Novellen. Heinrich Mann

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Novellen - Heinrich Mann

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dass es mich erinnert hat, an eine berühmte Schauspielerin, die ich kannte.“

      „Die Sie kannten.“

      „Will sagen, ich weiß nicht einmal, ob sie berühmt war. Ich bin kein Weltmann.“ Dabei lächelte er bescheiden und geistreich. „Aber es gibt Stunden, und eben Frauen, wie jene, die mir einmal begegnete, haben wohl solche Stunden, da spricht man zu einem Erstbesten, was man nicht einmal zu sich selbst sprechen würde — geschweige zu seinem Nächsten.“

      Hier schien sein Blick hinter den Gläsern den Tisch zu streifen, mit den Briefen darauf, ihren Briefen. „Wollen Sie sich nicht setzen?“ sagte Cromer.

      „Danke. Ich verweile nicht ungern ein Wenig. Der Zug fährt erst in einer halben Stunde hier vorüber. Ich bin ermüdet vom Reisen. Eine Reise, das Leben,“ sagte er und legte, einer Anerkennung gewärtig, die rasierten Lippen in Falten. Cromer wechselte ungeduldig den Platz. „War es denn so bemerkenswert, was die Dame Ihnen erzählte?“ fragte er nachlässig. Der Besucher machte es sich bequem, er stützte den schwachen Körper gegen seine umeinander gewundenen Beine, ließ eine Hand, die schmale Hand eines Verkrüppelten, über das Knie hängen, und lugte hervor unter seiner niedrigen, aber umwölkten Stirn, in die Löckchen fielen.

      „Bemerkenswert?“ sagte er klangvoll und mit runder Aussprache. „Keineswegs für den Freigeist, der ich bin. Aber wenn Sie es hören wollen, wohlan denn! Ich glaube nicht, dass die berühmte Schauspielerin mir zürnen würde. Sehr wahrscheinlich, dass sie alles nur in der Phantasie erlebt und es längst wieder vergessen hat . . . Sie war damals der Gast eines kleineren Theaters, dessen Spielplan sie unbedingt beherrschte. Sie hatte sich Rollen mitbracht, darunter eine, die nirgends erprobt und niemanden bekannt war. So wenigstens sagte sie mir — und setzte hinzu, dass trotzdem in einer Gesellschaft ein Unbekannter ihr den Inhalt eben dieser Rolle deutlich vorhergesagt habe, ihn ohne weiteres erraten habe aus ihrem Gehaben, aus unmerklichen Zeichen, einem Lachen, einem Nichts . . . Eine Taschenspielerei, wie? Die Künstlerin — man begreift, eine Künstlerin — kann es nicht so leicht nehmen, wie sie möchte. Der Unbekannte verfolgte sie nun.“

      Der Unbekannte auf dem Stuhl dort lächelte durchdringend. Oben auf seinen Wangen war ein wenig Röte erschienen. „Sie spielt die Rolle, die er erraten hatte, und glaubt ihn im Theater. Sie spielt matt, wie betäubt! mit einem Schlag wacht sie auf, legt los, erreicht alles, was sie will! Nachher erfährt sie . . .“ Der Unbekannte stieß die Worte einzeln aus, er punktierte sie mit seinen langen Fingern auf dem Knie, und sein spitzes Gesicht ward unerbittlich anzusehen. „Bei dieser Szene hatte er das Haus betreten . . . Hier fasst sie die Angst, zum ersten Mal echte Angst; sie schilt sich aus, weil sie versucht ist, abzureisen, nur um nie dem Menschen wieder zu begegnen, — der übrigens persönlich nicht weniger unheimlich gewirkt haben soll als durch seine Taten.“ Das Lächeln des Unbekannten ward feucht und krampfhaft, ein Lächeln, gemacht aus Bosheit, Eifer und Scham.

