Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg

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abzuwehren und die traditionelle Staatsordnung zu verteidigen. So argumentierten das Offizierskorps, der preußische Großgrundbesitz und die Industrie.

      Völlig entgegengesetzt waren die Kriegsziele der sozialdemokratischen Arbeiterschaft. Aus den oben erwähnten Gründen waren die Arbeiter von tiefem Mißtrauen gegen die herrschenden Schichten erfüllt und von dem Willen, so schnell wie möglich den Krieg zu beenden. Die Massen hatten den Eindruck, daß der Krieg den höheren Offizieren in den Stäben und den Großindustriellen gar nicht unangenehm sei. Nun hörten sie noch, daß diese selben regierenden Kreise große Eroberungspläne hegten. Sie hörten ferner die optimistische amtliche Auffassung der Kriegslage. Die Angriffe der Feinde auf Deutschlands Existenz waren überall zurückgeschlagen. Die deutschen Truppen standen überall in Feindesland. War es da nicht möglich, einen Frieden der Verständigung, ohne Eroberungen, jederzeit zu erhalten? Waren nicht die Eroberungspläne der regierenden Klassen das Haupthindernis des Friedens? Wenn führende Konservative und Alldeutsche erklärten, daß Deutschland einen sogenannten Verständigungsfrieden gar nicht annehmen dürfe und auf dem Siegfrieden bestehen müsse, so sahen die sozialdemokratischen Arbeiter darin die Bestätigung ihres Verdachts21. Dieselben Männer, von denen das Proletariat politisch, wirtschaftlich und im Heere gedrückt würde, seien auch die Kriegsverlängerer. Sie müsse man unschädlich machen, um so das Elend zu beenden. So belebte die Losung: »Gegen die Alldeutschen und Annexionisten« den Klassenkampfgeist der Arbeiter. Das war die Formel, mit der das Proletariat die Fesseln des Burgfriedens durchbrach und den politischen Machtkampf wieder aufnahm. Denn die »Annexionisten«, das waren in den Augen der sozialdemokratischen Arbeiter die herrschenden Schichten des kaiserlichen Deutschlands. Wenn man die »Annexionisten« niederschlug, dann gewannen die sozialdemokratischen Arbeiter das Übergewicht in Deutschland.

      Das leidenschaftliche Verlangen der Arbeitermassen nach Kampf gegen jeglichen Annexionismus hätte eigentlich die sozialdemokratische Parteileitung in eine schwierige Lage bringen müssen. Die Sozialdemokratie hatte zwar nach Kriegsbeginn eine selbständige politische Initiative im Sinne von Engels nicht ergriffen. Aber sie hielt trotzdem im Sinne der Tradition von Marx und Engels an der Niederwerfung des Zarismus als einem wünschenswerten Kriegsziel fest. Ebenso war die sozialdemokratische Parteileitung damit einverstanden, daß durch die deutschen Siege im Osten die von Rußland unterdrückten Völker, vor allem die Polen, »befreit« wurden. Politisch hätte es klar sein müssen, daß das kaiserliche aristokratische Deutschland die Ostvölker gar nicht »befreien« konnte. Ein durch die Siege der kaiserlichen Armee »befreites« Polen, Litauen und Kurland konnte weiter nichts werden als ein Vasallenstaat der deutschen Aristokratie und der deutschen Industrie. Wenn also die Sozialdemokraten die Formel »keine Annexionen und Verständigungsfriede auf Grundlage des Status quo« aufnahmen, so hätte diese Losung für den Osten genauso gelten müssen wie für den Westen. Aber um ihr Kriegsziel vom 4. August, den Kampf gegen den Zarismus nicht ganz preiszugeben, blieb die Sozialdemokratie hier inkonsequent. Sie bekämpfte zwar alle Pläne eines offenen und versteckten deutschen Annexionismus in Belgien und Nordfrankreich. Sie hatte aber keine ernsten Einwendungen dagegen, daß Deutschland in Kurland, Polen und Litauen auf Kosten Rußlands neue Staaten gründete. Die Sozialdemokratie verlangte zwar, daß in diesen »befreiten« Ländern auch wirklich das Selbstbestimmungsrecht der Völker zur Geltung käme22. Aber für die reale Politik war das bedeutungslos.

      Es ist bemerkenswert, daß die Arbeitermassen Deutschlands zwar jeden mit ungeheuerer Verbitterung verfolgten, der für die Annexion Belgiens und besonders der flandrischen Küste eintrat, daß sie aber gegen die östlichen Eroberungspläne kaum etwas einwandten. Die Massen waren nämlich gar nicht an sich gegen eine Machterweiterung Deutschlands, sondern sie waren nur gegen die Annexionen, sofern sie den Krieg verlängerten. Das ist auch ganz natürlich: Warum sollten die Arbeitermassen die politischen Grenzen Europas, so wie sie im Juli 1914 bestanden, als Werk von tausend diplomatischen Zufällen, heilig halten? Aber die Massen wehrten sich dagegen, das Kriegselend weiter zu tragen, damit nach ihrer Meinung ein paar Industrielle in Belgien Extrageschäfte machen konnten. Die deutschen Volksmassen hielten Rußland für ziemlich besiegt. Die stärksten und gefährlichsten Feinde Deutschlands seien England und Frankreich, also müsse man ihnen Zugeständnisse machen, um zum Frieden zu kommen. England habe erklärt, daß es zur Verteidigung Belgiens in den Krieg gehe, und die unbedingte Wiederherstellung Belgiens sei ein Hauptkriegsziel der Engländer. Also müsse Deutschland vor allem Belgien wieder aufgeben, und die annexionistischen Kriegsverlängerer, die das hinderten, müsse man unschädlich machen. Das alles war psychologisch, vom Standpunkt des deutschen Arbeiters im Kriege aus, durchaus begreiflich. Aber objektiv war es falsch; denn der Weg zum schnellen Frieden für Deutschland führte nicht über Angebote an England, sondern über eine Verständigung mit Rußland.

