Himmelsvolk: Ein Buch von Blumen, Tieren und Gott. Waldemar Bonsels
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Man merkte gleich, wie wichtig so ein warmer Frühlingstag ist, an der Art, wie glücklich eine ältere Gänseblume sich langsam gegen das Licht aufrichtete und zurückgelehnt den roten Schein aufnahm. Sie hatte überwintert und war sehr erfahren. Es sah aus, als tränke ein durstiges Wesen in vollen Zügen Wasser an einer Quelle. Dann rief sie den erwachenden kleineren Blumen, die rund um sie her standen und alle von ihrer Art waren, den Morgengruß der Blumen zu:
Alle, die wir Blumen sind,
bitten Gottes Segen,
daß uns Sonne, Tau und Wind
heute finden mögen.
Goldne Sonne, mach uns weit
deinen Strahlen offen,
wie auf deine Herrlichkeit
alle Wesen hoffen
Himmelswunder, kühler Wind,
Tau aus deinen Schwingen,
wiege unser Leben lind,
laß den Tag gelingen.
Es will hier gesagt sein, daß unter vielen Menschen die Meinung verbreitet ist, daß die Pflanzen und Tiere keine Sprache hätten. Das ist nun freilich insofern wahr, als die Sprechweise dieser Geschöpfe der unsrigen nur schwer zu vergleichen ist, sie reden gewiß nicht auf dieselbe Art miteinander, wie Menschen es tun. Aber daraus darf niemand zu Recht den Schluß ableiten, daß alle diese Geschöpfe sich nicht auf ihre Weise miteinander verständigten, ihre Sinne sind wohl anders beschaffen, als die unsrigen, aber deshalb sind sie nicht weniger fein und fügsam, nicht weniger klar oder eindringlich. So bedürfen die Pflanzen, um miteinander zu verkehren, des Windes oder ihres Duftes und vor allem der Insekten, die einen großen und weitverzweigten Nachrichtendienst zwischen allen Blumen versehen, die alle Ansprüche, Wünsche und Gedanken, ja sogar die feinsten und lieblichsten Empfindungen, derer die Pflanzen fähig sind, auf wundervolle Art vermitteln.
Es hat in der Vergangenheit Zeiten gegeben, in welchen der Glaube der Menschen an die Sprache und die Stimmen der Geschöpfe der Natur verbreiteter war, als es heute der Fall ist. Es muß daher gekommen sein, daß vor Tausenden von Jahren die Menschen enger am Herzen der Natur lebten, daß sie den Pflanzen dankbarer waren für ihre Früchte, den Tieren für ihre Dienste und den Wäldern für das Obdach, das sie ihnen gewährten. So hörten sie in frommer Andacht auf die Stimmen ihrer Wohltäter und lauschten auf das Rauschen der alten Linden. Sie vernahmen in der Stimme des Baums, die Stimme der Vergangenheit und der Zukunft. Wir müssen uns wohl hüten, diese alte Weisheit rasch als ein Zeichen des Aberglaubens zu verwerfen; alle, welche die Natur draußen kennen, werden gerne gestehen, daß der Sonnenschein über weiten Wiesen oder das Rauschen der Bäume im Wind das menschliche Herz ruhiger machen, besonnen und frei. Wer sähe aber die Vergangenheit oder die Zukunft, oder auch die Sorgen der Gegenwart nicht mutiger und gerechter an, wenn sein Herz einer solchen Freiheit teilhaftig geworden ist? Auf diese Art war zu manchen Zeiten ein Band tiefen Einvernehmens zwischen der Welt der Menschen und der übrigen Geschöpfe der Natur geschlungen, und es ist nur unser Verschulden, wenn wir verlernt haben, es zu erkennen.
Wenn ich euch nun so mancherlei aus dieser Welt erzähle, so übersetze ich alles, was ich gesehen und gehört habe, in die Sprache der Menschen, bis ihr einmal selbst hinausgeht, um die Sprechweise der Tiere und Pflanzen zu lernen, und wahrscheinlich werdet ihr dann mehr und Besseres erfahren, als ich euch erzählen kann, denn es ist nun einmal so in der Welt bestellt, daß man von allem Schönen, das man erlebt, das Beste nicht sagen, sondern nur empfinden kann.
