Herrn Dames Aufzeichnungen. Franziska zu Reventlow
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Читать онлайн книгу Herrn Dames Aufzeichnungen - Franziska zu Reventlow страница 6
»Schon wieder ein Kreis?« frage ich.
»Ja, aber die Kreise berühren sich, dieser besteht nur aus wenigen und dreht sich etwas anders. Man beschäftigt sich dort damit, den Spuren des alten Heidentums nachzugehen – daher die Freude über Ihre harmlose Bemerkung. Und das grünliche Mädchen hatte wohl irgendeine symbolische Bedeutung.«
Der Philosoph hielt plötzlich inne – hinter uns klangen rasche Schritte, und es kamen ein paar Herren an uns vorbei. Zwei von ihnen waren indifferent aussehende junge Leute – der dritte, der zwischen ihnen ging, ein knapp mittelgroßer Mann mit niedrigem schwarzen Hut und einem dunklen Mantel, den er wie eine Art Toga umgeschlagen hatte – man konnte ihn auf den ersten Blick fast für einen Geistlichen halten. Er schien über irgend etwas sehr erregt und sprach eifrig auf seine Begleiter ein, in einem ganz eigentümlichen, monoton singenden Tonfall. Gerade als sie uns überholten, hörten wir ihn sagen:
»Ja – bis vor drei Jahren konnte man sie noch für zwei Mark auf jeder Dult finden, aber jetzt haben die Juden alle aufgekauft, und unter zehn Mark sind überhaupt keine mehr zu haben.«
Gegen Ende des Satzes ging seine Stimme allmählich mehr in die Höhe, und zum Schluß kam ein kurzes, schrilles Auflachen. Als er uns sah, machte er eine halbe Wendung seitwärts und grüßte den Philosophen. Deutlich sah ich in diesem Moment sein breites, glattrasiertes Gesicht mit auffallend hellen, leuchtenden Augen, das aber trotzdem etwas absolut Unbewegliches, beinah Starres hatte. Beim Grüßen verzog er den Mund zu einem äußerst konventionellen Lächeln, in der nächsten Sekunde aber nahm er wieder einen steinernen und völlig ablehnenden Ausdruck an und ging rasch mit kurzen, eiligen Schritten seines Weges.
Der Philosoph schien sich an dieser Begegnung und der aufgefangenen Bemerkung ungemein zu freuen:
»Lupus in fabula«, sagte er, »Sie haben wirklich Glück, Herr Dame; dieser Herr, der mich eben grüßte, ist – nun man könnte ihn wohl den geistigen Vater des Wahnmochinger Heidentums nennen – nein, nein – das ist in diesem Falle nicht richtig – er würde es sehr übelnehmen, wenn man ihn als Vater von irgend etwas bezeichnen wollte – denn gerade er ist der Hauptverfechter des matriarchalischen Prinzips.«
»Liebster Philosoph«, bat ich, »nun wird es mir schon wieder zu hoch.«
Übrigens dachte ich mir gleich, daß jener Herr ein gewisser Delius sein müßte, von dem Heinz mir viel erzählte.
Ja, es stimmte, und ich fand, es sei wirklich wieder ein sonderbares Spiel des Zufalls, daß wir ihm gerade bei diesem Gespräch begegneten, aber Sendt sagte, man träfe ihn sehr oft um diese Stunde, er liebe die Nacht und alles Dunkle.
»Dieser Delius – nun, er ist wohl eine sonderbare Erscheinung«, fuhr er dann fort, »die heutige Zeit, auf die wir alle mehr oder minder angewiesen sind, gilt ihm nichts, er ignoriert sie oder begegnet ihr wenigstens nur rein konventionell – etwa so, wie er mich vorhin grüßte. Sein eigentliches Leben spielt sich in längst versunkenen Daseinsformen ab, mit denen er sich und andere identifiziert. Passen Sie einmal gut auf, Herr Dame – wissen Sie ungefähr, was man sich unter Seelensubstanzen vorzustellen hat?«
Ich sagte, daß ich es mir wohl vorstellen könnte – es war ja neulich im Café schon davon die Rede.
