Ich habe sieben Leben. Frederik Hetmann
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Ein argentinisches Sprichwort lautet: Katzen haben sieben Leben. Am 31. Dezember 1956, nach Beginn der kubanischen Guerilla, telegrafierte Ernesto Guevara an seine Eltern: »Meine Lieben: Es geht mir gut. Habe zwei ausgegeben, es bleiben mir noch fünf.«
... habe zwei ausgegeben, bleiben noch fünf
Frederik Hetmann
»Ich habe sieben Leben«
Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che
Fotografik von Günther Stiller
FUEGO
Über dieses Buch
Che Guevara - Plakat, T-Shirt, Geschäft, Hollywood-Film - oder - Bürgerschreck, Don Quijote, Guerillero mit Heiligenschein, Erlöser, Jesus Christ.
Che - ein zum Plakat erstarrter Held? Einmal muss da ein Mensch gewesen sein. Aus Materialien, die der Autor Frederik Hetman in Europa, Nord- und Südamerika zusammengetragen hat, entstand eine umfassende Biografie, die Aufschluß über Kindheit, Jugend, das Leben und die Absichten dieses südamerikanischen Revolutionärs gibt.
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendbuchpreis 1973
... ist ein Plakat
Anrufung
Che Guevara - das ist ein Plakat! Che Guevara - das ist ein Transparent! Che Guevara - das ist ein Poster! Che - das war der Aufschrei der Studenten, die in Berkeley, Berlin, Paris und Rom untergefasst durch die Straßen rannten und von der Polizei zusammengeschlagen wurden.
Che, dieses Schwein, sagte ein Lehrer zu einem Siebzehnjährigen, und der Siebzehnjährige dachte ungerührt: Ich verehre ihn.
Che - das war der als Bürgerschreck verbreitete Satz: Schafft drei, vier, viele Vietnam.
Che - das war Krimi und Pokerspiel.
200.000 Dollar für das Bolivianische Tagebuch bot Andrew Saint Georges in La Paz für die Magnum-Gruppe, und Michele Ray von Paris Match erhöhte auf 400.000.
Che - das war der ägyptische Hollywood-Star Omar Sharif, Schnurrbartträger, der sich einen Vollbart wachsen lassen musste, um Che in einer Filmschnulze zu mimen, die rasch auf den Philippinen abgedreht wurde.
Che - das war der Duft gefährlichen Lebens, der müde Männer wieder munter machte.
Che - das war der Vorwand für Sodomie und Päderastie auf der Bühne und abermals ein Geschäft.
Che, Sankt Che, mit dem Heiligenschein und dem Habitus der Guerilleros - das war der säkularisierte Jesus Christus; erlöse uns von der Ausbeutung, der Sklaverei und der Verelendung, die wir über die Dritte Welt gebracht haben; erlöse uns von den Napalmopfern, diesem letzten Konsumartikel des Kapitalismus.
Che - das war Don Quichotte, der noch einmal satteln ließ im 20. Jahrhundert.
Che - das war Régis Debray, der nach endlosen Verhören, Folterungen und vierjähriger Haft in Camiri, kaum dass er in Chile eingetroffen war, erklärte: »Meine bescheidene Rolle in Zukunft - es heißt, Guevaras Erbschaft anzutreten.«
Che ... einmal muss da ein Mensch gewesen sein.
Kindheit
Die Mutter, Celia de la Serna, wird als Mädchen »La Rebelda« genannt. Sie gilt als eine der schönsten und reichsten Erbinnen von Buenos Aires. Sie besitzt Tausende von Hektar Weideland und riesige Rinderherden. Sie ist mit 17 in Paris gewesen. Nach dem Tod ihrer Eltern hat sie einen Vormund und Anstandsdamen, wie sie die gesellschaftliche Konvention fordert, abgelehnt. Sie soll die erste Frau in Argentinien gewesen sein, die ein eigenes Bankkonto besaß. Sie trägt die Haare kurz geschnitten. Sie begeistert sich für marxistische Ideen.
