Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen. Nele Kreyßig
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Von Hobbypsychologen, Besserwissern und den Tücken guter Ratschläge
Wie oft haben Sie in den letzten Jahren eigentlich etwas gemacht, nur weil Ihnen ein anderer dazu geraten hat? Damit meine ich jetzt nicht Ihren Hausarzt, der Ihnen rät, die Tabletten morgens nach dem Frühstück einzunehmen, oder den Automechaniker, der neue Winterreifen empfiehlt. Diese Ratschläge machen oftmals Sinn. Sondern ich meine beispielsweise die eigene Mutter, die dazu rät, doch etwas strenger mit den Kindern zu sein: Die würden Ihnen doch auf der Nase herumtanzen! Oder den Freund, der sagt, es wäre Zeit, etwas gegen Ihren Waschbärbauch zu tun, und Sie drängt, ihn ins Fitnessstudio zu begleiten. Kurz: Ich meine Ratschläge, die tatsächlich unbequeme (und für Sie vielleicht gar nicht passende?) Verhaltensänderungen nach sich ziehen würden. Vielleicht haben Sie spontan gedacht: »In meine Erziehung lasse ich mir nicht reinreden, von meiner Mutter schon gar nicht!«, oder: »Fitnessstudios habe ich schon immer gehasst, wie kommt der nur auf die Idee!« Willkommen im Klub: Gerade die Personen, die am eifrigsten Ratschläge verteilen, werden plötzlich störrisch, wenn sie nun selbst welche annehmen sollen.
Warum gute Ratschläge meist scheitern.
Die meisten guten Ratschläge sind von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil Menschen sich – stark vereinfacht gesagt – nur dann ändern, wenn die in Aussicht stehende Belohnung größer ist als die erforderliche Anstrengung. Wichtig dabei: Wie verführerisch eine Belohnung (bzw. ein Zielzustand oder Zielverhalten) ist, entscheidet die Adressatin oder der Adressat eines guten Ratschlags, nicht etwa die Rat gebende Person! Vielleicht mögen Sie Ihre Kinder so lebhaft, wie sie sind, und Sie legen gar keinen Wert auf einen Waschbrettbauch. Da ist sie wieder: Die persönliche Brille, durch die jeder von uns die Welt sieht. Die meisten Ratgeber/-innen blicken mit ihrer Brille auf das Leben des anderen, was in Formulierungen wie »Also, ich an deiner Stelle würde ja xy machen!« oder »Wenn ich du wäre, würde ich …« ziemlich deutlich durchschimmert. Ich bin aber nicht du. Auch Sätze wie »Warum machst du nicht einfach …?« leiden unter diesem Fehlschluss, denn was für Person A »einfach« ist, muss es für Person B noch lange nicht sein. Sonst hätte B es vielleicht ja schon probiert. Je unterschiedlicher die Lebensmodelle und Werte sind, desto krasser unterscheiden sich die Dioptrien unserer Wertungsbrillen. So kommt es dann zu unfreiwillig komischen Ratschlägen, nach denen der Punkrocker die E-Gitarre in die Ecke stellen, sich die Haare kämmen und bei Onkel Werner als Azubi anheuern soll.
Wenn der Änderungswunsch an eine andere Person gleich mit einem guten Ratschlag kombiniert wird (also einer Empfehlung, wie die oder der andere die Änderung hinkriegen kann), macht man oft alles nur noch schlimmer. Gründe für das Scheitern guter Ratschläge gibt es viele:
•Die oder der andere möchte vielleicht gar keinen Rat. Auch wenn sie/er das Thema selbst angesprochen hat, will sie/er vielleicht gar keinen Lösungsvorschlag, sondern sich nur etwas »von der Seele reden«. Mein Eindruck ist, dass viele Wortgefechte zwischen Frauen und Männern auf diesem Missverständnis beruhen. Frauen wollen reden, Männer präsentieren zackig Lösungen. Dann ist Frau enttäuscht, weil Mann nicht geduldig zuhört, und Mann findet die Reaktion zickig. Ein Klischee, sicher, aber oftmals beobachtet.
•Mit einem Ratschlag manövriert man sich in eine überlegene Position (ich sage dir, was du tun sollst). Insbesondere bei ungebetenen Ratschlägen weckt dies häufig Abwehr oder sogar Aggressionen. Der Inhalt dringt dann gar nicht mehr durch.
•Die oder der andere ist gerade emotional so aufgewühlt, dass sie/er keinen klaren Gedanken fassen kann und den Ratschlag gar nicht richtig versteht bzw. nicht in der Verfassung ist, ihn aufzunehmen.