»Schön – also Delius denkt sich nun diese Seelensubstanzen von den ältesten Zeiten her wie Gesteinschichten übereinander gelagert, etwa zuunterst die der alten Ägypter, Babylonier, Perser – dann die der Griechen, Römer, Germanen und so weiter. Man nennt das biotische Schichten. Seit der Völkerwanderung, meint er nun, habe sich alles verschoben, die Substanzen sind durcheinandergemischt und dadurch verdorben worden. Infolgedessen wirken bei den jetzigen Menschen lauter verschiedene Elemente gegeneinander, und es kommt nichts Gutes dabei heraus. Nur bei wenigen (und das sind natürlich die Auserlesenen) hat sich eine oder die andere Substanz in überwiegendem Maße erhalten – zum Beispiel bei ihm selbst die römische – er fühlt und empfindet durchaus als antiker Römer und würde Sie höchst befremdet anschauen, wenn Sie ihm sagten, er lebe doch im zwanzigsten Jahrhundert und sei in der Pfalz geboren. Denn seine Substanz ist eben römisch. Bei Heinz Kellermann und dessen Freunden dagegen herrscht die altgermanische vor, daher auch die stark betonte Vorliebe für Blonde und Langschädel.«
»Aber lieber Doktor, sagen Sie mir nur noch das eine: was hat das alles damit zu tun, daß dieser Stadtteil Wahnmoching heißt?«
»Herr Dame – denn Sie heißen ja wirklich so«, sagte der Philosoph, und ich konnte es ihm in diesem Augenblick nicht übelnehmen – »Wahnmoching heißt wohl ein Stadtteil, eben dieser Stadtteil, aber das ist nur ein zufälliger Umstand. Er könnte auch anders heißen oder umgetauft werden, Wahnmoching würde dennoch Wahnmoching bleiben. Wahnmoching im bildlichen Sinne geht weit über den Rahmen eines Stadtteils hinaus. Wahnmoching ist eine geistige Bewegung, ein Niveau, eine Richtung, ein Protest, ein neuer Kult oder vielmehr der Versuch, aus uralten Kulten wieder neue religiöse Möglichkeiten zu gewinnen – Wahnmoching ist noch vieles, vieles andere, und das werden Sie erst allmählich begreifen lernen. Aber für heute sei es des Guten genug, sonst möchte noch die aufgehende Sonne uns hier im Zwiegespräch überraschen.«
Damit trennten wir uns.
4
20. …
Mir fehlte etwas der Mut, zu diesem Jour zu gehen, aber Doktor Gerhard nahm mich mit. Ziemlich viele Leute, die sich in mehreren Räumen verteilten, die Frau des Hauses an einem gemütlichen Eckplatz hinter der Teemaschine, um die herum eine Anzahl junger Leute und Damen. Als wir eintraten, schwieg alles ein paar Minuten lang – ich merkte später, daß es jedesmal so war, wenn jemand Neues kam. Gerhard stellte mich vor und fügte statt meiner hinzu:
»Gnädige Frau, mein junger Freund heißt nämlich so.«
Frau Hofmann empfing mich sehr liebenswürdig – ihr Mann habe ihr schon von mir erzählt. Dann wandte sie sich an die anderen: »Denken Sie nur, Herr Dame wußte bis vor kurzem nicht, daß er in Wahnmoching wohnte.«
Man betrachtete mich, wie mir schien, mit verwundertem Wohlgefallen, und ich war durch diese Bemerkung gewissermaßen eingeführt. Ich langweilte mich etwas, denn da ich niemand kannte, mußte ich vorläufig auf meinem Platz sitzen bleiben und Tee trinken. Gerhard machte vor einem jungen Mädchen halt – neben ihr auf einem Tischchen stand ein grüner Frosch aus Porzellan oder Majolika – und sagte etwas wehmütig:
»Gnädiges Fräulein – Sie sollten eigentlich immer einen grünen Frosch neben sich sitzen haben.«
Dann ging er weiter von einer Gruppe zur anderen und sagte wahrscheinlich ähnliche Dinge, denn wo er hinkam, wurde es gleich etwas belebter.
Ich beneidete ihn im stillen um diese Gabe, denn ich konnte mich nicht recht in die Konversation hineinfinden.
Es war die Rede von Menschen im allgemeinen, von ihrem Wesen, und worauf es dabei ankäme. Der Professor sagte etwas überstürzt und definitiv:
»Auf