Aristoteles: Gesammelte Werke. Aristoteles
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Prinzip des Handelns im Sinne des bewegenden, nicht des Zweckprinzips ist die Willenswahl und das der Willenswahl das Begehren und der Begriff oder die Vorstellung des Zweckes. Darum gibt es keine Willenswahl ohne Verstand und Denken einerseits und sittlichen Habitus anderseits. Denn richtiges und verkehrtes Handeln ist ohne Denken und ein Verhältnis zur Sittlichkeit unmöglich.
Das Denken für sich allein aber bewegt nichts, sondern nur das auf einen bestimmten Zweck gerichtete, praktische (1139b) Denken. Von ihm hängt auch das hervorbringende Denken ab. Denn jeder Hervorbringende bringt sein Erzeugnis für einen bestimmten Zweck hervor, und was er hervorbringt, ist nicht schlechthin Zweck, sondern nur mit Bezug auf ein anderes und für ein anderes. Wohl aber ist die Handlung und ihr Inhalt schlechthin Zweck. Denn das richtige Handeln ist ein absoluter Zweck, und auf diesen ist auch das Begehren gerichtet. Und so ist denn die Willenswahl entweder begehrendes Denken oder denkendes Begehren, und das Prinzip, in dem sich beides, Denken und Begehren, verbunden findet, ist der Mensch.
Gegenstand der Willenswahl oder des Vorsatzes kann kein Vergangenes sein, wie sich denn niemand zum Vorsatz macht, Ilium zerstört zu haben; man überlegt oder beratschlagt ja auch nicht über Vergangenes, sondern über Zukünftiges und Mögliches, Vergangenes aber kann unmöglich nicht geschehen sein, weshalb Agathon treffend sagt:
»Denn dies allein, sogar der Gottheit bleibts versagt,
Ungeschehn zu machen, was einmal geschehen ist«143.
So ist denn die Leistung beider vernünftigen Teile die Wahrheitserkenntnis, und in den Beschaffenheiten, vermöge deren sie die Wahrheit am besten erkennen, haben wir jene Tugenden zu erblicken, die beiden eigen sein können144.
Drittes Kapitel.
Um nun die Erörterung über dieselben durchzuführen, müssen wir etwas weiter ausholen.
Der Dinge, durch die die Seele, bejahend oder verneinend, (immer) die Wahrheit trifft, sollen fünf an der Zahl sein; es sind Kunst, Wissenschaft, Klugheit, Weisheit und Verstand. Vermutung und Meinung können auch falsches zum Inhalte haben (und scheiden darum hier aus).
Was die Wissenschaft sei, erhellt, wenn, wir die Worte genau nehmen und uns nicht an äußere Ähnlichkeiten in der Redeweise halten wollen145, aus folgendem. Wir alle halten dafür, daß das, was man weiß, sich nicht anders verhalten kann; was sich aber anders verhalten kann, von dem weiß man, sobald man es nicht mehr vor Augen hat, nicht, ob es noch ist oder nicht. Mithin ist was Gegenstand des Wissens ist, aus Notwendigkeit. Mithin ist es ewig; denn alles, was schlechthin aus Notwendigkeit ist, ist ewig, das Ewige aber ist ungeworden und unvergänglich146.
Auch scheint jede Wissenschaft lehrbar und jeder Wissensgegenstand lernbar zu sein. Jede Lehre aber geht von vorher Erkanntem aus, wie wir in der Analytik dartun, sei es, daß sie sich der Induktion oder des Syllogismus bedient. Die Induktion ist auch Prinzip des Allgemeinen, der Syllogismus dagegen geht von dem Allgemeinen aus. Mithin gibt es Prinzipien als Prämissen des Syllogismus, die nicht wieder durch einen Syllogismus gewonnen werden. Mithin tritt hier die Induktion ein147.
Die Wissenschaft ist mithin ein Habitus des Demonstrierens, zu welcher Begriffsbestimmung man weiterhin noch alles andere hinzunehmen möge, was wir in der Analytik angegeben haben. Wo nämlich eine bestimmte Überzeugung ist, und man die Prinzipien kennt, da ist Wissenschaft. Kannte man dieselben nicht vollkommener als den Schlußsatz, so hätte man das Wissen nur zufällig.
So viel stehe denn hier von der Wissenschaft.
Viertes Kapitel.
Was sich anders verhalten kann, ist teils Gegenstand des (1140a) Hervorbringens, teils Gegenstand des Handelns. Denn Hervorbringen und Handeln ist von einander verschieden, wovon wir schon auf Grund der exoterischen Schriften versichert sein können148. Demnach ist auch der mit Vernunft verbundene Habitus des Handelns von dem mit Vernunft verbundenen Habitus des Hervorbringens verschieden; daher auch keiner in dem andern enthalten ist. Denn das Handeln ist so wenig ein Hervorbringen, als das Hervorbringen ein Handeln.
Da aber zum Beispiel das Vermögen zu bauen eine Kunst und ein mit Vernunft verbundener Habitus des Hervorbringens ist, und da ferner keine Kunst zu finden ist, die kein mit Vernunft verbundener Habitus des Hervorbringens wäre, und umgekehrt auch kein solcher Habitus, der nicht Kunst wäre, so wird Kunst und mit wahrer Vernunft verbundener Habitus des Hervorbringens ein und dasselbe sein.
Vorwurf jeder Kunst ist das Entstehen, das regelrechte Herstellen und die Überlegung, wie etwas, was sowohl sein als nicht sein kann und dessen Prinzip im Hervorbringenden, nicht im Hervorgebrachten liegt, zustande kommen mag. Auf das, was aus Notwendigkeit ist oder wird, geht die Kunst so wenig, wie auf das, was von Natur da ist oder entsteht, da derartiges das bewegende Prinzip in sich selber hat. Da nun das Hervorbringen vom Handeln verschieden ist, so muß die Kunst auf das Hervorbringen, nicht auf das Handeln gehen. Und in gewissem Sinne bewegen sich die Kunst und der Zufall um das nämliche Objekt, wie auch Agathon sagt:
»Die Kunst den Zufall liebt, der Zufall liebt die Kunst.«
Die Kunst ist also, wie gesagt, ein Habitus, etwas mit wahrer Vernunft hervorzubringen, das Widerspiel der Kunst dagegen ein Habitus, etwas mit falscher Vernunft hervorzubringen, bei Dingen, die sich so und anders verhalten können149.
Fünftes Kapitel.
Was ferner die Klugheit sei, können wir daraus lernen, daß wir zusehen, welche Menschen wir klug nennen. Ein kluger Mann scheint sich also darin zu zeigen, daß er wohl zu überlegen weiß, was ihm gut und nützlich ist, nicht in einer einzelnen Hinsicht, z. B. in Bezug auf Gesundheit und Kraft, sondern in Bezug auf das, was das menschliche Leben gut und glücklich macht. Ein Zeichen dessen ist, daß wir auch von solchen sprechen, die in einem einzelnen Punkte klug sind, wofern sie nur im Hinblick auf einen guten Zweck und in Dingen, die unter keine Kunst fallen, wohl zu überlegen wissen. Demnach wird denn auch klug im allgemeinen sein wer wohl und richtig überlegt.
Nun stellt niemand Überlegungen an in Dingen, die sich unmöglich anders verhalten können oder deren Ausführung ihm versagt ist. Wenn also die Wissenschaft auf strenger und eigentlicher Demonstration fußt und dasjenige, dessen Prinzipien sich anders verhalten können, keine Demonstration zuläßt – denn alles, was unter die Handlung