Das war's. Letzte Worte mit Charles Bukowski. Gundolf S. Freyermuth

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Das war's. Letzte Worte mit Charles Bukowski - Gundolf S. Freyermuth

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mein Gott ...”, sagte Michael Montfort, als er über ihre Schulter die Leiche seines Freundes sah. Sichtlich erschüttert ließ er sich in eins der Sofas fallen.

      Seine Realität war eine andere als die, in der Linda Bukowski wahrnahm und fühlte. Was Michael Montfort gesehen hatte und immer noch sah, war beschädigter und schäbiger, billiger und trauriger. Denn mehr als mit dem Leben und Sterben des Dichters hatte die Welt, in der Montfort an diesem Abend litt, mit dem Leben und Sterben in Charles Bukowskis Kurzgeschichten zu tun.

      In dieser Wirklichkeit war die Leichenhalle ein halbindustrieller Bau. Die langen Korridore im Innern ähnelten denen von Krankenhäusern. Allein der antiseptische Geruch fehlte, Beiwerk des hier aufgegebenen Kampfes gegen Krankheit und Tod. Ein Watteteppich aus Muzak verschluckte die leisen Geräusche und ließ lediglich hie und da ein Lachen oder Schluchzen über die Gänge hallen. Die Türen zu den Zimmern links und rechts standen offen. In jeder von ihnen war ein offener Sarg zu sehen; weiße, braune, schwarze. Sie ruhten auf dünnbeinigen Gestellen, und ihre Oberteile waren aufgeklappt. Um die Toten herum hatten sich Angehörige versammelt. Mehr Spanisch als Englisch war zu hören. Pizzapackungen und Pepsibüchsen standen herum. Musik spielte aus tragbaren Hifi-Anlagen. Toasts auf die Toten wurden ausgesprochen. Die meisten in den Trauergemeinden schienen in einer Art gehobener Partystimmung. Und am Ende des Alptraums lag Hank im offenen Sarg.

      “Den hatten sie präpariert”, sagt Michael Montfort. “Er hatte volle Backen und lächelte. Freundlicher, als er je in seinem Leben gelächelt hat.”

      “Seine Backen waren nicht voll”, sagt Linda Bukowski. “Und er lächelte nicht. Sie hatten Hank sehr unauffällig zurecht gemacht. Ohne ihn mit einem Haufen verrückten Make-up vollzuschmieren.”

      Das vernarbte und verwitterte Gesicht, von dem eine Bewunderin meinte, es nähme sich gut am Mount Rushmore aus, neben Lincoln, Jefferson, Washington und Roosevelt, war sauber rasiert. Der Tote trug seine Lieblingkleidung: ein helles Hemd und einen Windbreaker. In der Brusttasche des Hemdes war sein Federhalteretui; ein Schreibstift ragte heraus. In der Tasche seiner Hose steckten sein Kamm - und ein Liebesbrief, den ihm seine Frau geschrieben hatte. Charles Bukowski war angezogen, um auf die Rennbahn zu gehen und dort wie eh und je in der halben Stunde zwischen den Starts seine Wetten abzugeben.

      “Ich frage mich oft”, sagte er vor ein paar Jahren, “ob ich mich auf meinem Sterbebett (falls ich Glück habe, sterbe ich in einem) nach der dreißigminütigen Pause sehnen werde, diesem Warten zwischen den Rennen.”

      “Komm, Michael!” hörte Michael Montfort Lindas Stimme, fest und bestimmt. Die schmale, feingliedrige Frau stand neben dem Toten: “Sei ein Mann. Faß ihn an!”

      “Ich glaube, Michael ist einfach ausgerastet. Er ist ein solcher Hank-Freak! Er pflegt die Bukowski-Mythologie. Und in ihr wird alles ein bißchen übertrieben ...”, sagt Linda Bukowski. “Ich sah, wie Michael Hank betrachtete, und sprach leise und beruhigend auf ihn ein; daß alles in Ordnung sei, daß er sich entspannen solle, daß er Hank anfassen könne ...”

      “Ich habe also seine Finger genommen, und die waren hart, hart wie kalter Zement”, sagt Michael Montfort. “Die drei anderen umarmten sich und standen stumm vor Hank. Ich bin raus und habe erstmal eine geraucht.”

      “Ich hatte Hank an dem Abend einen zweiten Schreiber mitgebracht”, sagt Linda Bukowski. “Denn Hank ging nie mit nur einem Stift auf die Rennbahn. Er mußte immer zwei haben. Falls einer versagen würde.”

      Linda Bukowski steckte den zweiten Stift in die Brusttasche des Toten. Dann streichelte sie seine Stirn.

      “Alles fühlte sich kalt an. Nur die Augenbrauen waren noch die von Hank. Diese großen buschigen Augenbrauen, vor allem die linke. Deren Haare waren widerspenstig. Ich schob sie also wieder in Ordnung, wie ich es immer getan habe ... Alles andere aber war kalt und hart, obwohl sich die Haut bewegen ließ. Ich wußte, da war nichts mehr in dieser Hülle. Es war entsetzlich. Da war nur noch die Hülle.”