•Der Ratschlag geht an der Lebenswirklichkeit und an den Werten des Gegenübers vorbei. Sie oder er fühlt sich unverstanden und reagiert enttäuscht (»Wie kann der/die mir so etwas raten? Das passt doch gar nicht zu mir!«).
•Der Ratschlag wird überlagert von einer (momentan oder dauerhaft) problematischen Beziehung: Von meinem unfreundlichen Chef lasse ich mir gar nichts sagen; meine Mutter hat schon immer versucht, sich in alles einzumischen; im Moment bin ich nicht gut auf meinen Kollegen zu sprechen usw.
•Der Ratschlag streut Salz in eine offene Wunde: »Genau das habe ich schon vergeblich versucht! Das funktioniert bei mir nicht.« (Oder aggressiver: »Meinst du nicht, da wäre ich auch schon selbst draufgekommen?!«)
Es ist also heikel, jemanden mit Ratschlägen zu beglücken. Ratschläge sind eben auch Schläge, wie ein Sprichwort warnt. Das gilt zumindest häufig und trägt dazu bei, dass mehr oder weniger »gut gemeinte« Ratschläge verpuffen. Was Sie dagegen tun können? Erteilen Sie Ratschläge nur dann, wenn Sie darum gebeten werden. Wenn Sie unsicher sind, ob der andere jetzt gerade einen Rat möchte, fragen Sie ihn: »Willst du meine Meinung dazu hören?« Und seien Sie nicht beleidigt, wenn die Antwort »Nein« lautet.
Warum wir wissentlich das Falsche tun.
Und dann gibt es ja noch die Fälle, wo jemand Ihren Rat sucht oder Ihnen zumindest für hilfreiche Hinweise dankt und dann zur Tür herausspaziert und genau das Gegenteil tut, so weitermacht wie bisher oder das macht, wovor Sie gewarnt haben. In der Beziehungskomödie »Harry & Sally« gibt es dazu eine passende Situation.
Sallys beste Freundin Marie hat seit Jahren ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann, der immer dann bei seiner Familie ist, wenn sie sich eigentlich nach Zweisamkeit sehnt: an Weihnachten, an Feiertagen, in den Ferien. Marie ist jedes Mal kreuzunglücklich und weint sich dann bei Sally aus. Nach dem letzten Schluchzer sagt Sally jedes Mal: »Marie, du musst dich von ihm trennen! Er wird seine Frau nie verlassen.« Worauf Marie jedes Mal antwortet: »Du hast recht! Ich weiß, dass du recht hast!« Scheinbar ist der Trennungsvorsatz gefasst. Doch wenige Wochen später klagt sie Sally erneut ihr Leid. Erst eine neue Liebe ändert die Situation.
Was haben Sie gerade gedacht, als Sie diese Geschichte lasen? Hatten Sie Verständnis oder haben Sie die Wertungskeule hervorgeholt und Marie Inkonsequenz, Feigheit oder Schwäche unterstellt? Der Neurobiologe und Philosoph Gerhard Roth hat eine bessere Erklärung dafür, warum wir einem Rat mitunter selbst dann nicht folgen, wenn wir ihn als richtig erkennen und eigentlich umsetzen wollen. Unser Verhalten wird eben nicht nur von rationaler Einsicht geprägt, sondern von genetischen Dispositionen, frühkindlichen Prägungen, unserer Sozialisation, das heißt vor allem jenen Erfahrungen, die wir bis zum frühen Erwachsenenalter machen. Diese Eindrücke graben sich tief in die emotionalen und zum Teil unbewussten Bereiche unseres Gehirns ein, in das limbische und mesolimbische System. Sie machen unser »unbewusstes Selbst« aus, das von »emotionalen Konditionierungen« bestimmt wird, von tief verwurzelten Prägungen, die unser Denken und Verhalten steuern, ohne dass sie rationaler Überlegung zugänglich sind.2 So kommt es, dass wir uns manchmal selbst nicht verstehen und wider besseres Wissen Dinge tun, von denen wir eigentlich wissen, dass wir sie später bereuen werden. Wir können nicht anders, ohne sagen zu können, warum. Das mag einerseits ein frustrierender Gedanke sein. Andererseits kann man es als Anregung sehen, etwas geduldiger und nachsichtiger zu sein: mit sich selbst und mit anderen!
»Wenn nur alle so wären, wie ich das will …«
Wie die Welt aussähe, wenn unser Traum wirklich in Erfüllung ginge
Spötter sagen, es gibt nur eins, was noch schlimmer ist als unerfüllte Träume: die Erfüllung eines Wunschtraums. Wie sähe die Welt tatsächlich aus, wenn die anderen sich uns zuliebe ändern würden?
Harmonische