Weihnachtserzählungen. Charles Dickens

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Weihnachtserzählungen - Charles Dickens Literatur (Leinen)

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in See stachen: hunderterlei Figuren, die Scrooges Gedanken fesseln konnten; und doch kam dieses Gesicht Marleys, der schon sieben Jahre tot war, wie des alten Propheten Stab und verschlang das Ganze.

      Wenn jeder der blanken Ziegel zunächst leer, aber imstande gewesen wäre, aus den wirren Gedankenfetzen Scrooges irgendeine Abbildung auf seine Oberfläche zu zaubern, so wäre wohl auf jedem der Kopf des alten Marley erschienen.

      »Possen!« sagte Scrooge und schritt im Zimmer auf und nieder.

      Nachdem er dies mehrmals getan hatte, setzte er sich wieder. Als er den Kopf im Stuhl zurücklehnte, blieb sein Auge zufällig an einer Glocke hängen, einer abgegriffenen Glocke, die im Zimmer hing und zu einem längst vergessenen Zweck mit einer Kammer im obersten Stockwerk des Hauses in Verbindung stand. Zu seinem großen Erstaunen und mit seltsamer, unerklärlicher Angst gewahrte er beim Hinsehen, daß sie zu schwingen begann; erst schwang sie so sanft, daß sie kaum einen Ton von sich gab, bald aber schwoll sie laut an, und mit ihr klangen alle Glocken im Haus.

      Dies mochte eine halbe oder auch eine ganze Minute gedauert haben; ihm aber schien es eine Stunde zu sein. Die Glocken hörten zusammen auf, wie sie zusammen begonnen hatten. Ihnen folgte von tief unten herauf ein klirrendes Geräusch, als zöge jemand eine schwere Kette über die Fässer im Keller des Weinhändlers hin. Scrooge erinnerte sich, gehört zu haben, daß Gespenster in Spukhäusern immer Ketten schleppen sollen.

      Die Kellertür flog mit dumpfem Knall auf, und nun hörte er drunten im Hausflur den Lärm immer lauter werden, dann die Treppe heraufkommen und endlich gerade auf seine Tür zusteuern.

      »Immer noch Possen«, murmelte Scrooge. »Ich kann’s nicht glauben.«

      Dennoch wechselte er die Farbe, als »es« ohne Zögern durch die schwere Tür kam und vor seinen Augen das Zimmer betrat. Bei seinem Einzug flackerte die ersterbende Flamme auf, als riefe sie: Ich kenn ihn, Marleys Geist! und sank wieder zusammen.

      Ja, es war dasselbe Gesicht, ganz dasselbe: Marley mit seinem Zopf, wie gewöhnlich in Weste, engen Hosen und Schaftstiefeln; deren Quasten sträubten sich gleich dem Zopf, den Rockschößen und dem Haupthaar. Die Kette, die er nachschleppte, war um die Mitte seines Leibes geschlungen. Sie war lang, ringelte sich wie ein Schweif und war zusammengesetzt – Scrooge betrachtete sie nämlich genau – aus Geldkassetten, Schlüsseln, Vorlegschlössern, Hauptbüchern, Urkunden und schweren Börsen aus Stahldraht. Der Körper war durchsichtig, so daß Scrooge, als er ihn ins Auge faßte, durch seine Weste hindurch die beiden Knöpfe auf dem Rücken des Rockes sehen konnte.

      Scrooge hatte oft sagen hören, Marley habe kein Herz im Leibe, aber er hatte es bis jetzt nie geglaubt.

      Ja, er glaubte es nicht einmal jetzt. Obwohl er dem Gespenst durch und durch schauen konnte und es vor sich stehen sah, obwohl er sich von seinen Augen, die kalt wie der Tod waren, durchschauert fühlte und sogar das Gewebe des zusammengefalteten Taschentuchs bemerkte, das es um Kopf und Kinn geknüpft trug und das er vorher nicht an ihm bemerkt hatte, war er doch immer noch ungläubig und wehrte sich gegen seine eigenen Sinne.

      »Was gibt’s? –« rief Scrooge scharf und eisig wie immer. »Was hast du mit mir zu schaffen?«

      »Viel!« Marleys Stimme – ganz zweifellos.

      »Wer bist du?«

      »Frag lieber, wer ich war!«

      »Wer warst du also?« forschte Scrooge mit erhobener Stimme. »Du bist recht wunderlich – für ein Gespenst.« Er wollte schon sagen »als Gespenst«, setzte aber »für« ein, weil es ihm passender schien.

