Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg

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nicht die Mandate der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, und es verhinderte nicht die Wahlagitation der Sozialdemokratie. So blieb die sozialdemokratische Partei, auch ohne formelle sozialistische Vereine und Zeitungen, durch den persönlichen Zusammenhalt der Arbeiter in den Betrieben bestehen, und alle drei Jahre bei den Reichstagswahlen trat die Partei wieder an die Öffentlichkeit. So hart das Sozialistengesetz auch viele einzelne traf, war es im ganzen gesehen viel mehr Schikane als Unterdrückung.

      Auch in der Verfolgungszeit von 1878 bis 1890 hat die Sozialdemokratie sich von Gewalttätigkeiten streng ferngehalten. Da außerdem ihr Wachstum in mäßigen Grenzen blieb, hielt Bismarck so lange eine Verschärfung des Kampfes gegen die Sozialdemokraten nicht für erforderlich. Erst die Reichstagswahlen von 1890 schufen eine neue Situation: Die sozialistische Stimmenzahl stieg mit einem Ruck von dreiviertel Millionen auf anderthalb Millionen. Damit war das System Bismarcks in seiner Grundlage erschüttert. Zu der Millionenbewegung des Zentrums, die Bismarck nach wie vor als seinem System feindlich betrachtete, kam nun noch das Millionenheer der Sozialdemokraten. Wenn man dazu die Oppositionsgruppen der Polen, Weifen, Elsässer und Dänen rechnete, so hatten sich mitten im Frieden, bei der ausgezeichneten außenpolitischen und wirtschaftlichen Lage des Reichs, vierzig Prozent der Bevölkerung gegen das Reich Bismarcks erklärt. Was sollte dann erst bei einer ernsten Krise werden? Damit war die Reichsschöpfung von 1871 in Frage gestellt, und es begann ein Kampf auf Leben und Tod17.

      Von Bismarcks Standpunkt aus war eine solche Beurteilung der Lage von 1890 durchaus logisch und konsequent: Das Kaiserreich von 1871 mußte entweder die politische Arbeiterbewegung zertreten, oder es mußte untergehen. Ein Drittes war nicht möglich. Denn bei jedem Versuch eines Kompromisses kam zunächst das Bürgertum ans Ruder, und damit war die Verfassung von 1871 aus den Angeln gehoben. Mit den christlich-sozialen Methoden Stöckers war selbstverständlich die Arbeiterfrage in Deutschland auch nicht zu lösen. Darin hatte Bismarck ganz recht: Das klassenbewußte sozialistische Proletariat ließ sich mit Bibelsprüchen und ein paar Sozialgesetzen nicht zu treuen Anhängern des preußischen Staatssystems umwandeln. Und die Zentrumsarbeiter standen im Grunde dem herrschenden System Preußen-Deutschlands genauso fremd gegenüber wie die Sozialdemokraten. Wer die Situation von 1890 in allen ihren Konsequenzen durchdenkt, hat damit die historische Notwendigkeit der Revolution von 1918 schon begriffen.

      Was Bismarck im einzelnen gegen die Sozialdemokraten getan hätte, wenn er nach 1890 im Amt geblieben wäre, läßt sich heute nicht mehr ausmalen. Er hätte vielleicht das Sozialistengesetz verschärft, um die sozialdemokratischen Wahlstimmen und Mandate zu annullieren18. Zu einer gewaltsamen Erhebung der Arbeiterschaft wäre es auch nach einem solchen Gewaltstreich der Regierung schwerlich gekommen. Für ein paar Jahre hätte Bismarck sich durchsetzen können. Er hätte die Sozialdemokratie von der öffentlichen politischen Tätigkeit verdrängt und dem Zentrum durch den Wegfall der sozialdemokratischen Fraktion die ausschlaggebende Stellung im Reichstag genommen. Auf die Dauer wäre aber damit in Deutschland die Atmosphäre des russischen Zarismus geschaffen und die Revolution nur beschleunigt worden.

      Bei der Unfertigkeit der innerpolitischen Zustände Deutschlands und bei den schweren Gefahren, die das Reich von innen bedrohten, war für Bismarck eine unbedingte Friedenspolitik nach 1871 geradezu ein Dogma. Irgendwelche Eroberungswünsche auf dem europäischen Festland hatte Bismarck nach 1871 nicht. Die Annexion weiterer fremdsprachiger Gebiete hielt er für ein Übel. Die Vereinigung Deutschösterreichs mit Deutschland hätte die katholische Minderheit im Reiche derartig gestärkt, daß dadurch das Gleichgewicht, das Bismarck wollte, erschüttert worden wäre. Kolonialen überseeischen Erwerbungen war Bismarck nicht abgeneigt. Koloniale Erwerbungen im weiten Umfang sind ihm ohne Krieg mit einer europäischen Großmacht gelungen. Deutschland fand auf diesem Wege den Widerstand Englands. Bismarck war aber der Ansicht, daß man England zurückdrängen und zu Konzessionen auf überseeischem Gebiet nötigen könne, wenn es sich einer Einheitsfront des europäischen Festlandes gegenübersieht.