      Von den mittleren Parteien war das Zentrum in dem Kriegszielstreit nicht einheitlich. Die konservative Führergruppe suchte auch hier Anschluß an die Rechtsparteien. Die christlichen Gewerkschaften wollten den »Verständigungsfrieden«, so wie die Sozialdemokratie. Die Kaufmannschaft in den Großstädten hatte gegen eine Machterweiterung Deutschlands nichts einzuwenden. Aber man suchte sie auf der Linie des geringsten feindlichen Widerstandes, durch Gründung neuer Staaten im Osten und durch Ausbau des Systems Berlin-Bagdad23. Man hoffte, daß das Kriegsbündnis Deutschlands mit Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei eine dauernde politisch-wirtschaftliche Verbindung dieser Staaten herbeiführen würde. Dabei hätten die Verbündeten sich der deutschen Führung fügen müssen. Dieser Plan, wie ihn vor allem der fortschrittliche Führer Friedrich Naumann vertrat, war utopisch, weil weder das Habsburgerreich noch die Balkanvölker, noch die Türkei sich einer solchen deutschen Vorherrschaft unterworfen hätten.

      Objektiv war dies der größte Annexionsplan, der in Deutschland während des Krieges entstanden ist; denn dadurch wären auswärtige Gebiete mit fast hundert Millionen Einwohnern politisch und wirtschaftlich von Deutschland unterjocht worden. Die englischen und amerikanischen Staatsmänner haben diesen Plan auch so gewertet. Aber innerpolitisch hat er die Geister in Deutschland kaum erregt, denn als eigentliche »Annexionen« empfanden die Massen nur die schwerindustriellen und militärischen Pläne in bezug auf Belgien und Nordfrankreich. An den speziell industriellen Kriegszielen hatten die kaufmännischen Kreise und die Fortschrittspartei kein Interesse. Die breiten Schichten der Landbevölkerung Deutschlands wollten, wie die Arbeiter, eine möglichst schnelle Beendigung des Krieges, ohne dabei bestimmte Parolen zu formulieren.

      Dem Reichskanzler von Bethmann-Hollweg war der in den Jahren 1915 und 1916 immer stärker anschwellende Kriegszielstreit sehr unangenehm, weil er die Regierung zu einem Heraustreten aus ihrer Zurückhaltung und zur Stellungnahme im Streit der Parteien und Klassen nötigte. Das hielt Bethmann-Hollweg für eine schwere Schädigung des Burgfriedens. Mit Hilfe der Zensur suchte er die Kriegszieldiskussion im Volke abzuwürgen. Das machte das Übel noch schlimmer. Denn alle Schichten des Volkes wollten sich darüber klarwerden, wozu der Krieg geführt wurde und welches Ziel er haben könnte. Durch die Methode Bethmann-Hollwegs wurde die Kriegszieldiskussion hinter die Kulissen und in interne Kreise verlegt, was die Selbstverständigung des deutschen Volkes noch schwerer machte, als sie schon an sich war. Bethmann-Hollweg sah die Kriegslage Deutschlands ernst und pessimistisch an. Der Generalstabschef von Falkenhayn stimmte im Grunde darin mit ihm überein. Bethmann hätte mit einem Schlage die annexionistische Propaganda in Deutschland töten können, wenn er einen amtlichen, wahrheitsgetreuen Artikel über die Kriegslage, möglichst gedeckt durch die Autorität des Generalstabs, an die Presse gegeben hätte. Aber einen solchen Schritt tat Bethmann nicht, um nicht den Willen des Volkes zum »Durchhalten« zu schwächen.

      Anstatt daß die Regierung mit einem klaren Kriegs- und Friedensprogramm an die Öffentlichkeit getreten wäre und so die politische Führung an sich gerissen hätte, gefiel sich Bethmann-Hollweg in Zweideutigkeiten. Er wollte die Konservativen und Nationalliberalen nicht verletzen, aber die Sozialdemokraten konnten die Kanzlerworte auch in ihrem Sinne auslegen. Die eigenen Kriegsziele Bethmann-Hollwegs waren ein Gemisch aus den Forderungen sämtlicher Richtungen24. Er gab jedem etwas und glaubte, so die Einigkeit des Volkes wiederherzustellen und die innere Krise zu besänftigen. Am entschiedensten legte Bethmann-Hollweg sich nach Osten hin

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