      II

      Erste Begegnung im “Spago”.

      - Eine Rückblende -

      Als ich Charles Bukowski zum erstenmal traf, waren Glamour und Tod um uns. Jenseits der breiten Fensterfront glitzerte das nächtliche Los Angeles reich und kalt und bunt. Diesseits waren die Tische weiß gedeckt und die Menschen von großer Schönheit. Spektakulärer als in Wolfgang Pucks “Spago” über dem Sunset Boulevard ließ sich damals, im September 1985, kein Hollywood-Geburtstag feiern. Der Abend war eine mehr oder weniger deutsche Veranstaltung, arrangiert von Michael Montfort zu Ehren seiner damaligen Frau Frances Schoenberger. Arnold Schwarzenegger saß, ab und an den Arm um Maria Shrivers Schultern, still an seinem Ehrenplatz und rauchte eine riesige Zigarre. Hildegard Knef dominierte den Raum, krebskrank und dürr und betrunken, und neben ihr stand ihre Tochter, so blaß und bleich, daß einem Angst wurde. George Hamilton glitt als braunverbrannter Engel durch die Gästeschar, und um ihn herum schwirrten heute längst vergessene Stars aus “Dallas” und “Denver”.

      Wer nicht schön oder berühmt war, saß ganz selbstverständlich im Abseits. Charles Bukowski war berühmt, aber nicht schlank, sondern bierbäuchig; nicht glattgesichtig, sondern lädiert, nicht schöngeistig, sondern voll der Intelligenz, die einem häßliche Gedanken macht. Linda Lee Beighle, seine langjährige Freundin, die er wenige Monate zuvor geheiratet hatte, war wunderschön. Doch als Ex-Betreiberin eines Reformkostladens war sie das dezent und nicht showbusiness-grell. Und obendrein war sie nicht weltberühmt. So gerieten Linda und Charles Bukowski an einen Tisch am Rande - und damit neben mich.

      Bukowskis Stories und Gedichte hatte ich noch in meinen Schuljahren entdeckt; wenn auch nicht im Unterricht. In seiner Vorurteilssicherheit dürfte mein damaliges Bild von ihm dem des durchschnittlichen deutschen Lesers geglichen haben: Leben wie Werk eine einzige wunderbare Sauerei. Das Beschlafungs-Sofa in seiner Behausung etwa hätte ich ähnlich imaginiert, wie es ein Rezensent der “Stuttgarter Zeitung” ein paar Monate zuvor getan hatte: Die Couch sei, schrieb er, “wie ich behaupten möchte, ohne sie je gesehen zu haben, meistens ein wenig schmuddelig, befleckt von Sperma und Hämorrhoiden-Salbe. Der Mann, der darauf hockt, nun zu Beginn seines siebten Jahrzehnts, mit einem von Akne zernarbten Gesicht, seiner rotgeäderten Säufernase, seinem Lächeln, in dem sich der Ausdruck von Ziegenbock und Fuchs einzigartig durchdringt, wirkt vielleicht nicht sehr vertrauenerweckend, aber er ist wohl der nordamerikanische Lyriker der zweiten Jahrhunderthälfte.”

      Als die Bukowskis sich zu mir setzten, meinte ich daher, sie und ihr Leben zu kennen. Kein Grund für große Reden. Gleich zu Beginn stieß Mister Bukowski seinen gewaltigen, urmenschlichen Schädel mit dem brutal-hervorragenden Kiefer angriffslustig in mein Gesicht und verbat sich, daß ich ihn “Mister Bukowski” nannte. “Hank” war okay, “Buk” ebenfalls. Danach gestaltete sich das Besäufnis wortkarg. Die langen Pausen, die nur hin und wieder von kurzen Sätzen unterbrochen wurden, schufen mehr Einvernehmen als die wenigen nichtssagenden Worte, die wir wechselten.

      Charles Bukowski sah aus und verhielt sich genau so, wie ihn seine zahlreichen Besucher dem deutschen Publikum geschildert hatten. Er war knapp einen Meter achtzig groß, wirkte aber “kleiner und gedrungen, weil er den Kopf mit der Buffalo-Bill-Frisur zwischen die Schultern zieht und den ebenmäßig runden Bauch eines wohlgenährten Babies besitzt” (“stern”). Sein narbiges Gesicht war “freundlich, gutmütig, schwermütig wie ein Haufen altes Pavianfleisch” (“Spiegel”). Sein Mund hatte sich habituell zu einem zufriedenen Grinsen verzogen, und seine Bewegungen zeigten eine Müdigkeit, die nicht Schlafmangel, sondern existentielle Erschöpfung verriet. Sie hatte ich treffend allein beim besten seiner Porträtisten beschrieben gefunden - bei ihm selbst: “Sieht sehr müde aus. Redet nicht viel, und wenn er was sagt, ist es irgendwie flach und nichtssagend. Man würde nie drauf kommen,

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