Abgesoffen - Die Milliardenlüge. Hajo Maier

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Abgesoffen - Die Milliardenlüge - Hajo Maier

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      So firmieren alle deutschen Vertriebsgesellschaften in einem mehr als bescheidenen, an ein größeres Wohnhaus erinnerndes Firmengebäude in der Nördlichen Münchner Straße 8 in Grünwald. Viele Anleger stellen sich, das ist aus den Gesprächen bekannt, eine völlig andere Größenordnung dieser Firmengruppe P&R vor. Milliarden aktiv verwaltetes Vermögen. Mehrere Gesellschaften. Hier muss jede Gesellschaft doch mindestens zwei eigene Stockwerke haben und eine Vielzahl an Fachleuten, um alles zu stemmen. Die Vorstellung der Frankfurter Hochfinanz. Aber weit gefehlt. Fünfundzwanzig bis dreißig Mitarbeiter gesamt, plus externer Vertrieb. Und das vor Jahren renovierte und erweitere Bürohäuslein platzt aus allen Nähten. Drei Firmenschilder der aktiven Vertriebsgesellschaften, plus später die vierte neue Gesellschaft plus die AG am Eingang. Acht Parkplätze. Weitere, damals schon existierende P&R Schatten-Gesellschaften, sind für die Öffentlichkeit nicht sichtbar.

      P&R wirkt wie ein großes Versicherungsbüro, eine Gebietsvertretung, eine Generalagentur vielleicht. Weit weg von der Außendarstellung der großen Investment-Unternehmen der Hochglanzfinanzwelt, der Börsen, der Kapitalmärkte, auch weit weg von einem großen Wettbewerber für Sachwertanlagen in Grünwald, der sich völlig anders, adäquat würde man sagen wollen, nach außen darstellt: Repräsentativer Firmensitz, modern, Glas, Stahl, großzügig, beidseitig der Hauptstraße am Ortsrand von Grünwald. Sehr viel mehr Mitarbeiter, die, wenn man sie einmal in der Mittagspause aus dem Gebäude laufen sieht, alle todschick angezogen wirken, einfach repräsentativ und näher an der Welt des Investmentbankings, wie man sie sich landläufig vorstellen mag.

      Bei P&R ticken die Uhren anders: Ja – die Jungs tragen grundsätzlich Anzüge, meist Krawatte, Seriös. Nicht schick. Die Frauen im Unternehmen P&R sind ausschließlich auf Sachbearbeitungs- und Verwaltungsebene beschäftigt. Weibliche Führungskräfte auf Augenhöhe? Niemals unter Feldkamp. Nie geschehen. Und nicht vorstellbar. In ganz normaler Alltagskleidung. P&R – wer jemals dort war – wirkt nicht schick. Nicht beeindruckend. Man kann die Milliarden weder sehen, noch spüren, noch riechen. Alles wirkt eher gewollt und nicht gekonnt: Die Art von Spießigkeit, die entsteht, wenn tiefste Provinz gerne kosmopolitisch erscheinen will.

      Das Geschäftsgebäude ist eben ein Versicherungswohnhaus: Keller, EG, OG. Komplett besetzt mit den fünfundzwanzig bis dreißig Angestellten, ein Besprechungsraum, ein Druckerraum im Keller und ein Archiv. Nach außen flache Hierarchien, nach innen aber erneut Zeichen und Symbolik: Der erste Stock ist, trotz Platzmangels, der Geschäftsführung vorbehalten. Ein gesamtes Stockwerk für Harald Roth, den Junior-Chef und Feldkamp plus Assistentin. Erdgeschoss und Souterrain mit Keller müssen sich alle anderen Mitarbeiter teilen. Alles recht schmucklos, ein wenig modernisiert, teure Büromöbel – dennoch wirkt alles einfach dörflich. Weit weg von einem Milliardenkonzern oder der klischeehaften Vorstellung davon. Interessant dabei auch die Standortwahl in Grünwald, dem Promi- und Millionärsvorort Münchens: Kleine Unternehmen mit zwanzig Firmenadressen auf dem Briefkasten – Immobilien, Projektentwicklung, Kapitalanlagen, Beteiligungen. Vor allem weit weg von den zentralen Hafen-Standorten in Deutschland, die man dem Containergeschäft zuordnen würde.

      Die gesamte Außenwirkung ist, bewusst gesteuert, auf Bescheidenheit und Bodenständigkeit ausgerichtet. Noch auffallender innerhalb Grünwalds, dem Millionärsvorort Münchens, dessen Sozialisation, so scheint es oberflächlich, nur besteht aus Fußballprofis des FC Bayern, Sugar Daddys mit ihren Brustimplantatgetunten jungen Gespielinnen im Maserati, steinreichen älteren Witwen mit dicken Perlenketten beim Mittagscafé, einem Edelitaliener mit Ferrari als VIP-Taxi. Andererseits als Ortschaft beschaulich, kreuzlangweilig, dörflich. Wenn wir einmal von den vielen Multi-Millionärsvillen absehen, die links und rechts der Hauptstraße auf ihren Parkgrundstücken hinter hohen Mauern eben nicht zu sehen sind. Gut. Jede Großstadt, wenn wir München einmal freundlich so nennen wollen, hat sein Grünwald.

