Die Stimme. Bernhard Richter
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Die äußeren Muskeln – im angloamerikanischen Sprachgebrauch als cricothyroid bezeichnet und deswegen häufig als CT abgekürzt – sind zur Modifikation der Spannung und Länge der Stimmlippen geeignet und sind am Singevorgang in die Höhe beteiligt.
Die für die Phonation bedeutsamen inneren Muskeln des Larynx sind zum einen die Muskeln in der Stimmlippe (sog. Internus). Anatomisch bilden sie scheinbar eine Einheit, funktionell sind jedoch mehrere Muskelstränge voneinander abzugrenzen: M. vocalis als zur Glottis medial liegender Anteil und M. thyreoarytaenoideus (TA) als seitlich liegender externer Anteil. Die Muskeln ziehen paarig von der vorderen Komissur an der Innenfläche des Schildknorpels zu den Processus vocales der Stellknorpel (Abb. 31).
Abb. 29: M. cricothyroideus (CT)
Abb. 30: Bei Anspannung der Mm. cricothyreoidei: Kippbewegung des Ringknorpels gegen den Schildknorpel und Erhöhung der Länge und Spannung der Stimmlippe
Die Muskelstränge sind dabei nicht streng parallel angeordnet, sondern zeigen ein zopfartiges Muster. In Inspirationsstellung, d. h. bei geöffneter Glottis, liegen beide Anteile weitgehend parallel nebeneinander. In Phonationsstellung, d. h. bei geschlossener Glottis, kommt es infolge der Einwärtsbewegung des Stellknorpels zur Überkreuzung der Muskelstränge, ein Vorgang, der zum festen Glottisschluss beiträgt. Diese Muskelstränge in der Stimmlippe dienen hauptsächlich der Längen- und Spannungsregulierung der Stimmlippe.
Abb. 31: Internus mit verschiedenen Anteilen
Die beiden weiteren für die Stimmgebung bedeutsamen inneren Kehlkopfmuskeln setzen am Processus muscularis der Stellknorpel an. Es sind dies der M. cricoarytaenoideus lateralis (sog. Lateralis) (vgl. Abb. 28 a/b) und der M. cricoarytaenoideus posterior (sog. Posticus) (Abb. 32, S. 48). Diese beiden Muskeln wirken bei Aktivierung gegenläufig (antagonistisch): Während der Posticus der einzige Glottisöffner ist, indem er den Aryknorpel so bewegt, dass die Stimmlippen auseinander weichen, führt die Kontraktion des Lateralis durch eine Verlagerung des Aryknorpels in einer Kipp-Gleit-Bewegung in die Gegenrichtung zu einem Glottisschluss im sogenannten membranösen Anteil, d. h. der vorderen zwei Drittel der Stimmlippen zwischen Proc. vocalis des Aryknorpels und der vorderen Kommissur (Abb. 33, S. 48). In diesem membranösen Anteil findet die stimmhafte Tonbildung statt. Eine starke Aktivierung des Lateralis, auch als medial compression bezeichnet, führt zu einer Erhöhung des Stimmlippenschlusses (Abb. 34). Für eine dichte Tongebung, bei der keine Nebenluft zu hören ist, ist jedoch schon ein Schluss des membranösen Anteils ausreichend (Abb. 65 b, S. 73). An einem Schluss der Stimmlippe auf ihrer gesamten Länge, d. h. auch des hinteren Drittels der Stimmlippe, dem sogenannten intercartilaginären Teil (auch als Flüsterdreieck bezeichnet), sind zusätzlich auch die Mm. interarytaenoidei (obliquus et transversus) beteiligt (vgl. Abb. 28 b, S. 46), die jedoch nicht wesentlich für die Tonproduktion sind.
Abb. 32: Posticus
Abb. 33: Bewegungen der Aryknorpel: Gleiten und Drehen beim Öffnen und Schließen mit zugehörigen Funktionsbildern im Kehlkopfspiegel
Abb. 34: Schematische Darstellung der Funktionen der Kehlkopfmuskeln (nach Tillmann 2009)
Hinsichtlich der Funktion der oben beschriebenen Muskeln ist grundsätzlich bekannt, welche Wirkung eine Kontraktion des einzelnen Muskels für die grobe Mechanik im Kehlkopf haben kann. Die Muskeln werden dabei von zwei unterschiedlichen Anteilen des N. laryngeus innerviert: die äußeren (CT) vom N. laryngeus superior, die inneren (übrigen) vom N. laryngeus recurrens. Die Stimmlippen unterliegen nicht nur den deutlich sichtbaren Veränderungen ihrer Länge und Stellung im Kehlkopf, sondern sie können auch durch verschiedene Muskelgruppen (Mm. vocales, thyroarytaenoidei und cricothyroidei) in ihrer Spannung moduliert werden (Abb. 34). Ein Vorgang, der in der Stroboskopie anhand des veränderten Schwingungsablaufs erahnbar ist. Wir hören das klangliche Resultat und sehen in der Stroboskopie die aus der Summe der Muskelaktivitäten resultierende Konfiguration der Stimmlippen und der Glottis. Dies zeigen in Abbildung 35 a/b die beiden Bilder des Liedes DER MOND IST AUFGEGANGEN mit Längenänderungen und Unterschieden der Feinabstimmung pro Tonhöhe.
Abb. 35: DER MOND IST AUFGEGANGEN: unterschiedliche Länge und Spannung der Stimmlippen bei unterschiedlichen Tonhöhen auf den Silbe a) »ist« und b) »auf« bei einer Sopranistin
Wie die Feinabstimmung der Muskeln hinsichtlich Spannungs- und Längenregulierung untereinander jedoch beim Singen funktioniert, ist in einigen Singstimmfunktionen, z. B. hinsichtlich der Register, noch nicht genau geklärt. Es gibt wegen der auf S. 28 beschriebenen Limitationen nur sehr wenige wissenschaftliche Untersuchungen, welche sich mit der Aktivität der Muskeln in ihrer Feinabstimmung beschäftigen (Kochis-Jennings et al. 2012). Diese Untersuchungen ergeben bisher kein einheitliches Bild. Leider kann man als Künstler auch nicht selbst spüren, welcher Muskel in welchem Ausmaß aktiviert ist, da die Muskulatur des Larynx, ähnlich wie weite Teile der Atmungs- und Vokaltraktmuskulatur, beim Sprechen und Singen nicht der willkürlichen Steuerung unterliegt. Dass man diese willkürliche Kontrolle wesentlicher an der Stimmgebung beteiligter Muskeln nicht gezielt vornehmen kann, erschwert naturgemäß das Erlernen der für die Stimmgebung essenziellen Steuerungsvorgänge.
Aus stimmphysiologischer Sicht scheint es deswegen zum jetzigen Zeitpunkt ratsam, bis zur vollständigen wissenschaftlichen Aufklärung der muskulären Aktionen im Kehlkopf vorsichtig mit eindeutigen Zuordnungen einzelner Muskeln zu einem spezifischen Singevorgang zu sein. Dies steht ganz im Sinne Lichtenbergs, der in seinen »Sudelbüchern« formuliert:
»Nichts setzt dem Fortgang der Wissenschaft mehr Hindernis entgegen als wenn man zu wissen glaubt, was man noch nicht weiß. In diesen