      Für solche Auseinandersetzungen mit England brauchte Bismarck die Hilfe Frankreichs, ja sogar eines starken Frankreichs19. Bismarck hielt eine weitere Schwächung Frankreichs über das Maß von 1871 hinaus für eine Schädigung deutscher Interessen. Freilich mußte die Ausspielung Frankreichs gegen England mit Vorsicht erfolgen. Bismarck glaubte nicht, daß Frankreich sich in absehbarer Zeit mit dem Verlust Elsaß-Lothringens abfinden würde. Falls Deutschland mit einer anderen Großmacht in Krieg gerate, sei ohne weiteres damit zu rechnen, daß Frankreich den Krieg gegen Deutschland mitmache. Bismarck ließ deshalb die koloniale Auseinandersetzung mit England nie so weit gehen, daß daraus die Gefahr eines Bruchs entstand. Auch wenn Frankreich die diplomatische Aktion Deutschlands gegen England erst mitmachte, war beim Eintreten der Krise damit zu rechnen, daß Frankreich plötzlich auf die andere Seite schwenkte.

      So vorsichtig war Bismarck, selbst wenn er in kolonialen und überseeischen Fragen gemeinsam mit Frankreich und Rußland gegen England operierte! Eine koloniale Aktion Deutschlands gegen den Willen Englands und Frankreichs durchzufechten, hätte Bismarck für wahnsinnig gehalten. Ohne sich, über die Stimmung des französischen Bürgertums Illusionen hinzugeben, tat Bismarck alles, um die deutschfranzösischen Beziehungen zu verbessern. Er unterstützte in keiner Weise die Pläne eines monarchischen Staatsstreichs in Frankreich. Denn er hielt die bürgerliche Republik in Paris immer noch für friedfertiger als eine klerikale Monarchie oder eine bonapartistische Diktatur. Bismarck förderte alle außenpolitischen Wünsche der französischen Regierung, soweit es nur irgend möglich war, und ganz besonders auf kolonialem Gebiet. Je mehr sich Frankreich in Marokko20 und in China engagierte, um so mehr wurde es von Elsaß-Lothringen und von der Revanche abgelenkt.

      Neben Frankreich waren mögliche Gegner Deutschlands zu Lande Rußland und Österreich-Ungarn. Die Hauptaufgabe deutscher Politik bestand nach Bismarck darin, zu verhindern, daß Deutschland isoliert in einen Krieg mit mehreren Großmächten geriet. Das Deutsche Reich war militärisch einem einzelnen Gegner durchaus gewachsen. Aber ein Krieg mit zwei oder gar noch mehr Großmächten mußte eine verzweifelte Lage heraufbeschwören. Die natürliche außenpolitische Anlehnung war ursprünglich für Bismarck die Verständigung mit Rußland. Das war die Fortsetzung der Tradition Preußens vor 1871. Nur dank der russischen Freundschaft hatte Preußen die Kriege mit Österreich und Frankreich überhaupt führen können. Zwischen dem Deutschen Reich und Rußland gab es keine ernsten politischen Differenzen. Dazu kam die Gemeinsamkeit der monarchisch-konservativen Interessen und des Gegensatzes gegen die katholisch-polnische Tendenz. Im Bunde mit Rußland konnte Deutschland einer Revanchekombination Frankreich-Österreich ruhig entgegensehen. Wenn aber Österreich es vorzog, unter die Ereignisse von 1866 den Schlußstrich zu setzen und sich dem konservativen Block Deutschland-Rußland anzuschließen, dann war ein solches Drei-Kaiser-Bündnis die beste Friedensgarantie, die Bismarck sich wünschen konnte.

      Indessen zwangen die Erfahrungen von 1875/79 Bismarck dazu, sein Vertrauen zur russischen Stütze stark zu mindern. Die russische Politik, geleitet vom Fürsten Gortschakow, erkannte die Zwangslage, in der das Deutsche Reich sich befand. Fürst Gortschakow verlangte von Bismarck die unbedingte Unterstützung der russischen Eroberungspolitik im Orient bis zum Risiko eines Krieges mit Österreich und England. Weigerte sich aber Deutschland, ein solches Abenteuer mitzumachen, so drohte Rußland ziemlich offen, im Bunde mit Frankreich, ja sogar vielleicht mit Österreich und England, über Deutschland herzufallen. Denn Rußland konnte damals seine traditionellen Orientpläne auf doppelte Art verwirklichen: Entweder durch direkten Krieg gegen seine orientalischen Rivalen, wobei Deutschland ihm den Rücken deckte, oder aber als Führer einer siegreichen europäischen Koalition gegen Deutschland. Im letzteren Fall konnte Rußland als Schiedsrichter Europas für sich die Grenzen auf dem Balkan nach Belieben ziehen. Die ersten Anfänge der Ententekombination liegen in diesen siebziger Jahren, als auf der einen Seite Gortschakow Verbindung mit Frankreich suchte und auf der anderen Seite Gladstone bereit war, die Orientfrage gemeinsam mit Rußland zu lösen.

      Um die gefährliche Abhängigkeit von Rußland zu überwinden, machte Bismarck seit 1879 das Bündnis mit Österreich zur Grundlage seiner Politik. Aber Bismarck hütete sich, deshalb den Draht mit

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