      Diese Außendarstellung des P&R Imperiums jedoch ist wesentlich für den Erfolg bei den Kleinanlegern. Eine exzellent inszenierte Fassade. Die das gesamte komplexe monströse Firmengeflecht, wie es sich später darstellen wird, vor den Anlegern, vor der Presse und damit vor der Öffentlichkeit bewusst verbirgt. Es gibt, sichtbar, nur drei simple Vertriebsgesellschaften für drei Produkte. Und dann noch irgendeine Schweizer P&R. Schon das bescheidene, Wohnhaus-ähnliche Firmengebäude ist eine perfekte Farce der Bodenständigkeit und Seriosität, die niemals den Verdacht aufkommen lassen kann, dass hier ein Jahrhundertbetrug am Laufen ist. Ein Milliardengrab. Schlau! Denn öffentliche Beobachtung wäre sehr viel früher entstanden, wenn P&R und seine Geschäftsführer agiert hätten wie es schon viele Finanzbetrüger taten: Größenwahnsinnig im demonstrierten Luxus-Leben, wie es später bei S&K sichtbar sein wird, die rund 250 Mio. an Schaden verursacht haben soll, wie sich 2013 herausstellt. Die dabei

       …wüste und teilweise bizarre Partys gefeiert haben. Da wurde auch schon mal ein Elefant eingeflogen oder eine Badenixe in einem überdimensionalen Champagnerkelch drapiert. Obst aßen die Partygäste von nackter Haut. Die Chefin eines Escort Services berichtete, sie könne ihre Mädels nicht mehr in die Villa nach Offenbach zu S. schicken, weil sie dort für Nichtigkeiten hohe Geldbeträge erhielten und später nicht mehr woanders arbeiten wollten.18

      Genau gegenteilig, mit eben der Demonstration von Bescheidenheit, Bodenständigkeit, Integrität, kokettiert P&R auch in allen Werbemitteln, Verkaufsprospekten, Kundenbriefen und Pressemitteilungen. Wir sind keine Bank, wird später in einer Pressemeldung als Beweis für Bescheidenheit und Bodenständigkeit formuliert werden. P&R grenzt sich bewusst ab von Banken, von Fondsanbietern, von den großen Playern. Und ist doch selbst einer davon. Einfach. Ertragreich. Sicher. Der Slogan. Alles wird beschrieben und vorgelebt, wie die vielfach unerfahrenen Kleinanleger es gerne gesehen und gelesen haben wollen. Und immer neu wird betont und gezeigt, dass P&R keine Bank ist, dass P&R nicht kapitalgerieben agiert, dass man nur die Renditen ausschüttet, die man auch erwirtschaften kann und dass vernünftige Investoren auf einen konservativen Finanzdienstleister treffen. Nein. Diese P&R ist nicht gierig. Mittelstand. Familienunternehmen. Der Tradition verpflichtet. Den Anlegern verpflichtet. Das absolute Gegenmodell zu all den aufgeblasen arroganten Private-Banking-Investmentanbietern für potente Kunden. Deutschland ist kein Land der Kapitalanleger. War es nie. So inszeniert, füllt P&R perfekt die Lücke zwischen dem guten deutschen Sparbuch und den spekulativen Aktien. Die Sicherheit des einen plus die Renditen des anderen. Alles offen gelegt, perfekt erklärt. Verständlich. Plausibel. Verträge auf zwei Seiten. Konservative Renditen. Verbindlichkeit. Das ist P&R. Man muss Vertrauen haben.

      Und dann die schon mehrfach erwähnte P&R Equipment & Finance Corp. in Zug in der Schweiz. Keiner der Mitarbeiter unterhalb der Geschäftsführung ist jemals dort gewesen – außer der damalige IT-Leiter. Aus wohl guten Gründen, wie sich später noch herausstellen wird. Aber darüber weiß niemand etwas. Über die Spinne im P&R-Netz, wie investmentcheck diese Roth-Gesellschaft im Juni 2016 bezeichnet.19 Diese unabhängige Schweizer P&R Gesellschaft war und ist bis heute für das Management der Containerflotten zuständig, die in Deutschland an die Anleger vertrieben werden, zuständig für die langfristige Vermietung und Vermarktung an Reedereien, wobei diese Vermietung offiziell ausschließlich über zwischengeschaltete Leasinggesellschaften läuft. Diese P&R in der Schweiz wird nur als Vertragspartner erwähnt. Als Sicherheit. Als Kompetenz-Beweis in vielen Werbemitteln im Allgemeinsten, wenn es darum geht zu zeigen, dass P&R Top-Spezialisten für den weltweiten Containermarkt am Start hat. Mehr muss kein Anleger wissen. Natürlich mag jedem aufmerksamen Investor auffallen: Ein Firmensitz im Schweizer Zug – ja – ein durchaus zweifelhafter Ruf. Oder ein hervorragender Ruf. Eine Frage der Perspektive.

      Zug, Zentralschweiz, zirka fünf Kilometer südlich von Zürich gelegen, idyllisch am Zuger See, 30.000 Einwohner, davon rund dreißig Prozent Nicht-Schweizer. Warum wohl. Der Kanton Zug, die Steueroase der Schweiz, lockt mit Steuersätzen, die zirka nur die Hälfte des Schweizer Durchschnitts betragen. Kein Wunder also, dass viele multinationale Konzerne, unüberschaubar viele Holdings und eine nicht mehr bezifferbare Anzahl an Treuhandbüros und Domizil-Firmen

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