Die meisten der wichtigen Ereignisse, die in diesem Buch erzählt werden, haben sich auf der Waldwiese am Traulenbach abgespielt, dort wo die tausendjährige Linde an der Grenze der Felder und des Laub- und Föhrenwaldes steht. Es ist ein von den Menschen fast ganz vergessener Ort, nur im Frühling oder im Herbst kommt ein Landmann in die Nähe dieser Waldwiese, wenn er seine Äcker besät oder pflügt, und alle Jahre vielleicht einmal ein Jäger mit seinen Hunden, aber nicht einmal das ist ganz sicher.
So hatten die Tiere des Waldes, die Bäume, Pflanzen und Blumen auf der Waldwiese ein ruhiges Leben auf ihre Art, das nicht von Menschen gestört wurde. Die meisten von ihnen kannten nur den Wind, den Sonnenschein und den Regen, außer dem dunklen Erdboden, dem sie vertrauten. Sie hörten wohl durch die Bäume oder Vögel von den Menschen, auch kam es vor, daß an schönen Abenden die Linde aus ihrer an Erlebnissen reichen Vergangenheit erzählte, aber die wenigsten von ihnen hatten den Menschen überhaupt jemals gesehen.
Zweites Kapitel
Die Ankunft des Elfen
Es mochte nach der Zeitrechnung der Menschen zwischen Pfingsten und Ostern sein, als im Frühling dieses gesegneten Jahres ein niegesehenes Ereignis die Bewohner der Waldwiese in Erregung und Entzücken versetzte. Es war an einem unbeschreiblich hellen Sonnenmorgen, das Land duftete vom Regen der Nacht, und die Frische war so beseligend im Licht, daß die Freude aller Lebendigen wie ein einziger Jubel durch den Wald hallte. Über den Primeln in der Lichtung und über den blauen Sternen der Leberblumen sang eine Grasmücke, sie war ganz in ihr Lied versunken, ihr Kopf war voll Hingabe in das blaue Glänzen des Himmels erhoben, und es sah aus, als wäre sie ganz verzückt von Daseinslust. Ihr Lied klang unter den hellen Schleiern des jungen Buchengrüns dahin, das von der Sonne wie Gold leuchtete, und zwischen den Stämmen der Tannen ließ die Ruhe der Waldeinsamkeit die Töne in ihre dunklen Tore einziehen. Nah und fern, überall, wo es grün und hell war, zwitscherte und jubilierte es, kein Wesen war in der Lage, traurigen Gedanken nachzuhängen. Und über dem Frühlingsglück der Ihren zog die strahlende Sonne hoch im Blauen ihre Gnadenbahn.
Es war ein Tag, ach, wer vermag so viel Überschwang zu fassen?! Überall blühte es, tief unten im Tau trieb das Moos am Boden seine smaragdgrünen, dichten Wäldchen, und in den Baumwipfeln öffnete sich Blüte neben Blüte in der Sonnenfreiheit.
Als die Grasmücke, nachdem sie ihre Lieder beendet hatte, sich in den Waldgrund niederließ, um nach einem Morgentrunk Umschau zu halten, traf sie den Maulwurf an einer Baumwurzel im Eingang zu seinem unterirdischen Höhlenbau.
»So ein Tag lockt sogar Sie heraus, wie?« fragte sie freundlich, trat aber doch etwas zur Seite, man weiß nie recht, bei so einem Maulwurf ...
Der Alte schüttelte den Kopf und blinzelte:
»Die Wärme,« sagte er, »die Wärme ist mir bisweilen ganz recht, aber dieses Übermaß an Licht kann mir gestohlen werden. Kommen Sie einmal mit herunter, meine Liebe, treten Sie ein! Sie werden Wunder an Behaglichkeit erleben. Alles ist dämmrig, kühl und still, und dabei von einer Gleichmäßigkeit der Temperatur, daß man gedeiht wie ein Kürbis. Dabei brauche ich nicht hinter jeder Fliege oder Mücke herzujagen wie Sie, Würmer und Engerlinge dringen sozusagen von selbst in meine Gänge ein, morgens liegen sie da und warten, daß sie gefressen werden. Das nenne ich so recht ein Leben nach dem Herzen Gottes.«
»O pfui Teufel«, sagte die Grasmücke und lachte. »Aber so sind Sie, genau wie ein Maulwurf. Wenn ich Sie nicht schon länger kennte, würde ich überhaupt nicht mit Ihnen reden, an Sie muß man sich erst gewöhnen, verstehen Sie?