In Argentinien verdient man in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts das große Geld mit Fleisch. Die Gauchos reiten. Das Lasso fliegt. Staubwolken und Gitarrengeklimper. Aber wie ist es wirklich? Celia will es wissen.
Die Rinder werden in die Gasse getrieben. Am Ende der Gasse erwartet sie unverhofft der Tod: zwei Bolzen, die sich von der Seite her in den Schädel der Tiere bohren.
Celia beobachtet den Mann, der mit einem Fingerdruck diesen Bolzen betätigt. Ein gutmütiges Indianergesicht grinst sie an.
Die Kadaver treiben auf dem Fließband davon. Sie werden zerlegt, eingefroren oder in Dosen verpackt und nach Europa exportiert.
Celia sieht die Männer mit Sägen und blutverschmierten Schürzen umhergehen. Sie spürt den leicht süßlichen Geschmack von Blut auf der Zunge.
Am nächsten Tag erzählt man im Jockey Club, dem Treffpunkt der High Society von Buenos Aires, dass »La Rebelda« allein die Schlachthöfe besucht habe. Trotz, oder vielleicht gerade wegen solcher Launen, ist Celia umschwärmt von jungen Männern aus der Bohème und aus der Oberschicht. Zum Teufel mit diesen Gecken, die um sie schwänzeln und sich die Revolution als Operette vorstellen! Sie denkt an die Revolution als an eine große reinigende Kraft. Sie hasste die verhimmelnden Flirtworte blasierter Jünglinge, wenn sie allein mit einem von ihnen in der Nacht auf einer Terrasse steht und dazu schwere Colliers im Salon im Hintergrund klimpern ... Oder war es ein Kronleuchter?
Sie denkt an das so plausibel klingende Geschwätz ihrer Rechtsanwälte, würdige Herren in kühlen Kanzleien, die alle beteuern, nur ihr Bestes zu wollen, wenn sie von günstigen Wertpapiertransaktionen berichten.
Sie heiratet einen Mann, der in den Augen der Oligarquia, der besitzenden, machtausübenden, tonangebenden Gesellschaftsschicht, als Tunichtgut gilt - Ernesto Guevara Lynch, einen Architekturstudenten, der sein Studium mit der Bemerkung aufgegeben hat, es führe zu nichts.
Er ist abenteuerlustig, unkonventionell, renommiersüchtig, hat den Kopf voller phantastischer Projekte. Sein Stammbaum lässt sich bis auf einen der spanischen Vizekönige von La Plata zurückverfolgen.
Ein Vorfahre, Juan Antonio Guevara, hat im 19. Jahrhundert gegen die Diktatur des Juan Manuel de Rosa rebelliert. Der Aufstand, den er mit anführte, scheiterte. Der Verschwörer floh 1850 nach Kalifornien - es ist die Zeit des Goldrausches - und stellte sich dort an die Spitze einer Bande von Prospektoren und Viehdieben. (Sein Enkel wird ihn gern als anarchistisch-liberalen Helden sehen.)
Juan Antonio heiratet, sich unbekümmert über bestehende Vorurteile hinwegsetzend, eine mexikanische Schöne, Conceptión Castro.
Ihr Sohn, der schon als Bürger der Vereinigten Staaten zur Welt kommt, nimmt die Tochter eines aus Irland stammenden Einwanderers zur Frau. Das junge Paar kehrt nach Argentinien zurück, wo ihr Sohn Ernesto geboren wird.
Ernesto, der Ältere, Ches Vater, zeigt wenig Ehrgeiz, sich eine Position in der herrschenden Gesellschaftsschicht zu erkämpfen. Er spricht geringschätzig von der Jagd nach Macht und Geld.
Freilich ist es angenehm, Geld zu besitzen, aber nur, um unabhängig zu sein. Er will leben, etwas erleben. Diesen Mann also zieht Celia de la Serna den Söhnen aus den großen Familien vor, die um sie werben. Nach ihrer Heirat leben Ernesto und Celia in Buenos Aires. Sie geben das Geld der La Sernas mit vollen Händen aus. Ihre Feste sind skandalumwittert.