Die Alpen. Werner Bätzing

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Die Alpen - Werner Bätzing

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Bilder und Texte wahrnimmt und bewertet. Damit ist keineswegs die Absicht verbunden, die vertrauten Bilder zu zerstören, sondern das Bewusstwerden der damit verbundenen Werte und Normen bereichert das Erleben der Alpen und erleichtert die zahlreichen, wichtigen Diskussionen um ihre Zukunft.

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      8 Auch hier stehen sich nutzungsfeindliche und nutzungsgeeignete Gebiete auf kleinräumige Weise gegenüber: Der breite, gletscherbedeckte Gipfel des Wildstrubels, 3243 m (Berner Alpen), und die weichen Hänge des Saanenlandes (September 2006). Diese Situation wird in den drei klassischen Alpenbildern jeweils sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet.

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      9 Blick vom Monte Matto, 3088 m, in die zentralen Seealpen bei hochsommerlicher Quellbewölkung; ein plötzliches Sommergewitter ist hier jederzeit möglich (August 1983).

      Die schrecklichen Alpen

      Die Alpen sind – mit Ausnahme der kleinen Pyrenäen – das einzige Hochgebirge in Europa, und vergleichbare Gebirge gibt es nur noch an den äußersten Peripherien Europas (Kaukasus, Nordskandinavien, Island). Gleichzeitig liegen die Alpen im Zentrum Europas mitten zwischen fruchtbaren und sehr früh besiedelten Regionen, deren Bewohner die fernen und irreal erscheinenden schnee- und eisbedeckten Berge fast täglich vor Augen haben. Deswegen spielt diese fremde Landschaft in der europäischen Kulturgeschichte schon früh eine herausgehobene Rolle.

      Die Alpen wirken mit ihrem steilen Relief und der langen Dauer der Schneedecke auf die Bewohner des Umlandes spontan feindlich und bedrohlich. Römische Schriftsteller entwickeln daraus dann kurz nach Christi Geburt in Städten der Po-Ebene das Bild der Alpen als „montes horribiles“, der schrecklichen Berge, und machen daraus einen literarischen Topos, der ganz Europa bis ins 18. Jahrhundert prägt.

      Dieses Bild ist zwar heute Vergangenheit, aber es ist noch so stark im kollektiven Bewusstsein verankert, dass es schnell aktualisiert werden kann. Jeder Bergsteiger kennt das Gefühl, das sich bei einem plötzlichen Wetterumschwung im Hochgebirge einstellt: Gerade eben genoss man noch die schöne Landschaft im Sonnenschein, dann aber zieht sich der Himmel schnell zu, es beginnt zu graupeln und zu schneien, Wege, Wiesen und Felsen werden glatt und rutschig – und auf einmal wirkt die Landschaft, die eben noch so schön war, nur noch bedrohlich, feindlich und hässlich. Und mit der Angst sind die „montes horribiles“ sofort wieder präsent.

      Das von den Römern entworfene Alpenbild geht davon aus, dass die Alpen überall nutzungsfeindlich und gefährlich seien. Die dort lebenden Menschen gelten als „Barbaren“, die eher wie Tiere als wie Menschen lebten und denen das fehle, worauf die Römer so stolz sind, nämlich eine „Kultur“ im Sinne einer städtisch geprägten Hochkultur.

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      10 Stich von Johann Melchior Süßlinus aus dem Jahr 1716, der die schrecklichen Alpen zeigt. Im Vordergrund sind bereits erste Hinweise auf die beginnende wissenschaftliche Analyse der Alpen zu sehen.

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      11 Stich von David Herrliberger „Schnee-Lauwen … wie sich dieselbigen ab gächstotzigen Gebirgen fast senkrecht herunterstürzen“ aus dem Jahr 1756.

      Das Bild der Alpen als „montes horribiles“ ist bereits zur Zeit seiner Entstehung ein Zerrbild: Die Alpen sind schon damals seit 5000 Jahren dauerhaft besiedelt, und die Alpenbewohner haben mit großen kulturellen Leistungen und viel Arbeit die Alpen von einer Naturlandschaft zu einem Lebens- und Wirtschaftsraum umgewandelt, von dem die römischen Städte regelmäßig eine Reihe von Lebensmitteln beziehen. Und die neuen Römerstraßen machen eine Durchquerung sogar relativ einfach und gefahrlos.

