Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Gunther Schmidt
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Gunther Schmidt im Juli 2004
Einführung
DER WEG VOM SYSTEMISCHEN ZUM HYPNOSYSTEMISCHEN ANSATZ
In diesem Buch möchte ich einige der vielen Chancen beschreiben, die sich im Feld der Psychotherapie und der Beratung von Individuen, Teams und Organisationen durch hypnosystemische Konzepte eröffnen. Ich habe diesen Begriff „hypnosystemisch“ vor ca. 20 Jahren geprägt, um eine spezifische Form der Integration systemisch- konstruktivistischer und ericksonscher Hypnotherapiekonzepte zu kennzeichnen, für deren differenzierte Ausgestaltung ich mich engagiere, seit ich 1979 das Glück hatte, an Milton Ericksons unbeschreiblicher Verbindung von Genius, Fleiß und riesiger Erfahrung teilhaben zu dürfen.
In den weiteren Kapiteln bietet das Buch Artikel zu diversen Anwendungsfeldern der hypnosystemischen Arbeit. Da ich den Vorzug genieße, auch begünstigt durch meine beiden Berufe als Diplomvolkswirt und Facharzt für psychotherapeutische Medizin, in unterschiedlichsten Kontexten als Psychotherapeut, Berater, Coach, aber auch als Führungskraft zu arbeiten, konnte ich die hier beschriebenen Konzepte in all diesen Kontexten anwenden. Die dabei gemachten Erfahrungen fließen ein in die verschiedenen Kapitel. Diese Artikel wurden in ihrer ursprünglichen Form im Laufe meiner professionellen Entwicklung zu verschiedenen Zeiten geschrieben und in verschiedenen Büchern und Fachzeitschriften veröffentlicht. Sie wurden für das hier vorliegende Buch überarbeitet und aktualisiert. Sie sind in sich selbst jeweils als geschlossene Gestalt nebeneinander gestellt und erheben gerade nicht den Anspruch, aufeinander aufzubauen. Da und dort werden die Leser und Leserinnen deshalb auch bemerken, dass sich bestimmte wesentliche Aspekte des hypnosystemischen Konzepts in ihnen manchmal in unterschiedlicher Beleuchtung wieder finden, eine hoffentlich eher hilfreich wirkende, das kontextbezogene Verständnis des Konzepts vertiefende Redundanz. Dabei habe ich aber Wert darauf gelegt, dass ihre ursprünglichen Grundaussagen erhalten blieben, schon deshalb, damit auch meine eigene Entwicklung deutlich nachvollziehbar wird, hin zu immer mehr Transparenz, Achtung und, ja, sogar einer gewissen Demut vor der autonomen Kompetenz der Klienten und Klientinnen, mit denen ich arbeiten durfte. Ein für mich wichtiger Wahlspruch ist: „Wer einigermaßen der Gleiche bleiben will, muss sich ständig verändern.“ Und bedeutsam ist für mich Maturanas Urteil: „Leben ist ein Erkenntnis gewinnender Prozess“ (1982). Ständige Lernprozesse als der entscheidende Wirkstoff für Lebendigkeit resultieren daraus. Dieses Buch soll auch ein wenig überprüfbar machen, ob es mir möglich war, solche (hoffentlich hilfreichen) Lernprozesse zu machen.
Durch die Verbindung dieser beiden zentralen Konzepte (und ihre Anreicherung durch diverse andere wichtige Einflüsse wie z. B. Psychodrama, Ideen aus Gendlins Focusing (1981), Transaktionsanalyse und Körpertherapien wie z. B. Hakomi) lässt sich das Spektrum von Beschreibungs- und Interventionsmöglichkeiten, welches wir aus den „klassischeren“ systemisch-konstruktivistischen Ansätzen kennen, deutlich erweitern. Dadurch ergeben sich sehr viel mehr Chancen, die professionellen Angebote in Therapien und Beratungsprozessen passgenau auf die Einzigartigkeit der Kundensysteme abzustimmen und ihnen so würdigend gerecht zu werden. Mit „klassischer“ meine ich hier Modelle wie z. B. den Mailänder Ansatz (Boscolo, Cecchin, Prata, Selvini Palazzoli) und dessen diverse Weiterentwicklungen, die Konzepte unserer so genannten Neuen Heidelberger Schule (Stierlin, Simon, Weber, Schmidt, Retzer, Schweitzer u. a.), so genannte narrative Ansätze wie z. B. der Gruppe um Goolishian und Anderson, Hoffmann, Tomm, White, Andersen (Reflecting Team) u. v. a. Dabei dürfte es ja ohnehin Konsens darüber geben, dass es „die“ systemische Therapie oder Beratung nicht gibt, sondern sich ihre Geschichte auszeichnet durch das vielfältige, gleichzeitige Blühen vieler Ausdifferenzierungen der Grundansätze.