      »Zu Lebzeiten war ich dein Partner, Jakob Marley.«

      »Kannst du – kannst du dich setzen?« fragte Scrooge mit einem zweifelnden Blick.

      »Gewiß.«

      »So tu’s!«

      Scrooge stellte diese Frage, weil er nicht wußte, ob ein so durchsichtiges Gespenst imstande sei, einen Stuhl einzunehmen, und fühlte, daß seine etwaige Unfähigkeit eine sehr unangenehme Erklärung nötig mache. Aber der Geist nahm auf der entgegengesetzten Seite des Kamins Platz, als wäre er ganz daran gewöhnt.

      »Du glaubst nicht an mich!« bemerkte der Geist.

      »Nein«, antwortete Scrooge.

      »Welchen Beweis meiner Echtheit möchtest du haben außer dem Zeugnis deiner Sinne?«

      »Ich weiß es nicht«, erwiderte Scrooge.

      »Warum mißtraust du deinen Sinnen?«

      »Weil eine Kleinigkeit sie verwirren kann«, versetzte Scrooge. »Eine kleine Magenverstimmung macht sie zu Betrügern. Du kannst einen unverdauten Bissen Fleisch, ein wenig Senf, eine Käserinde, ein Stückchen halbrohe Kartoffel zum Ursprung haben. Was du auch seist – eher stammst du doch aus der Speisekammer als aus der Grabkammer!«

      Scrooge war nicht gewohnt, Witze zu machen, und fühlte sich auch jetzt keineswegs zum Scherzen aufgelegt. In Wahrheit versuchte er nur launig zu sein, um sich abzulenken und die Furcht niederzukämpfen. Denn die Stimme des Gespenstes durchwühlte ihm selbst das Mark in den Knochen.

      Nur einen Augenblick diesen starren, erloschenen Augen stumm gegenüberzusitzen würde ihn, das fühlte er, verrückt machen. Auch lag etwas Grauenhaftes darin, daß das Gespenst etwas wie Höllenluft um sich hatte. Scrooge fühlte sie zwar nicht selbst, aber es war sicherlich der Fall; denn obgleich der Geist vollkommen regungslos dasaß, wurden doch Haar, Quasten und Rockflügel wie von dem heißen Luftstrom eines Ofens stets bewegt.

      »Siehst du diesen Zahnstocher?« fragte Scrooge, indem er aus den eben genannten Gründen rasch wieder das Wort nahm, um, sei es auch nur für eine Sekunde, den eisigen Blick des Gespenstes von sich abzuwenden.

      »Ja«, versetzte der Geist.

      »Du blickst ja nicht darauf hin!« rief Scrooge.

      »Aber ich sehe ihn trotzdem«, versicherte der Geist.

      »Nun denn«, versetzte Scrooge, »ich brauche ihn nur zu verschlucken, um für den Rest meines Lebens von einer Legion von Kobolden verfolgt zu werden, die sämtlich meine eigenen Geschöpfe sind. Possen! sag ich dir, lauter Possen!«

      Bei diesen Worten stieß das Gespenst einen gräßlichen Schrei aus und rasselte mit seinen Ketten so greulich betäubend, daß sich Scrooge an seinem Stuhl festhalten mußte, um nicht in Ohnmacht zu sinken. Aber um wieviel größer ward noch sein Schrecken, als das Gespenst die Binde, die es um den Kopf trug, abnahm, als sei sie ihm im Zimmer zu warm, und sein Unterkiefer auf die Brust herabsank.

      Scrooge fiel auf die Knie nieder und schlug die Hände vors Gesicht.

      »Gnade!« rief er. »Schreckliche Erscheinung, warum quälst du mich?«

      »Mensch mit dem weltlichen Sinn!« versetzte der Geist, »glaubst du an mich oder nicht?«

      »Ich glaube«, rief Scrooge, »ich muß glauben. Aber warum wandeln Geister auf der Erde und warum kommen sie zu mir?«

      »Es wird von jedem Menschen gefordert«, antwortete das Gespenst, »daß seine Seele umherwandere unter den andern Menschen und große, weite Reisen tue; und macht er sie bei Lebzeiten nicht, so wird er verdammt, es nach dem Tod zu tun. Er ist verurteilt, durch die Welt zu wandern

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