In die unbegrenzte Weite. Karoline von Günderrode

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In die unbegrenzte Weite - Karoline von Günderrode Klassiker der Weltliteratur

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flieht ein Tag, ein Andrer kehret wieder;

      Stirbt eine Nacht, sinkt eine Neue nieder,

      Denn Tröstung gab Natur in jedem Schönen sich.

       Violetta

      Was ist denn Liebe, hat sie kein Bestehen?

       Narziß

      Die Liebe will nur wandlen, nicht vergehen;

      Betrachten will sie alles Trefliche.

      Hat sie dies Licht in einem Bild erkennet,

      Eilt sie zu Andern, wo es schöner brennet,

      Erjagen will sie das Vortrefliche.

       Violetta

      So will ich deine Lieb’ als Gast empfangen;

      Da sie entfliehet wie ein satt Verlangen,

      Vergönnt mein Herz Ihr keine Heimath mehr.

       Narziß

      O sieh den Frühling! gleicht er nicht der Liebe?

      Er lächelt wonnig, freundlich, und das trübe

      Gewölk des Winters, niemand schaut es mehr!

      Er ist nicht Gast, er herrscht in allen Dingen,

      Er küßt sie Alle, und ein neues Ringen

      Und Regen wird in allen Wesen wach.

      Auch andre Zonen soll sein Hauch erwarmen

      Auch Andern bringt er neuen, schönen Tag.

       Violetta

      Hast du die heil’ge Treue nie gekennet?

       Narziß

      Mir ist nicht Treue was ihr also nennet,

      Mir ist nicht treulos was euch treulos ist! –

      Wer den Moment des höchsten Lebens theilet;

      Vergessend nicht, in Liebe selig weilet;

      Beurtheilt noch, und noch berechnet, mißt;

      Den nenn’ ich treulos, ihm ist nicht zu trauen

      Sein kalt Bewußtseyn wird dich klar durchschauen

      Und deines Selbstvergessens Richter seyn.

      Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenstande

      Dem ich mich gebe in der Liebe Bande

      Wird Alles, wird mein ganzes Wesen seyn.

       Violetta

      Giebt’s keine Liebe denn die dich bezwinge?

       Narziß

      Ich liebe Menschen nicht, und nicht die Dinge,

      Ihr Schönes nur, und bin mir so getreu,

      Ja Untreu’ an mir selbst wär andre Treue,

      Bereitete mir Unmuth, Zwist und Reue,

      Mir bleibt nur so die Neigung immer frei.

      Die Harmonie der inneren Gestalten

      Zerstören nie die ordnenden Gewalten

      Die für Verderbniß nur die Noth erfand. –

      Drum laß mich, wie mich der Moment gebohren.

      In ew’gen Kreisen drehen sich die Horen;

      Die Sterne wandeln ohne festen Stand,

      Der Bach enteilt der Quelle, kehrt nicht wieder

      Der Strom des Lebens woget auf und nieder

      Und reisset mich in seinen Wirbeln fort.

      Sieh alles Leben! es ist kein Bestehen,

      Es ist ein ew’ges Wandern, Kommen, Gehen,

      Lebend’ger Wandel! buntes, reges Streben!

      O Strom! in dich ergießt sich all mein Leben!

      Dir stürz ich zu! vergesse Land und Port!

       Timur 3

      Ermar hatte das Geschlecht von Parimor vom Thron gestoßen, Parimor selber, sein Weib und seine Freunde waren gefallen unter dem Schwerte des Ueberwinders, nur Timur sein einziger Sohn fiel lebend in Ermars Hände. Ungern unterwarf sich das Land dem Sieger, der die Burg des unglücklichen Parimor an der Nordküste der Insel bezog; und die höchste Gewalt mit seinem Bruder, dem wilden Konnar theilte.

      Keiner von allen Freunden des gestürzten Königshauses wußte wo Timur sey, und ob er lebe? nur die Prophetin wußte es, die verschwiegne Seherin, die in einer Höhle am Eingang der Erde wohnte, sie sah die kommenden Schicksale, die Tiefen der menschlichen Brust, und des unglücklichen Timurs Ketten. Einsam lebte die Prophetin und verrichtete geheimnißvolle Werke, und von allen Sterblichen wußte nur Thia, die schöne Tochter von Ermar, ihre Wohnung. Die Seherin liebte das Mädchen, sie lehrte sie mancherlei Geheimnisse, und enthüllte ihr oft die Begebenheiten der Zukunft.

      Einst sprach die Prophetin zu der Tochter von Ermar: Mädchen! fürchte das Geschick deines Vaters, seine Unthat hat den Geist der Rache erweckt; sieh hierher! Und sie zeigte dem erschrocknen Mädchen in einem Spiegel ein tiefes Gefängniß der Burg, und in dem Gefängniß lag auf moderndem Stroh, ein Jüngling mit brennenden Augen, und dichten braunen Locken; Thia konnte ihre Augen nicht sättigen an dem Anblik des Gefangnen; aber die Seherin sprach: dies ist der König dieses Landes, er schmachtet in Ketten, und dein Vater trägt die Krone die ihm gebührt.

      Gedankenvoll eilte Thia zurück zu der väterlichen Burg, und suchte allenthalben nach einer Thüre die zu Timurs Kerker führen möchte. Im Nord war die Burg von rauhen Felsen umgeben, die bis zum Meere hinabreichten, in diesen Felsen entdeckte Thia zwischen Gesträusch und Nesseln versteckt, ein Gitter, das eine dunkle Tiefe verschloß; dies Gitter hatte sie in dem Zauberspiegel gesehen; und jeden Morgen ehe die Bewohner des Schlosses erwachten, und jeden Abend wenn die milde Dämmerung die Thaten der Liebe in ihre Schleyer verbarg, gieng sie dahin, setzte sich trauernd neben das Gitter, und seufzte: Timur! Timur! und ihr war als kämen liebe unsichtbare Arme aus dem Gitter herauf und hielten sie umschlungen, daß sie die Stelle nicht verlassen konnte, und es nicht achtete daß der rauhe Nachtwind sie umwehte, und der Thau des Himmels sie benetzte.

      Zwei

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