ZUM TITEL DES BUCHES
Als Teil dieser Integration zum hypnosystemischen Modell erweist es sich oft als besonders wichtig, die Prozesse, welche bisher von den Klienten und Klientinnen und ihrem Beziehungssystem als „Symptome“, „Probleme“ erlebt und bezeichnet wurden, aus einer kompetenzfokussierenden Perspektive zu beleuchten. Solche Symptome lassen sich dann verstehen und behandeln nicht als reines Defizit, sondern als (oft unterbewusste) Interventionen im Dienste bestimmter Bedürfnisse, in ihren Auswirkungen können sie als beziehungsgestaltende Kompetenzen bewertet werden. Dadurch verändert sich typischerweise die Auftragsdynamik in einer Therapie oder Beratung nachhaltig. So können dann Aufträge entwickelt werden, die sowohl den bisher bewusst wahrgenommenen Zielen als auch den Anliegen gerecht werden können, die bisher (mehr unbewusst) durch die Symptome repräsentiert wurden. Die so genannten Probleme stehen dann nicht mehr in massivem Gegensatz zu den gewünschten „Lösungen“, sondern beide Aspekte lassen sich ergänzen und verbinden sich zu optimierten, zieldienlichen Synergieprozessen. So kann Therapie bzw. Beratung mehr zur Versöhnung bisher antagonistischer Kräfte und zu ganzheitlicheren Entwicklungen beitragen. Um dies besonders herauszuheben, habe ich diesem Buch gezielt seinen zugegebenermaßen etwas romantizierenden Titel gegeben, der eben darauf hinweisen soll, wie „Problemmuster“ und „Lösungsmuster“ erfreuliche, über ihr ursprüngliches Wesen hinausgehende Entwicklungen (im schönsten Falle „Liebesbeziehungen mit Folgen“) anregen können.
GRUNDANNAHMEN DES HYPNOSYSTEMISCHEN ANSATZES
In diesem Buch möchte ich Sie nicht langweilen mit weiteren endlosen Entwürfen zur Systemtheorie. Davon gibt es schon genug, zweifellos auch sehr verdienstvolle. Viele Interessierte in der Praxis der Therapie und Beratung aber, das erlebe ich noch immer fast täglich, stöhnen angesichts der ihnen als Ungetüme erscheinenden hochkomplexen Theoriegebirge und rätseln darüber, mehr oder weniger konfusioniert, was das alles denn für ihre konkrete Arbeit heißen könnte. Deshalb geht es mir vor allem darum, den Theoriehintergrund systemischer und hypnotherapeutischer Ansätze praxisorientiert zu übersetzen, damit daraus viele konkrete Handlungsschritte abgeleitet werden können. Als Mittel dafür möchte ich den Weg meiner eigenen Entwicklung hin zum hypnosystemischen Ansatz nutzen.
So werde ich hier die theoretischen Prämissen nur relativ kurz skizzieren. Die systemischen Grundannahmen dürften inzwischen den meisten Lesern und Leserinnen ohnehin eher vertraut sein (außerdem gibt es dazu sehr bewährte Arbeiten, z. B. von Schlippe u. Schweitzer 1996, Mücke 2002 u. a.).
Der Systemische Ansatz
Die inzwischen sehr weit verbreiteten systemischen Beratungskonzepte haben ihre Wurzeln in der Tradition der Familientherapie (Hoffman 1982; von Schlippe u. Schweitzer 1996). Im Laufe der letzten 25 Jahre haben sie sich aber darüber hinaus zu einem allgemeineren Metakonzept entwickelt, innerhalb dessen systemisch-familientherapeutische Arbeit nur ein (wenn auch relativ wichtiges) Anwendungsfeld ist.
Heute werden systemische Konzepte nicht nur für die Beratung von Familien, sondern auch intensiv für die Beratung anderer sozialer Systeme genutzt. Insbesondere auch in der Anwendung auf Organisations- und Teamberatung hat sich geradezu ein Boom entwickelt, wobei aber stringente und konsistente Modelle für die systemische Arbeit mit Teams noch relativ selten sind.
In die Entwicklung der systemischen Konzepte sind viele Anleihen aus unterschiedlichen Wissenschaftszweigen eingeflossen, z. B. aus der Biologie und Medizin (von Bertalanffy, Cannon), der Kybernetik, der Physik, der Synergetik (Haken) u. a. Wichtige Theorien für die modernen systemischen und hypnotherapeutisch-lösungsorientierten Konzeptionen sind die Theorie der Selbstorganisation lebender Systeme (Autopoiese) (Maturana, Varela), der Radikale Konstruktivismus (von Glasersfeld) und der Soziale Konstruktionismus (Gergen 1996).