      Cromer sagte nach einer Pause: „Natürlich ist sie nicht abgereist.“

      „Weit entfernt! Menschen von Rasse sind nicht feige vor dem Unerklärlichen — vor dem scheinbar Unerklärlichen! Sie weicht ihm aus, jenem Wesen, leider hilft es nichts. Ein Abend erscheint, an dem sie in ihrer Garderobe sitzt, im ersten Stock des Theaters, dies ist wichtig, und bis ihr Stichwort kommt, noch einmal ihre Rolle durchliest. Das Buch liegt im vollen Licht der Lampe, die über dem Toilettetisch hängt, aber auf einmal ist ein Schatten darauf. Die Künstlerin erkennt eine Nase, eine gewisse lange, gebuckelte Nase, ihr nur zu wohl geläufig.“ Und der Unbekannte hielt, wie zur Erläuterung, sein eigenes Profil hin. „Aufspringen, schreien — das tut sie nur innerlich. In Wirklichkeit wendet sie ruhig den Kopf und sagt: „Wie kommen denn Sie dahin?“ Seltsam, er ist nicht da, niemand ist da. Sie kehrt zu dem Buch zurück, das weiß und leer ist. Kaum aber will sie lesen, schiebt sich wieder der Schatten darauf. Da ist sie freilich vom Stuhl gefahren, hat alles durchsucht in dem Raum, das Fenster aufgerissen, aber es lag zu hoch und in einer glatten Mauer. Die Künstlerin weiß nicht mehr ein noch aus, ihr schwindelt, sie wäre einfach davongelaufen; zum Glück klopft der Inspizient an und holt sie. Er geht vor ihr her über die Treppe, es ist halbdunkel, und merkwürdigerweise weiß sie, dass soeben jemand hinuntergehuscht ist, an ihr vorbei, wenn sie auch nichts gesehen hat. Und sie ist nicht im geringsten überrascht, dass auf der Bühne statt ihres Partners ein anderer steht: man weiß schon, wer. Sie spielt wahnsinnig aufgepeitscht, wie vor einer Katastrophe, wie um das Leben. Man sagte, dass sie gut sei. Hinter der Szene trifft sie den Direktor, der klatscht. Sie fragt ihn: „Warum haben Sie mir denn im letzten Auftritt einen anderen Partner hingestellt?“ Und er ganz verblüfft: „Einen anderen?“ worauf sie macht, dass sie fortkommt.“

      Der Unbekannte stand auf. „Da wäre wohl mancher gelaufen. Ich selbst, nachdem ich Ihnen alle diese Märchen aufgetischt habe, weiß nichts anderes mehr, als das Weite zu suchen. Leben Sie wohl!“

      „Einen Augenblick!“ Cromer trat drohend auf ihn zu. „So schließt die Geschichte nicht.“

      Da sah er, dass durch die Brillengläser des Unbekannten eine Flamme stach.

      „Möglich, dass sie nicht so schließt. Die schöne und berühmte Künstlerin fiel gewiss, je schöner und berühmter sie war, um so unrettbarer in die Macht jenes Unbekannten. Das sind Affären, zu denen kein Blick mehr reicht.“

      Und er ging. Cromer kam ihm zuvor, stieß die Tür auf und überraschte dahinter seinen Diener. „Geleiten Sie den Herrn hinaus,“ sagte Cromer; aber der junge Mensch blinzelte fragend, rührte sich nicht und sah nicht einmal hin, als der Besucher vorüberkam. Cromer selbst öffnete ihm das Haus und auch draußen blieb er dicht hinter ihm.

      „Liebliche Nacht,“ sagte der Unbekannte. „Man durcheilt sie, war da und kehrt nie wieder. Aber ich habe nun doch auf Ihrem Stuhl gesessen; und von jetzt an, so oft Sie in Ihrem Zimmer jenes Bild wiederfinden —. Ah! Niemand hat das Recht, zu glauben, dass die Menschen nur aneinander vorbeistreifen und nichts sei geschehen.“

      Damit stieg er spinnenartig aus der Gartenpforte. Vor Cromer hielt er sie zu. „Ich höre meinen Zug schon. Wenn Ihr Haus zum Verkauf steht, sehen Sie mich wieder.“ Und er verschwand im Schatten. Cromer ging schnell zurück, um nach dem Polizeipräsidium zu telefonieren, man möge das Individuum im Bahnhof erwarten. In der Nähe des Hauses zögerte er, er überlegte, dass nichts Greifbares vorliege; im Grunde aber wusste er wohl, dass er gar nicht gewillt sei, einzugreifen in die Vorgänge um ihn her, nicht fähig, das Geheimnis, das heranwuchs, vor der Zeit zu zerreißen. Die Terrasse ward soeben beleuchtet; der Diener hatte den Tisch gedeckt und stand eifrig wartend. Cromer ging hinauf. „Philipp, warum haben Sie den Herrn unangemeldet eintreten lassen? . . . Nun?“

      „Welchen Herrn meinen der Herr?“

      „Den, der soeben mit mir fortging.“

      „Ich habe niemand mit dem Herrn fortgehen gesehen.“

      „Sie haben niemand gesehen?“

      „Nein.“

      Cromer sah ihm in die Augen. Der Diener blinzelte fragend wie je. Da sein Herr mit der Hand andeutete, die Sache sei erledigt, ging er voll Beflissenheit an das Servieren.

      Cromer suchte alsbald wieder sein Zimmer auf. Er nahm den Brief vom Tisch, ihren letzten und traf mit dem ersten Blick die Stelle, bei der er unterbrochen worden war. „Er sieht aus wie eine Spinne, und so unheimlich und unentrinnbar gebärdet er sich auch . . . Natürlich klingt dies, von mir gesprochen, lächerlich. Nicht wahr, Lieber, was ist unentrinnbar für unsereinen. Meine Nerven, die neugierig sind, machen sich Erlebnisse vor, mit denen mein bisschen Wirklichkeit nichts zu schaffen hat. Ich spiele; und mir geschieht nur, was ich will . . . Um zu dem bewussten Herrn zurückzukehren, so soll er verschuldet

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