sie doch bloß mal nach, ob die Eier schon weich sind. Sie kochen bald eine halbe Stunde!« Ja, da hatte Frau Veronika es doch für richtig gehalten, nach derartigen Proben von wirtschaftlicher Tüchtigkeit selbst mit Hand anzulegen. Annemarie aber mochte sich nicht auslachen lassen. Sie schämte sich, daß sie weniger verstand als die Freundinnen. Sie nahm sich vor, bei Frau Veronika in die Lehre zu gehen. Mit Energie und Intelligenz machte sie sich ans Werk. Und wenn’s auch noch manche Klippe, ja sogar öfters mal Schiffbruch gab, Frau Veronika vermochte Annemarie jetzt doch schon wohlwollend die Anerkennung zu zollen: »Sie sein gar nit so arg dumm, wie i denkt hab’.«

      Heute galt es den Einkauf zu besorgen. Es war Wochenmarkt. Die Bauernfrauen kamen mit Pferd und Wagen in die Stadt kutschiert. Oder sie trugen auf dem Kopf, wie es hier Landesbrauch war, den Käfig mit gackernden Hühnern.

      Den buntgeflochtenen Marktkorb der Frau Veronika an dem einen Arm, am andern das Vronli, das den Kaschperle hinter sich herzog, machte sich Doktors Nesthäkchen auf den Weg. Für die Kinder war es die größte Freude, das Tanteli beim Einkauf zu begleiten.

      Der Marktplatz bot ein malerisches Bild. Unter roten und grauen Regenschirmen von gewaltigen Dimensionen hielten die Bauernfrauen, nicht weniger umfangreich, meistens in Tracht, ihre Waren feil. Der steinerne Neptun schaute von seinem Brünnle in eherner Ruhe wie vor Hunderten von Jahren auf das Gewühl herab. Allzu voll war es nicht mehr. Die Bewohner hatten bereits ihre Einkäufe am Vormittag erledigt, der für Annemarie wissenschaftlichen Studien geweiht war.

      Zuerst mußten Vronli und Kaschperle befriedigt werden. Denn die Begleitung des Tanteli war nicht das hauptsächlich verlockendste Moment. Was für die Leckermäulchen beim Einkauf abfiel, war eigentlich von ungleich wichtigerer Bedeutung. Also erst eine große Tüte mit Kirschen erstanden. Selig nahmen sie Vronli und Kaschperle in Empfang.

      »Nachher darf der Kaschperle die Kirschle auch trage, gelt, Tanteli?« bat der Kleine.

      Annemarie nickte freundlich.

      »‘s ischt noch zu arg klein, ‘s Büble, dasch geht nit«, spielte sich Vronli als große Schwester auf.

      Annemarie maß der Debatte keine weitere Bedeutung zu. Sie hatte wichtige Überlegungen. Sollte sie heute abend Schmarren mit geschmorten Stachelbeeren vorbereiten, wie man es mittags mit den Freundinnen verabredet hatte? Es gab lebende Fische auf dem Markt – »arg guet sein’s«, pries sie die Verkäuferin an. Freilich, die Vor-und Zubereitung derselben war Annemarie ein Buch mit sieben Siegeln. Aber wozu gab’s denn eine Frau Veronika? Wie würden die Freundinnen staunen, wenn sie ihnen so ein extragutes Mahl auftischte.

      Die Fische wurden erstanden. Auch Stachelbeeren, Eier, Butter und Tomaten wanderten in den Korb.

      »So, Kinder, nun können wir heim!« Stolz wandte Annemarie sich nach ihren kleinen Trabanten um. Ja, wo waren denn die? Ihr Blick überflog die Reihen mit farbenleuchtenden Obst-und Gemüseständen.

      Kein Vronli, kein Kaschperle. Aber dort am Neptunsbrünnle, wo die Fischstände waren, erklang eine schreiende Kinderstimme. Die mußte zum Kaschperle gehören.

      »Vronli, Kaschperle, was ist denn?« Annemarie beschleunigte ihren Schritt. Sie dachte nicht anders, als den Kindern sei etwas zugestoßen.

      »Gibscht oder gibscht nit, du garscht’ges Ding du!« Mit beiden Fäusten ging der kleine Wüterich auf die Schwester zu, die lachend die Tüte mit Kirschen hoch über ihrem Kopf hielt.

      »Grein’ doch nit so, Büble, ‘sch Mädle wird di scho’ Kirschle gebe«, begütigte eine dicke Marktfrau den schreienden Buben.

      Aber »‘sch Mädle« dachte gar nicht daran.

      »Arg wüscht bischt, lueg, da kommt’sch Tanteli«, versuchte es den Kleinen von der Tüte abzulenken.

      Der aber wollte nicht das Tanteli, sondern die Kirschen. Ein erneuter Ansturm, diesmal auch noch von nagelbeschlagenen Stiefeln unterstützt, erfolgte. Annemarie, die sich vergeblich bemühte, die kleinen Kampfhähne zu trennen, geriet mitten in das Kriegsgewühl.

      »Schämst du dich denn gar nicht, Kaschperle, so unartig zu sein – Vronli, ich nehm’ euch nie wieder mit zum Einkaufen –

      Annemaries Stimme verhallte unter Kaschperles Gebrüll.

      Das junge Mädchen hob den Arm, um Vronli die Kirschen der Zwietracht zu entreißen. Ein Stoß, ein wütender, von Kaschperles kräftigen kleinen Armen, da flog der bunte Marktkorb mit seinem noch bunteren Inhalt mitten hinein in das Steinbassin des Neptunsbrünnle. Die Fischlein, die das Heimatselement fühlten, begannen sofort dem sie einengenden Papier sich zu entwinden und luftig in dem klaren Wasser umherzuschwimmen. Die Butter und die Tomaten schwammen als Soße zur gefälligen Auswahl hinterdrein. Dazwischen segelte Frau Veronikas Marktkorb. Die Stachelbeeren waren nach allen Himmelsrichtungen entsprungen. Ach, und die Eier – die Eier waren das allerschlimmste! An Annemaries weißem Sommerkleid sickerte es goldgelb herab, in Kaschperles braunem Kraushaar leuchtete es golden und Vronlis Schürzlein hatte auch sein Teil abbekommen.

      Die klebrigen Eiweißhände weit von sich spreizend, stand Doktors Nesthäkchen »versteinert«, wie der Neptun droben, mitten auf dem Tübinger Marktplatz.

      Gerechter Strohsack – da schwammen all die guten Dinge, auf deren Einkauf sie so stolz gewesen. Und obendrein noch das Lachen und gutmütige Spötteln der Marktweiber ringsum.

      »Fangen’s doch d’ Fischle wieder – Kinderle, geht’s daher, sucht’s halt de Beerle z’samme!« Von allen Seiten regnete es gute Ratschläge.

      Doktors Nesthäkchen wäre am liebsten auf und davon gelaufen. Aber

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