Gott denken. Holm Tetens
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Die drei methodologischen Maximen sind legitim. Die Wissenschaften haben alles Recht der Welt, sich selber auf das zu beschränken, was sich mit bestimmten methodologischen Prinzipien und Regeln erforschen lässt. Trotzdem muss man an ein elementares wissenschaftshistorisches Faktum erinnern: Die drei Maximen sind nicht in Geltung gesetzt worden, weil und nachdem man zuvor die Existenz Gottes widerlegt und darüber hinaus wissenschaftlich bewiesen hat, dass sich abgesehen von menschlichen Handlungen ausnahmslos alles am besten naturgesetzlich erklären lässt, sodass teleologische Erklärungen wegfallen können.
Weil das so ist, mutet Beckermanns folgende Behauptung naiv an:
»Wenn man die Welt wissenschaftlich untersucht, findet man de facto in der Regel nichts, was für die Existenz nicht-natürlicher Phänomene spricht. Wenn man die Welt unvoreingenommen beobachtet, zeigen sich in ihr weder Götter noch Geister, noch andere übernatürliche Mächte und Kräfte.«14
Nachdem sich die Wissenschaften auf den Ausschluss teleologischer Erklärungen und auf den methodischen Atheismus eingeschworen haben, soll eine unvoreingenommene wissenschaftliche Betrachtung der Wirklichkeit – also methodologisch genauer und ehrlicher formuliert –, soll eine Betrachtung der Wirklichkeit unter strikter Beachtung des methodischen Atheismus auf nichts stoßen, was für die Existenz von Göttern oder die Existenz des Gottes der Monotheisten spricht? »Kunststück!« möchte man Beckermann zurufen. Wer bereits im methodologischen Vorfeld Gott für die Wissenschaften als nicht-existent erklärt, kann ihn nicht finden. Ist damit das Dasein Gottes widerlegt? Wohl kaum. Wer mit der Wahl seiner Beweismittel Gott von vornherein als akzeptable Erklärung für irgendetwas ausschließt, für den existiert Gott offensichtlich nicht als eine Größe, mit der ernsthaft zu rechnen ist. Er hält das methodisch a priori, also aufgrund der Wahl seiner methodischen Mittel von vornherein für eine ausgemachte Sache.
Nein, mit den zugelassenen Erkenntnismitteln der Wissenschaften lässt sich ersichtlich nicht nachweisen, dass es nichts gibt, was sich nicht mit den zugelassenen Erkenntnismitteln der Wissenschaften nachweisen lässt. So ein vermeintlicher Beweis wäre selbstwidersprüchlich. Deshalb hat ihn die Wissenschaft wohlweislich bisher nicht präsentiert, und das dürfte auch in Zukunft so bleiben.15
Der Naturalismus folgt nicht aus den Resultaten der Wissenschaften. Er ist selber eine metaphysische Position, indem er die Wissenschaft zur Metaphysik erhebt. Was genauer heißt hier Metaphysik?
3. Metaphysik
Philosophie fragt nach der besonderen Stellung des Menschen im Ganzen der Wirklichkeit, und sie fragt danach vor dem Hintergrund der Suche des Menschen nach dem Glück und einem gelingenden Leben.16 Diese Leitfrage verlangt von Philosophen, sich darüber im klaren zu werden, welche grundlegenden Arten von Gegenständen es gibt und wie diese so miteinander zusammenhängen, dass sie Bestandteile ein und derselben Welt bilden. Es ist die Metaphysik, die auf die Frage nach den grundlegenden Arten von Gegenständen und nach ihrem Zusammenhang in ein und derselben Welt zu antworten versucht.
Überaus anspruchsvoll ist diese Aufgabe der Metaphysik. Denn so, wie wir über die Welt reden, scheint es sehr viele verschiedene Arten von Gegenständen in der Welt zu geben. Jedenfalls dienen sehr verschiedene Gegenstände als logische (grammatische) Subjekte unserer Rede über die Welt. Konzentriert man sich auf die ganz grundlegenden Arten von grammatischen Subjekten menschlicher Rede, lassen sich mindestens die folgenden Arten auflisten17: konkrete materielle Dinge und Prozesse; seelische und geistige Zustände bei Tieren und Menschen; abstrakte Gegenstände, wie zum Beispiel Eigenschaften oder mathematische Gegenstände wie Zahlen oder Mengen; Bedeutungen von Zeichen und Symbolen, insbesondere Bedeutungen sprachlicher Zeichen; moralische, ästhetische und andere Werte; Raum und Zeit; Möglichkeiten und andere Modalitäten; nicht materiell verkörperte geistige Wesen wie Götter oder wie Gott.