      Das Bild der schrecklichen Alpen ist also keineswegs realitätsnah, sondern es überzeichnet einen Aspekt der Alpennatur und gibt ihm eine absolute Bedeutung. Bild 11 zeigt dies sehr anschaulich: Die Darstellung einer Lawine als große Kugel, die von einer senkrechten Felswand direkt von oben auf ein kleines Dorf herabfällt und in der noch Bäume, Gebäude sowie eine Gämse stecken, ist ein beliebtes und oft wiederholtes Motiv, um die Schrecklichkeit der Alpen zu illustrieren. Aber jeder, der die Alpen nur etwas kennt, weiß, dass Lawinen keine Kugeln sind und erst recht nicht über senkrechte Felswände herabfallen. Das heißt nichts anderes, als dass solche Illustrationen in Städten außerhalb der Alpen entstehen und dass die Zeichner die Verhältnisse in den Alpen nicht kennen: Das Bild der Alpen im Kopf ist stärker als die Realität.

      So ist es kein Zufall, dass diese Darstellung der Lawine als Kugel heute noch verwendet wird, nämlich in Comic-Zeichnungen oder Karikaturen. Der erste Eindruck vieler Kinder in Europa von den Alpen wird stark durch solche Bilder geprägt.

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      12 Das Gestein der zentralen Seealpen – hier der Colletto di Valscura, 2520 m, zwischen Gesso- und Stura-Tal – besteht aus sehr langsam verwitternden Gneisen und Graniten mit geringer Bodenbildung, sodass der Ödlandanteil hier sehr hoch ist. Eine solche Landschaft wirkt – besonders bei schlechtem Wetter – abweisend und wenig „schön“. Daran ändert auch der Lago Malinvern, 2122 m, im Vordergrund wenig, weil an seinen Ufern alle einladenden Elemente fehlen. Auf diese Weise erhält auch ein Idealtopos der Idylle wie der Bergsee einen strengen Charakter (August 1999).

      Indem die vorindustriellen Gesellschaften in Europa ihre Angst vor der Natur aus ihrem eigenen Alltag verdrängen und sie auf die fernen Alpen projizieren, versuchen sie sie in den Griff zu bekommen. Insofern sind die „schrecklichen Alpen“ weniger eine Beschreibung der Alpen als vielmehr der Ausdruck der Angst der europäischen Gesellschaften vor der tagtäglichen Bedrohung durch die Natur. Da man diese Angst aber nicht bewältigen kann, wenn man sie bei sich selbst verleugnet und auf etwas Anderes, Fremdes überträgt, stellen die „montes horribiles“ zugleich das Symbol des Scheiterns dieser Angstbewältigung dar.

      Der Wandel von den schrecklichen zu den schönen Alpen lässt dann anschaulich sichtbar werden, wie die neu entstehende Industriegesellschaft mit dieser Angst umgeht: Die Natur stellt für sie keine wirkliche Gefahr, sondern nur noch eine spielerische oder sportliche Herausforderung dar. Damit glaubt die Industriegesellschaft, dass sie Natur technisch vollständig im Griff habe. Dennoch bleibt noch die Erinnerung an die frühere Gefahr im „Hintergrund“ erhalten, und diese verschwindet erst beim Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft endgültig.

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      13 und 14 Zwei Bilder von Mathias Gabriel Lory, dem Sohn (1784 – 1846), die auf idealtypische Weise die schönen Alpen zeigen: Links Eiger, Mönch und Jungfrau von der Mettlenalp aus, rechts der Staubbachfall mit Lauterbrunnen.

      Die schönen Alpen

      Die Wahrnehmung der Alpen als „schöner Landschaft“ ist für uns heute so selbstverständlich, dass wir sie mit „den Alpen“ identifizieren – die Alpen selbst sind doch schön! – und dass wir gar nicht mehr wahrnehmen, dass es sich dabei um eine Sichtweise handelt, die erst zwischen 1760 und 1780 entwickelt wird. Zuvor galten viele Jahrhunderte lang nur fruchtbare und ertragreiche Ackerfluren oder parkartige Weidelandschaften als schön, und nur solche Motive wurden von

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