Sind wir nur deshalb, weil all die aufgeführten Gegenstände unzweifelhaft als grammatische Subjekte in unserer Rede vorkommen, auch schon darauf verpflichtet, ihre eigenständige Existenz zu unterstellen? Mitnichten. Oder besser gesagt: Genau darüber streiten Metaphysiker. Sie streiten über zweierlei: Erstens darüber, welche der aufgeführten Arten von Gegenständen tatsächlich existieren. So scheiden für einen Naturalisten nicht materiell verkörperte geistige Wesen wie Götter von vornherein aus. Ebenso leugnen Naturalisten, dass moralische und ästhetische Werte eine eigenständige Seinssphäre bilden. Zweitens debattieren Metaphysiker darüber, wie die Arten von Gegenständen, deren Existenz sie nicht rundweg abstreiten, in ihrer Sicht von der Wirklichkeit im Ganzen unterzubringen sind. Dabei geraten Metaphysiker immer wieder bei der Frage aneinander, ob bestimmte Arten von Gegenständen so etwas wie die »eigentliche« oder »primäre« Realität bilden, während die übrigen Arten von Gegenständen dann auf irgendeiner Weise auf die jeweils für primär gehaltene Realität zurückzuführen sind. Etwa muss ein strikter Materialist zeigen, wie seelische und mentale Zustände, abstrakte Gegenstände, Wortbedeutungen, Möglichkeiten und Werte so aufgefasst werden können, dass zugleich verständlich wird und bleibt, warum im eigentlichen Sinne nur materielle Dinge und Prozesse existieren.
Das Herzstück einer jeden Metaphysik bildet daher eine Auskunft über das Ganze der Wirklichkeit in der Form:
»Es existieren (von den oben unterschiedenen und möglicherweise weiteren Gegenstandsarten) nur die wenigen18 Arten A1,…,An von Gegenständen, die auf die Weise W miteinander verbunden eine Welt bilden; die meisten anderen Arten von Gegenständen, die wir zumindest sprachlich erst einmal unterscheiden, existieren entweder nicht oder lassen sich jeweils auf die Weise W’ auf die wenigen Gegenstandsarten A1,…,An zurückführen.«
Solche grundlegenden Auskünfte einer Metaphysik über das Ganze der Wirklichkeit haben einen besonderen Status. Sie lassen sich durch Erfahrung weder beweisen noch widerlegen. Warum?
Die Kernbehauptung einer jeden Metaphysik ist ein Allsatz. Er lässt sich nicht durch Erfahrung beweisen. Wer könnte ein für alle Mal ausschließen, eines Tages auf Gegenstände zu stoßen, die sich jedem Versuch widersetzen, sie auf die als grundlegend unterstellten Arten von Gegenständen sinnvoll zu reduzieren?
Die Allsätze lassen sich aber auch empirisch nicht widerlegen. Das ist einer Eigentümlichkeit jeder Metaphysik geschuldet. In der Metaphysik geht es um das Ganze der Wirklichkeit. Angenommen, wir glauben, dass p tatsächlich der Fall ist. Dann gehört freilich zur Wirklichkeit nicht nur diese Tatsache p, vielmehr gehört zu ihr auch die erkenntnistheoretische Tatsache, dass wir glauben, dass p der Fall ist. Jede Metaphysik muss ontologische Auskünfte über das, was der Fall ist, und erkenntnistheoretische Auskünfte darüber, was wir auf welche Weise von der Wirklichkeit erkennen, auf kohärente Weise miteinander verknüpfen. So unverzichtbar die Forderung nach Kohärenz ist, so wenig legt sie die Verknüpfung von ontologischen und erkenntnistheoretischen Tatsachen in einem metaphysischen System eindeutig fest. Immer bleibt ein Spielraum. Und bereits dieser Spielraum verhindert eine definitive Widerlegung metaphysischer Kernaussagen.
Betrachten wir das zunächst abstrakt. Nehmen wir also an, ein Metaphysiker behaupte,